Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

der Wissenschaft eine höchst wichtige Anregung gegeben hat,
und dass der Kern jener Behauptung kaum anfechtbar ist.
Brugmann's Auffassung geht von der Thatsache aus, dass eine
gewisse Anzahl von Formen, für welche man in der Grund-
sprache ans voraussetzen zu müssen glaubte, sich von einer
andern Gruppe solcher Formen, in denen man ebenfalls ans
annahm, unterscheidet, und zwar am deutlichsten im Sanskrit.
Der Acc. Pl. des Stammes vrka (Wolf) lautete nach der unbe-
strittenen Annahme aller Sprachforscher ursprünglich *vrkans,
im Sanskrit aber vrkann, während die vorausgesetzte Grund-
form padans (podos) im Sanskrit zu padas wird. Brugmann
schliesst daraus, dass die Laute beider Formen von Haus aus
verschieden gelautet haben müssen, dass es also falsch sei,
für beide Ausgänge in der Ursprache den gleichen Laut an-
zunehmen. In dieser Negation stimme ich ihm durchaus bei.
Aber eine andre Frage ist die nach der Position. Was für
einen Laut sollen wir in dem zweiten Falle als ursprachlich
voraussetzen? Schon eine Reihe von Jahren vorher hatten
die Sprachforscher ihr Augenmerk auf die silbenbildenden
Liquida und Nasale gerichtet. Miklosich in seiner Einleitung
zu der vergl. Grammatik der slaw. Sprachen II S. VII f. (1875)
hatte mit durchschlagenden Gründen, wenn auch nicht das
silbenbildende n und m, so doch silbenbildendes r und l nach
Art einiger slawischer Sprachen als etwas uraltes erwiesen.
Sievers hatte darauf den Ausdruck n sonans erfunden, und es
mochte wohl etwas verlockendes haben, diesem kaum in die
Reihe der Lautwesen aufgenommenen Neuling sogleich den
hohen Adel eines indogermanischen Urlautes zu ertheilen, wie
dies von Brugmann unter vielfacher Zustimmung geschehen
ist. Brugmann selbst sagt uns S. 304 der erwähnten Abhand-
lung, er habe früher den entsprechenden Laut als einen "ir-
rationalen Vocal + n" aufgefasst. In demselben Sinne bezeich-
nete Joh. Schmidt eine Zeit lang die ebenerwähnte Accusativ-
endung consonantischer Stämme mit ans und die Endung der

der Wissenschaft eine höchst wichtige Anregung gegeben hat,
und dass der Kern jener Behauptung kaum anfechtbar ist.
Brugmann's Auffassung geht von der Thatsache aus, dass eine
gewisse Anzahl von Formen, für welche man in der Grund-
sprache ans voraussetzen zu müssen glaubte, sich von einer
andern Gruppe solcher Formen, in denen man ebenfalls ans
annahm, unterscheidet, und zwar am deutlichsten im Sanskrit.
Der Acc. Pl. des Stammes vṛka (Wolf) lautete nach der unbe-
strittenen Annahme aller Sprachforscher ursprünglich *vṛkans,
im Sanskrit aber vṛkān, während die vorausgesetzte Grund-
form padans (πόδος) im Sanskrit zu padas wird. Brugmann
schliesst daraus, dass die Laute beider Formen von Haus aus
verschieden gelautet haben müssen, dass es also falsch sei,
für beide Ausgänge in der Ursprache den gleichen Laut an-
zunehmen. In dieser Negation stimme ich ihm durchaus bei.
Aber eine andre Frage ist die nach der Position. Was für
einen Laut sollen wir in dem zweiten Falle als ursprachlich
voraussetzen? Schon eine Reihe von Jahren vorher hatten
die Sprachforscher ihr Augenmerk auf die silbenbildenden
Liquida und Nasale gerichtet. Miklosich in seiner Einleitung
zu der vergl. Grammatik der slaw. Sprachen II S. VII f. (1875)
hatte mit durchschlagenden Gründen, wenn auch nicht das
silbenbildende n und m, so doch silbenbildendes r und l nach
Art einiger slawischer Sprachen als etwas uraltes erwiesen.
