Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Da das Keltische das Suffix -a(n)t, z. B. altir. cara(n)t (Freund),
und das Gotische die weitergebildete Stammform auf -anda
bietet, z. B. bairands, so herrschte hier auch in Europa die
grösste Mannichfaltigkeit. Aber wie zum Hohn finden wir hier
wiederum in Asien den E-Laut. Zend: barenntem = sanskrit:
bharantam. Bei der Seltenheit von Stimmen, die sich jetzt
für die ältere Hypothese aussprechen, führe ich hier ein Wort
von Harlez an, Revue de linguistique Tom. XVII p. 82 (1884):
"Zend. barenntem est une alteration d'un iranien ou aryaque
primitif bharantam". "Je reste convaincu, qu'apres avoir trop
accorde au sanscrit, on tombe dans l'exces contraire, et qu'on
ne trouvera point la verite, tant qu'on n'aura point retabli
l'equilibre". In der That bedarf es in den meisten Fällen nur
der Anführung der Sanskritform, um jeden unbefangenen zu
überzeugen, dass von ihr auszugehn ist. Es ist doch kein
Zufall, dass erst diese Sprache in so reichem Masse uns den
Blick in den Organismus auch des Griechischen erschloss.

Aus dem hervorgehobenen schliessen wir, dass für die
älteste oder Entstehungszeit der Ursprache der eintönige Voca-
lismus anzunehmen ist. Folgt nun daraus, dass die Grund-
sprache überhaupt kein e und o kannte? Allerdings nicht.
Denn das kurze e und o konnte sich ja in der unzweifelhaft
langen Zeit zwischen den ersten Anfängen und der Periode
der Spaltung entwickeln, so dass der bunte Vocalismus im
Sinne der neueren Forscher noch immer mit dem zusammen-
gehen könnte, was wir eben zu erweisen suchten. Freilich
erhielten wir unter dieser Voraussetzung eine ganz eigenthüm-
liche Reihenfolge für die arischen Sprachen, bei denen ja der
eintönige Vocalismus für die Zeit ihres besonderen Zusammen-
lebens vollkommen feststeht. Wir erhielten nämlich für diese
folgende Perioden des Vocalismus:

1) Aelteste indogermanische Zeit. Das einheitliche a kann
nur quantitativ, nicht qualitativ unterschieden werden. Es-
hiess also vrkas, Voc. vrka, agati, aganti, bharantam u. s. w.


Da das Keltische das Suffix -a(n)t, z. B. altir. cara(n)t (Freund),
und das Gotische die weitergebildete Stammform auf -anda
bietet, z. B. bairands, so herrschte hier auch in Europa die
grösste Mannichfaltigkeit. Aber wie zum Hohn finden wir hier
wiederum in Asien den E-Laut. Zend: bareñtem = sanskrit:
bharantam. Bei der Seltenheit von Stimmen, die sich jetzt
für die ältere Hypothese aussprechen, führe ich hier ein Wort
von Harlez an, Revue de linguistique Tom. XVII p. 82 (1884):
„Zend. bareñtem est une altération d'un iranien ou aryaque
primitif bharantam“. „Je reste convaincu, qu'apres avoir trop
accordé au sanscrit, on tombe dans l'excès contraire, et qu'on
ne trouvera point la vérité, tant qu'on n'aura point rétabli
l'équilibre“. In der That bedarf es in den meisten Fällen nur
der Anführung der Sanskritform, um jeden unbefangenen zu
überzeugen, dass von ihr auszugehn ist. Es ist doch kein
Zufall, dass erst diese Sprache in so reichem Masse uns den
Blick in den Organismus auch des Griechischen erschloss.

Aus dem hervorgehobenen schliessen wir, dass für die
älteste oder Entstehungszeit der Ursprache der eintönige Voca-
lismus anzunehmen ist. Folgt nun daraus, dass die Grund-
sprache überhaupt kein und kannte? Allerdings nicht.
Denn das kurze und konnte sich ja in der unzweifelhaft
langen Zeit zwischen den ersten Anfängen und der Periode
der Spaltung entwickeln, so dass der bunte Vocalismus im
Sinne der neueren Forscher noch immer mit dem zusammen-
gehen könnte, was wir eben zu erweisen suchten. Freilich
erhielten wir unter dieser Voraussetzung eine ganz eigenthüm-
liche Reihenfolge für die arischen Sprachen, bei denen ja der
eintönige Vocalismus für die Zeit ihres besonderen Zusammen-
lebens vollkommen feststeht. Wir erhielten nämlich für diese
folgende Perioden des Vocalismus:

