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Cundisius, Gottfried: Der Geistreiche Prophet Haggaj. Leipzig, 1648.

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Die andere Predigt/
der nunmehr erkanten Blösse. Anreichende das Erste/ lautet es
gar seltzam/ wenn gesagt wird/ daß allererst nach dem Fall unsern
ersten Eltern die Augen weren auffgethan worden. Denn da
möchte iemand bey sich gedencken: Wie soll ich dis verstehen? Sind
sie etwa zuvor blind gewesen? Zwar dis hat ihm träumen lassen der
Jüdische Geschichtschreiber Josephus, und dieser Meynung sind
gewesen etzliche der Rabbinen. Aber das wolte mit der Beschrei-
bung des Standes der Vnschuld/ und mit desselbigen Glückseligkeit
nicht überein kommen. Jm Gegentheil ist offenbar aus dem Text/
daß hier nicht beschrieben wird eine Wolthat/ die daraus entsprun-
gen were/ daß Adam und Eva von den Früchten des verbothenen
Baums gessen hetten/ sondern es wird vielmehr angedeutet eine
Straffe/ die darauff erfolget ist. Bißher hatte ihr Gewissen gl[e]ich-
sam in einem tieffen Schlaffe gelegen: nunmehr aber ist es auffge-
wecket/ und die Sünde rege worden/ daraus denn gekommen Angst
und Schmertzen. Wird gezielet theils auff die salsche Zusage des
Satans/ der in eine Schlange sich vermummet hatte/ theils auff
die Art und Weile der jenigen/ welche in einer Sünde begriff[e]n sind/
und dieselbige verüben. Der Teufel/ welcher durch die Schlange
geredet/ hatte Evam darauff vertröstet/ daß ihre und ihres Man-
nes Augen würden auffgethan werden/ ja daß sie würden seyn wie
Gott/ und wissen was gut und böse ist/
welches doch hernach
sich gar anders befunden/ wie der klägliche Ausgang zur gnüge dar-
gethan und erwiesen hat.

Die Menschen/ welche diese oder jene Sünde begehen/ sind
dermassen von den bösen affecten eingenommen/ daß es nicht an-
ders scheinet/ als weren sie blind und taub. Nach begangener Sün-
de werden ihnen die Augen wiederumb auffgethan/ daß sie sich für
den Leuten schämen müssen/ denen etwas von ihrer That bewust ist;
es findet sich wieder das Gehör/ in dem ihnen wird vorgebracht/ in
welche übele Nachrede sie gerathen sind. Das noch mehr ist/ so hö-
2. Sam. 24.
v.
10.
ren sie den Donner des Gesetzes/ der ihnen das Hertze rühret/
welches ihnen schlagt/ wie dort dem David/
2. Sam. 24. v. 10.

Es

Die andere Predigt/
der nunmehr erkanten Bloͤſſe. Anreichende das Erſte/ lautet es
gar ſeltzam/ wenn geſagt wird/ daß allererſt nach dem Fall unſern
erſten Eltern die Augen weren auffgethan worden. Denn da
moͤchte iemand bey ſich gedencken: Wie ſoll ich dis verſtehen? Sind
ſie etwa zuvor blind geweſen? Zwar dis hat ihm träumen laſſen der
Juͤdiſche Geſchichtſchreiber Joſephus, und dieſer Meynung ſind
geweſen etzliche der Rabbinen. Aber das wolte mit der Beſchrei-
bung des Standes der Vnſchuld/ und mit deſſelbigen Gluͤckſeligkeit
nicht uͤberein kommen. Jm Gegentheil iſt offenbar aus dem Text/
daß hier nicht beſchrieben wird eine Wolthat/ die daraus entſprun-
gen were/ daß Adam und Eva von den Fruͤchten des verbothenen
Baums geſſen hetten/ ſondern es wird vielmehr angedeutet eine
Straffe/ die darauff erfolget iſt. Bißher hatte ihr Gewiſſen gl[e]ich-
ſam in einem tieffen Schlaffe gelegen: nunmehr aber iſt es auffge-
wecket/ und die Suͤnde rege worden/ daraus denn gekommen Angſt
und Schmertzen. Wird gezielet theils auff die ſalſche Zuſage des
Satans/ der in eine Schlange ſich vermummet hatte/ theils auff
die Art und Weile der jenigen/ welche in einer Suͤnde begriff[e]n ſind/
und dieſelbige veruͤben. Der Teufel/ welcher durch die Schlange
geredet/ hatte Evam darauff vertroͤſtet/ daß ihre und ihres Man-
nes Augen wuͤrden auffgethan werden/ ja daß ſie wuͤrden ſeyn wie
Gott/ und wiſſen was gut und boͤſe iſt/
welches doch hernach
ſich gar anders befunden/ wie der klaͤgliche Ausgang zur gnuͤge dar-
gethan und erwieſen hat.