Sievers hatte darauf den Ausdruck n sonans erfunden, und es
mochte wohl etwas verlockendes haben, diesem kaum in die
Reihe der Lautwesen aufgenommenen Neuling sogleich den
hohen Adel eines indogermanischen Urlautes zu ertheilen, wie
dies von Brugmann unter vielfacher Zustimmung geschehen
ist. Brugmann selbst sagt uns S. 304 der erwähnten Abhand-
lung, er habe früher den entsprechenden Laut als einen „ir-
rationalen Vocal + n“ aufgefasst. In demselben Sinne bezeich-
nete Joh. Schmidt eine Zeit lang die ebenerwähnte Accusativ-
endung consonantischer Stämme mit ans und die Endung der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="126"/>
der Wissenschaft eine höchst wichtige Anregung gegeben hat,<lb/>
und dass der Kern jener Behauptung kaum anfechtbar ist.<lb/>
Brugmann's Auffassung geht von der Thatsache aus, dass eine<lb/>
gewisse Anzahl von Formen, für welche man in der Grund-<lb/>
sprache <hi rendition="#i">ans</hi> voraussetzen zu müssen glaubte, sich von einer<lb/>
andern Gruppe solcher Formen, in denen man ebenfalls <hi rendition="#i">ans</hi><lb/>
annahm, unterscheidet, und zwar am deutlichsten im Sanskrit.<lb/>
Der Acc. Pl. des Stammes <hi rendition="#i">vr&#x0323;ka</hi> (Wolf) lautete nach der unbe-<lb/>
strittenen Annahme aller Sprachforscher ursprünglich *<hi rendition="#i">vr&#x0323;kans</hi>,<lb/>
im Sanskrit aber <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">vr&#x0323;ka&#x0304;n</foreign></hi>, während die vorausgesetzte Grund-<lb/>
form <hi rendition="#i">padans</hi> (<hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03C0;&#x03CC;&#x03B4;&#x03BF;&#x03C2;</foreign></hi>) im Sanskrit zu <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">padas</foreign></hi> wird. Brugmann<lb/>
schliesst daraus, dass die Laute beider Formen von Haus aus<lb/>
verschieden gelautet haben müssen, dass es also falsch sei,<lb/>
für beide Ausgänge in der Ursprache den gleichen Laut an-<lb/>
zunehmen. In dieser Negation stimme ich ihm durchaus bei.<lb/>
Aber eine andre Frage ist die nach der Position. Was für<lb/>
einen Laut sollen wir in dem zweiten Falle als ursprachlich<lb/>
voraussetzen? Schon eine Reihe von Jahren vorher hatten<lb/>
die Sprachforscher ihr Augenmerk auf die silbenbildenden<lb/>
Liquida und Nasale gerichtet. Miklosich in seiner Einleitung<lb/>
zu der vergl. Grammatik der slaw. Sprachen II S. VII f. (1875)<lb/>
hatte mit durchschlagenden Gründen, wenn auch nicht das<lb/>
silbenbildende <hi rendition="#i">n</hi> und <hi rendition="#i">m</hi>, so doch silbenbildendes <hi rendition="#i">r</hi> und <hi rendition="#i">l</hi> nach<lb/>
Art einiger slawischer Sprachen als etwas uraltes erwiesen.<lb/>
Sievers hatte darauf den Ausdruck <hi rendition="#i">n sonans</hi> erfunden, und es<lb/>
mochte wohl etwas verlockendes haben, diesem kaum in die<lb/>
Reihe der Lautwesen aufgenommenen Neuling sogleich den<lb/>
hohen Adel eines indogermanischen Urlautes zu ertheilen, wie<lb/>
dies von Brugmann unter vielfacher Zustimmung geschehen<lb/>
ist. Brugmann selbst sagt uns S. 304 der erwähnten Abhand-<lb/>
lung, er habe früher den entsprechenden Laut als einen &#x201E;ir-<lb/>
rationalen Vocal + <hi rendition="#i">n</hi>&#x201C; aufgefasst. In demselben Sinne bezeich-<lb/>
nete Joh. Schmidt eine Zeit lang die ebenerwähnte Accusativ-<lb/>
endung consonantischer Stämme mit <hi rendition="#i"><hi rendition="#sup">a</hi>ns</hi> und die Endung der<lb/><lb/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0134] der Wissenschaft eine höchst wichtige Anregung gegeben hat, und dass der Kern jener Behauptung kaum anfechtbar ist. Brugmann's Auffassung geht von der Thatsache aus, dass eine gewisse Anzahl von Formen, für welche man in der Grund- sprache ans voraussetzen zu müssen glaubte, sich von einer andern Gruppe solcher Formen, in denen man ebenfalls ans annahm, unterscheidet, und zwar am deutlichsten im Sanskrit. Der Acc. Pl. des Stammes vṛka (Wolf) lautete nach der unbe- strittenen Annahme aller Sprachforscher ursprünglich *vṛkans, im Sanskrit aber vṛkān, während die vorausgesetzte Grund- form padans (πόδος) im Sanskrit zu padas wird. Brugmann schliesst daraus, dass die Laute beider Formen von Haus aus verschieden gelautet haben müssen, dass es also falsch sei, für beide Ausgänge in der Ursprache den gleichen Laut an- zunehmen. In dieser Negation stimme ich ihm durchaus bei. Aber eine andre Frage ist die nach der Position. Was für einen Laut sollen wir in dem zweiten Falle als ursprachlich voraussetzen? Schon eine Reihe von Jahren vorher hatten die Sprachforscher ihr Augenmerk auf die silbenbildenden Liquida und Nasale gerichtet. Miklosich in seiner Einleitung zu der vergl. Grammatik der slaw. Sprachen II S. VII f. (1875) hatte mit durchschlagenden Gründen, wenn auch nicht das silbenbildende n und m, so doch silbenbildendes r und l nach Art einiger slawischer Sprachen als etwas uraltes erwiesen. Sievers hatte darauf den Ausdruck n sonans erfunden, und es mochte wohl etwas verlockendes haben, diesem kaum in die Reihe der Lautwesen aufgenommenen Neuling sogleich den hohen Adel eines indogermanischen Urlautes zu ertheilen, wie dies von Brugmann unter vielfacher Zustimmung geschehen ist. Brugmann selbst sagt uns S. 304 der erwähnten Abhand- lung, er habe früher den entsprechenden Laut als einen „ir- rationalen Vocal + n“ aufgefasst. In demselben Sinne bezeich- nete Joh. Schmidt eine Zeit lang die ebenerwähnte Accusativ- endung consonantischer Stämme mit ans und die Endung der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/134
Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/134>, abgerufen am 25.04.2024.