1) Aelteste indogermanische Zeit. Das einheitliche a kann
nur quantitativ, nicht qualitativ unterschieden werden. Es-
hiess also vṛkas, Voc. vṛka, agati, aganti, bharantam u. s. w.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0125" n="117"/>
Da das Keltische das Suffix -<hi rendition="#i">a(n)t</hi>, z. B. altir. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="sga">cara(n)t</foreign></hi> (Freund),<lb/>
und das Gotische die weitergebildete Stammform auf <hi rendition="#i">-anda</hi><lb/>
bietet, z. B. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="got">bairands</foreign></hi>, so herrschte hier auch in Europa die<lb/>
grösste Mannichfaltigkeit. Aber wie zum Hohn finden wir hier<lb/>
wiederum in Asien den E-Laut. Zend: <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ave">baren&#x0303;tem</foreign></hi> = sanskrit:<lb/><hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">bharantam</foreign></hi>. Bei der Seltenheit von Stimmen, die sich jetzt<lb/>
für die ältere Hypothese aussprechen, führe ich hier ein Wort<lb/>
von Harlez an, Revue de linguistique Tom. XVII p. 82 (1884):<lb/>
&#x201E;<foreign xml:lang="fra">Zend. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ave">baren&#x0303;tem</foreign></hi> est une altération d'un iranien ou aryaque<lb/>
primitif <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">bharantam</foreign></hi></foreign>&#x201C;. &#x201E;<foreign xml:lang="fra">Je reste convaincu, qu'apres avoir trop<lb/>
accordé au sanscrit, on tombe dans l'excès contraire, et qu'on<lb/>
ne trouvera point la vérité, tant qu'on n'aura point rétabli<lb/>
l'équilibre</foreign>&#x201C;. In der That bedarf es in den meisten Fällen nur<lb/>
der Anführung der Sanskritform, um jeden unbefangenen zu<lb/>
überzeugen, dass von ihr auszugehn ist. Es ist doch kein<lb/>
Zufall, dass erst diese Sprache in so reichem Masse uns den<lb/>
Blick in den Organismus auch des Griechischen erschloss.</p><lb/>
        <p>Aus dem hervorgehobenen schliessen wir, dass für die<lb/>
älteste oder Entstehungszeit der Ursprache der eintönige Voca-<lb/>
lismus anzunehmen ist. Folgt nun daraus, dass die Grund-<lb/>
sprache überhaupt kein <hi rendition="#i">e&#x0306;</hi> und <hi rendition="#i">o&#x0306;</hi> kannte? Allerdings nicht.<lb/>
Denn das kurze <hi rendition="#i">e&#x0306;</hi> und <hi rendition="#i">o&#x0306;</hi> konnte sich ja in der unzweifelhaft<lb/>
langen Zeit zwischen den ersten Anfängen und der Periode<lb/>
der Spaltung entwickeln, so dass der bunte Vocalismus im<lb/>
Sinne der neueren Forscher noch immer mit dem zusammen-<lb/>
gehen könnte, was wir eben zu erweisen suchten. Freilich<lb/>
erhielten wir unter dieser Voraussetzung eine ganz eigenthüm-<lb/>
liche Reihenfolge für die arischen Sprachen, bei denen ja der<lb/>
eintönige Vocalismus für die Zeit ihres besonderen Zusammen-<lb/>
lebens vollkommen feststeht. Wir erhielten nämlich für diese<lb/>
folgende Perioden des Vocalismus:</p><lb/>
        <p>1) Aelteste indogermanische Zeit. Das einheitliche <hi rendition="#i">a</hi> kann<lb/>
nur quantitativ, nicht qualitativ unterschieden werden. Es-<lb/>
hiess also <hi rendition="#i">vr&#x0323;kas</hi>, Voc. <hi rendition="#i">vr&#x0323;ka</hi>, <hi rendition="#i">agati</hi>, <hi rendition="#i">aganti</hi>, <hi rendition="#i">bharantam</hi> u. s. w.</p><lb/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0125] Da das Keltische das Suffix -a(n)t, z. B. altir. cara(n)t (Freund), und das Gotische die weitergebildete Stammform auf -anda bietet, z. B. bairands, so herrschte hier auch in Europa die grösste Mannichfaltigkeit. Aber wie zum Hohn finden wir hier wiederum in Asien den E-Laut. Zend: bareñtem = sanskrit: bharantam. Bei der Seltenheit von Stimmen, die sich jetzt für die ältere Hypothese aussprechen, führe ich hier ein Wort von Harlez an, Revue de linguistique Tom. XVII p. 82 (1884): „Zend. bareñtem est une altération d'un iranien ou aryaque primitif bharantam“. „Je reste convaincu, qu'apres avoir trop accordé au sanscrit, on tombe dans l'excès contraire, et qu'on ne trouvera point la vérité, tant qu'on n'aura point rétabli l'équilibre“. In der That bedarf es in den meisten Fällen nur der Anführung der Sanskritform, um jeden unbefangenen zu überzeugen, dass von ihr auszugehn ist. Es ist doch kein Zufall, dass erst diese Sprache in so reichem Masse uns den Blick in den Organismus auch des Griechischen erschloss. Aus dem hervorgehobenen schliessen wir, dass für die älteste oder Entstehungszeit der Ursprache der eintönige Voca- lismus anzunehmen ist. Folgt nun daraus, dass die Grund- sprache überhaupt kein ĕ und ŏ kannte? Allerdings nicht. Denn das kurze ĕ und ŏ konnte sich ja in der unzweifelhaft langen Zeit zwischen den ersten Anfängen und der Periode der Spaltung entwickeln, so dass der bunte Vocalismus im Sinne der neueren Forscher noch immer mit dem zusammen- gehen könnte, was wir eben zu erweisen suchten. Freilich erhielten wir unter dieser Voraussetzung eine ganz eigenthüm- liche Reihenfolge für die arischen Sprachen, bei denen ja der eintönige Vocalismus für die Zeit ihres besonderen Zusammen- lebens vollkommen feststeht. Wir erhielten nämlich für diese folgende Perioden des Vocalismus: 1) Aelteste indogermanische Zeit. Das einheitliche a kann nur quantitativ, nicht qualitativ unterschieden werden. Es- hiess also vṛkas, Voc. vṛka, agati, aganti, bharantam u. s. w.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/125
Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/125>, abgerufen am 25.04.2024.