Die Menſchen/ welche dieſe oder jene Suͤnde begehen/ ſind
dermaſſen von den boͤſen affecten eingenommen/ daß es nicht an-
ders ſcheinet/ als weren ſie blind und taub. Nach begangener Suͤn-
de werden ihnen die Augen wiederumb auffgethan/ daß ſie ſich fuͤr
den Leuten ſchaͤmen muͤſſen/ denen etwas von ihrer That bewuſt iſt;
es findet ſich wieder das Gehoͤr/ in dem ihnen wird vorgebracht/ in
welche uͤbele Nachrede ſie gerathen ſind. Das noch mehr iſt/ ſo hoͤ-
2. Sam. 24.
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10.
ren ſie den Donner des Geſetzes/ der ihnen das Hertze ruͤhret/
welches ihnen ſchlågt/ wie dort dem David/
2. Sam. 24. v. 10.

Es
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[26/0046] Die andere Predigt/ der nunmehr erkanten Bloͤſſe. Anreichende das Erſte/ lautet es gar ſeltzam/ wenn geſagt wird/ daß allererſt nach dem Fall unſern erſten Eltern die Augen weren auffgethan worden. Denn da moͤchte iemand bey ſich gedencken: Wie ſoll ich dis verſtehen? Sind ſie etwa zuvor blind geweſen? Zwar dis hat ihm träumen laſſen der Juͤdiſche Geſchichtſchreiber Joſephus, und dieſer Meynung ſind geweſen etzliche der Rabbinen. Aber das wolte mit der Beſchrei- bung des Standes der Vnſchuld/ und mit deſſelbigen Gluͤckſeligkeit nicht uͤberein kommen. Jm Gegentheil iſt offenbar aus dem Text/ daß hier nicht beſchrieben wird eine Wolthat/ die daraus entſprun- gen were/ daß Adam und Eva von den Fruͤchten des verbothenen Baums geſſen hetten/ ſondern es wird vielmehr angedeutet eine Straffe/ die darauff erfolget iſt. Bißher hatte ihr Gewiſſen gleich- ſam in einem tieffen Schlaffe gelegen: nunmehr aber iſt es auffge- wecket/ und die Suͤnde rege worden/ daraus denn gekommen Angſt und Schmertzen. Wird gezielet theils auff die ſalſche Zuſage des Satans/ der in eine Schlange ſich vermummet hatte/ theils auff die Art und Weile der jenigen/ welche in einer Suͤnde begriffen ſind/ und dieſelbige veruͤben. Der Teufel/ welcher durch die Schlange geredet/ hatte Evam darauff vertroͤſtet/ daß ihre und ihres Man- nes Augen wuͤrden auffgethan werden/ ja daß ſie wuͤrden ſeyn wie Gott/ und wiſſen was gut und boͤſe iſt/ welches doch hernach ſich gar anders befunden/ wie der klaͤgliche Ausgang zur gnuͤge dar- gethan und erwieſen hat. Die Menſchen/ welche dieſe oder jene Suͤnde begehen/ ſind dermaſſen von den boͤſen affecten eingenommen/ daß es nicht an- ders ſcheinet/ als weren ſie blind und taub. Nach begangener Suͤn- de werden ihnen die Augen wiederumb auffgethan/ daß ſie ſich fuͤr den Leuten ſchaͤmen muͤſſen/ denen etwas von ihrer That bewuſt iſt; es findet ſich wieder das Gehoͤr/ in dem ihnen wird vorgebracht/ in welche uͤbele Nachrede ſie gerathen ſind. Das noch mehr iſt/ ſo hoͤ- ren ſie den Donner des Geſetzes/ der ihnen das Hertze ruͤhret/ welches ihnen ſchlågt/ wie dort dem David/ 2. Sam. 24. v. 10. Es 2. Sam. 24. v. 10.

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Zitationshilfe: Cundisius, Gottfried: Der Geistreiche Prophet Haggaj. Leipzig, 1648, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cundisius_predigten_1648/46>, abgerufen am 29.03.2024.