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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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gleichmässiger dem arischen a gegenüber als o. Dass das
Lateinische mit seinem o dem Griechischen viel näher kommt
als die übrigen europäischen Sprachen, habe ich in der öfter
erwähnten Abhandlung gezeigt. Es sind dort 56 Fälle aufge-
führt, in welchen lateinisches o (u) griechischem o entspricht,
während die übrigen europäischen Sprachen abweichen. Und
wenn auch ein Theil dieser Fälle möglicherweise eine andere
Deutung zulässt, so halte ich doch das Ergebniss im ganzen
als vollkommen erwiesen und zähle die Uebereinstimmung im
O-Laut zu den Punkten, welche auf ein näheres Verhältniss
der beiden südeuropäischen Sprachfamilien unter einander hin-
weisen *) Auch diejenigen Gelehrten, welche die ursprüng-
liche Buntheit des Vocalismus behaupten, verkennen zum Theil
diese engere Verbindung zwischen Griechisch und Italisch nicht,
z. B. Saussure S. 51. 114, wobei ich namentlich auf die Er-
scheinung hinweise, die er mit dem Ausdruck "le phoneme A"
bezeichnet. Für die nördlichen Sprachen setzt er hier zwei
Vocale, nur für den Süden drei voraus. Ich erinnere z. B.
daran, dass dem lat. nox (griechisch nux) zwar im altir. in-
nocht
(heute Nacht) und im kslaw. nosti ein o, aber im got.
nahts, im lit. naktis ein a gegenübersteht, dass das griechische
posis dem lat. potis, aber got. faths und lit. pats entspricht.
Durch solche Erwägungen wird auch Fröhde in Bezzenberger's
Beiträgen V, 296 zu dem Urtheil gebracht sein: "Dass der
O-Laut schon indogermanisch sei, ist bis jetzt noch nicht er-
wiesen", während derselbe Gelehrte geneigt ist, dem kurzen
E-Laut ein so hohes Alter zuzuerkennen. Ich gebe gern zu,
dass die O-Hypothese in manchen der oben erwähnten Fälle
sich möglicherweise durch die Annahme erhärten lässt, das
nordeuropäische a sei aus kurzem o hervorgegangen. Denn

*) Bei der neuesten Untersuchung Brugmann's in Techmer's inter-
nationaler Zeitschrift H. 1 sind einige wesentliche Punkte übergangen, so
das gräcoitalische Dreisilbengesetz. Auf die Imperativformen komme ich
später zu sprechen.

gleichmässiger dem arischen a gegenüber als . Dass das
Lateinische mit seinem o dem Griechischen viel näher kommt
als die übrigen europäischen Sprachen, habe ich in der öfter
erwähnten Abhandlung gezeigt. Es sind dort 56 Fälle aufge-
führt, in welchen lateinisches o (u) griechischem o entspricht,
während die übrigen europäischen Sprachen abweichen. Und
wenn auch ein Theil dieser Fälle möglicherweise eine andere
Deutung zulässt, so halte ich doch das Ergebniss im ganzen
als vollkommen erwiesen und zähle die Uebereinstimmung im
O-Laut zu den Punkten, welche auf ein näheres Verhältniss
der beiden südeuropäischen Sprachfamilien unter einander hin-
weisen *) Auch diejenigen Gelehrten, welche die ursprüng-
liche Buntheit des Vocalismus behaupten, verkennen zum Theil
diese engere Verbindung zwischen Griechisch und Italisch nicht,
z. B. Saussure S. 51. 114, wobei ich namentlich auf die Er-
scheinung hinweise, die er mit dem Ausdruck „le phonème A"
bezeichnet. Für die nördlichen Sprachen setzt er hier zwei
Vocale, nur für den Süden drei voraus. Ich erinnere z. B.
daran, dass dem lat. nox (griechisch νύξ) zwar im altir. in-
nocht
(heute Nacht) und im kslaw. noštĭ ein o, aber im got.
nahts, im lit. naktίs ein a gegenübersteht, dass das griechische
πόσις dem lat. potis, aber got. faths und lit. pats entspricht.
Durch solche Erwägungen wird auch Fröhde in Bezzenberger's
Beiträgen V, 296 zu dem Urtheil gebracht sein: „Dass der
O-Laut schon indogermanisch sei, ist bis jetzt noch nicht er-
wiesen“, während derselbe Gelehrte geneigt ist, dem kurzen
E-Laut ein so hohes Alter zuzuerkennen. Ich gebe gern zu,
dass die O-Hypothese in manchen der oben erwähnten Fälle
sich möglicherweise durch die Annahme erhärten lässt, das
nordeuropäische a sei aus kurzem o hervorgegangen. Denn

*) Bei der neuesten Untersuchung Brugmann's in Techmer's inter-
nationaler Zeitschrift H. 1 sind einige wesentliche Punkte übergangen, so
das gräcoitalische Dreisilbengesetz. Auf die Imperativformen komme ich
später zu sprechen.
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[105/0113] gleichmässiger dem arischen a gegenüber als ŏ. Dass das Lateinische mit seinem o dem Griechischen viel näher kommt als die übrigen europäischen Sprachen, habe ich in der öfter erwähnten Abhandlung gezeigt. Es sind dort 56 Fälle aufge- führt, in welchen lateinisches o (u) griechischem o entspricht, während die übrigen europäischen Sprachen abweichen. Und wenn auch ein Theil dieser Fälle möglicherweise eine andere Deutung zulässt, so halte ich doch das Ergebniss im ganzen als vollkommen erwiesen und zähle die Uebereinstimmung im O-Laut zu den Punkten, welche auf ein näheres Verhältniss der beiden südeuropäischen Sprachfamilien unter einander hin- weisen *) Auch diejenigen Gelehrten, welche die ursprüng- liche Buntheit des Vocalismus behaupten, verkennen zum Theil diese engere Verbindung zwischen Griechisch und Italisch nicht, z. B. Saussure S. 51. 114, wobei ich namentlich auf die Er- scheinung hinweise, die er mit dem Ausdruck „le phonème A" bezeichnet. Für die nördlichen Sprachen setzt er hier zwei Vocale, nur für den Süden drei voraus. Ich erinnere z. B. daran, dass dem lat. nox (griechisch νύξ) zwar im altir. in- nocht (heute Nacht) und im kslaw. noštĭ ein o, aber im got. nahts, im lit. naktίs ein a gegenübersteht, dass das griechische πόσις dem lat. potis, aber got. faths und lit. pats entspricht. Durch solche Erwägungen wird auch Fröhde in Bezzenberger's Beiträgen V, 296 zu dem Urtheil gebracht sein: „Dass der O-Laut schon indogermanisch sei, ist bis jetzt noch nicht er- wiesen“, während derselbe Gelehrte geneigt ist, dem kurzen E-Laut ein so hohes Alter zuzuerkennen. Ich gebe gern zu, dass die O-Hypothese in manchen der oben erwähnten Fälle sich möglicherweise durch die Annahme erhärten lässt, das nordeuropäische a sei aus kurzem o hervorgegangen. Denn *) Bei der neuesten Untersuchung Brugmann's in Techmer's inter- nationaler Zeitschrift H. 1 sind einige wesentliche Punkte übergangen, so das gräcoitalische Dreisilbengesetz. Auf die Imperativformen komme ich später zu sprechen.

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/113>, abgerufen am 29.03.2024.