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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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Lei[b]esgesundheit -- mit der Kraft und Gesundheit
ihr[e]s Geistes jedoch war es ein Bissel schwächer be-
stell[t] -- und so redliche Mühe sich Adam zuweilen
auc[h] gab, dem edlen Blaublut die Geheimnisse des
"A[c]cusativi cum infinitivo" zu erschließen: im
Gr[u]nde erreichte er nur verdammt Wenig mit seiner
Ab[q]uälerei. Nach zwei Jahren hing er den Prä-
cept[o]rrock an den Nagel und zog von dannen. Er
hatt[e] sich wenigstens einige hundert Mark erspart
und war somit in der Lage, sich den Doctorhut,
welc[h]en zu tragen doch nun einmal unter Anderem
"a[u]ch" in das corpulente Pflichtenregister eines "aka-
dem[i]sch gebildeten" Menschen gehört, zu kaufen.
For[t]an durfte er sich also mit Fug und Recht die
sehr gewöhnliche Anrede "Herr Mensch" verbitten
und die jedenfalls wohllautendere "Herr Doctor"
verl[a]ngen. --

[A]n dem Progymnasium einer kleineren Pro-
vinz[i]alstadt absolvirte er sein Probejahr. Hier
wur[d]e das Maß voll. Adam konnte durchaus nicht
begr[e]ifen, warum er seinen Schülern außer den
inte[r]essanten Anfangsgründen der lateinischen Syn-
tax auch noch die Schönheiten alttestamentlicher
My[t]hen, Märchen und mindestens sonderbarer Opfer-
gesch[i]chten zu Gemüthe führen sollte. Zudem ekelten
ihn [d]ie kleinen und engen Verhältnisse dieser lobe-
same[n] Spießerwelt unbeschreiblich an. Und so schnitt
er d[a]s Tafeltuch zwischen sich und einer soliden, ge-
sicher[t]en Zukunft entzwei -- einer Zukunft, welche
so g[e]rn eine der reizenden Honoratiorentöchter des

C[o]nradi, Adam Mensch. 2

Lei[b]esgeſundheit — mit der Kraft und Geſundheit
ihr[e]s Geiſtes jedoch war es ein Biſſel ſchwächer be-
ſtell[t] — und ſo redliche Mühe ſich Adam zuweilen
auc[h] gab, dem edlen Blaublut die Geheimniſſe des
A[c]cusativi cum infinitivo“ zu erſchließen: im
Gr[u]nde erreichte er nur verdammt Wenig mit ſeiner
Ab[q]uälerei. Nach zwei Jahren hing er den Prä-
cept[o]rrock an den Nagel und zog von dannen. Er
hatt[e] ſich wenigſtens einige hundert Mark erſpart
und war ſomit in der Lage, ſich den Doctorhut,
welc[h]en zu tragen doch nun einmal unter Anderem
a[u]ch“ in das corpulente Pflichtenregiſter eines „aka-
dem[i]ſch gebildeten“ Menſchen gehört, zu kaufen.
For[t]an durfte er ſich alſo mit Fug und Recht die
ſehr gewöhnliche Anrede „Herr Menſch“ verbitten
und die jedenfalls wohllautendere „Herr Doctor“
verl[a]ngen. —

[A]n dem Progymnaſium einer kleineren Pro-
vinz[i]alſtadt abſolvirte er ſein Probejahr. Hier
wur[d]e das Maß voll. Adam konnte durchaus nicht
begr[e]ifen, warum er ſeinen Schülern außer den
inte[r]eſſanten Anfangsgründen der lateiniſchen Syn-
tax auch noch die Schönheiten altteſtamentlicher
My[t]hen, Märchen und mindeſtens ſonderbarer Opfer-
geſch[i]chten zu Gemüthe führen ſollte. Zudem ekelten
ihn [d]ie kleinen und engen Verhältniſſe dieſer lobe-
ſame[n] Spießerwelt unbeſchreiblich an. Und ſo ſchnitt
er d[a]s Tafeltuch zwiſchen ſich und einer ſoliden, ge-
ſicher[t]en Zukunft entzwei — einer Zukunft, welche
ſo g[e]rn eine der reizenden Honoratiorentöchter des

C[o]nradi, Adam Menſch. 2
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[17/0025] Leibesgeſundheit — mit der Kraft und Geſundheit ihres Geiſtes jedoch war es ein Biſſel ſchwächer be- ſtellt — und ſo redliche Mühe ſich Adam zuweilen auch gab, dem edlen Blaublut die Geheimniſſe des „Accusativi cum infinitivo“ zu erſchließen: im Grunde erreichte er nur verdammt Wenig mit ſeiner Abquälerei. Nach zwei Jahren hing er den Prä- ceptorrock an den Nagel und zog von dannen. Er hatte ſich wenigſtens einige hundert Mark erſpart und war ſomit in der Lage, ſich den Doctorhut, welchen zu tragen doch nun einmal unter Anderem „auch“ in das corpulente Pflichtenregiſter eines „aka- demiſch gebildeten“ Menſchen gehört, zu kaufen. Fortan durfte er ſich alſo mit Fug und Recht die ſehr gewöhnliche Anrede „Herr Menſch“ verbitten und die jedenfalls wohllautendere „Herr Doctor“ verlangen. — An dem Progymnaſium einer kleineren Pro- vinzialſtadt abſolvirte er ſein Probejahr. Hier wurde das Maß voll. Adam konnte durchaus nicht begreifen, warum er ſeinen Schülern außer den intereſſanten Anfangsgründen der lateiniſchen Syn- tax auch noch die Schönheiten altteſtamentlicher Mythen, Märchen und mindeſtens ſonderbarer Opfer- geſchichten zu Gemüthe führen ſollte. Zudem ekelten ihn die kleinen und engen Verhältniſſe dieſer lobe- ſamen Spießerwelt unbeſchreiblich an. Und ſo ſchnitt er das Tafeltuch zwiſchen ſich und einer ſoliden, ge- ſicherten Zukunft entzwei — einer Zukunft, welche ſo gern eine der reizenden Honoratiorentöchter des Conradi, Adam Menſch. 2

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/25>, abgerufen am 29.03.2024.