Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_503.001
schwebt als ein unbegreifliches Geheimniß über dem Ganzen. p2c_503.002
Sie ist geistigen Ursprungs, und muß also in nächtliche p2c_503.003
Mysterien eingehüllt bleiben. Sie ist ein Wunder, sie darf p2c_503.004
also für profanen Augen nicht zu durchschauen seyn. Ein p2c_503.005
neuerer Gegner der Bibel, welcher seine Gemeinheit besonders p2c_503.006
dadurch beurkundet, daß er vom Christus verlangt, er p2c_503.007
hätte seine höhere Offenbarung unter Donner und Blitz geben p2c_503.008
sollen, dann würde sie überzeugend gewesen seyn, dieser p2c_503.009
meynt, die Gottheit Christi aus dem geringen Stande, in p2c_503.010
welchem er gebohren worden, zu widerlegen. Wir alle, p2c_503.011
meynt er, würden, wenn wir die Wahl gehabt hätten, zum p2c_503.012
mindesten Kaiser geworden seyn. Allein gerade dies beurkundet p2c_503.013
die Gottheit Christi, daß sein gestiftetes Reich als p2c_503.014
ein geistiges und der weltlichen Macht entgegengesetztes erscheint. p2c_503.015
Denn wir beten nicht den Gott der physischen p2c_503.016
Macht, wir beten den heiligen und wahren an, dem p2c_503.017
die physische Macht selbst auch in dieser Welt unterworfen p2c_503.018
seyn sollte. Wäre Christus als August gebohren, p2c_503.019
und hätte seine Religion unter dem Siegel der Reichsgesetze p2c_503.020
verbreitet, so hätte es niemals Märtyrer, sondern nur Christen p2c_503.021
mit den Lippen gegeben, wie wir leider späterhin aufzuweisen p2c_503.022
haben, als die christliche Religion zur Staatsreligion p2c_503.023
wurde. 4) Dieser idealen Weltgeschichte letzter Zweck p2c_503.024
muß seyn, ein Muster der Tugend im Lichte der höchsten p2c_503.025
Schönheit darzustellen, und durch dies Anschaun der göttlichen p2c_503.026
Freyheit
in Menschengestalt, eine fortdauernde p2c_503.027
Andacht zu erwecken. Sie darf also nicht blos phantastisch, p2c_503.028
sie muß zugleich moralisch seyn. Die Religionsurkunden

p2c_503.001
schwebt als ein unbegreifliches Geheimniß über dem Ganzen. p2c_503.002
Sie ist geistigen Ursprungs, und muß also in nächtliche p2c_503.003
Mysterien eingehüllt bleiben. Sie ist ein Wunder, sie darf p2c_503.004
also für profanen Augen nicht zu durchschauen seyn. Ein p2c_503.005
neuerer Gegner der Bibel, welcher seine Gemeinheit besonders p2c_503.006
dadurch beurkundet, daß er vom Christus verlangt, er p2c_503.007
hätte seine höhere Offenbarung unter Donner und Blitz geben p2c_503.008
sollen, dann würde sie überzeugend gewesen seyn, dieser p2c_503.009
meynt, die Gottheit Christi aus dem geringen Stande, in p2c_503.010
welchem er gebohren worden, zu widerlegen. Wir alle, p2c_503.011
meynt er, würden, wenn wir die Wahl gehabt hätten, zum p2c_503.012
mindesten Kaiser geworden seyn. Allein gerade dies beurkundet p2c_503.013
die Gottheit Christi, daß sein gestiftetes Reich als p2c_503.014
ein geistiges und der weltlichen Macht entgegengesetztes erscheint. p2c_503.015
Denn wir beten nicht den Gott der physischen p2c_503.016
Macht, wir beten den heiligen und wahren an, dem p2c_503.017
die physische Macht selbst auch in dieser Welt unterworfen p2c_503.018
seyn sollte. Wäre Christus als August gebohren, p2c_503.019
und hätte seine Religion unter dem Siegel der Reichsgesetze p2c_503.020
verbreitet, so hätte es niemals Märtyrer, sondern nur Christen p2c_503.021
mit den Lippen gegeben, wie wir leider späterhin aufzuweisen p2c_503.022
haben, als die christliche Religion zur Staatsreligion p2c_503.023
wurde. 4) Dieser idealen Weltgeschichte letzter Zweck p2c_503.024
muß seyn, ein Muster der Tugend im Lichte der höchsten p2c_503.025
Schönheit darzustellen, und durch dies Anschaun der göttlichen p2c_503.026
Freyheit
in Menschengestalt, eine fortdauernde p2c_503.027
Andacht zu erwecken. Sie darf also nicht blos phantastisch, p2c_503.028
sie muß zugleich moralisch seyn. Die Religionsurkunden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="503"/><lb n="p2c_503.001"/>
schwebt als ein unbegreifliches Geheimniß über dem Ganzen. <lb n="p2c_503.002"/>
Sie ist <hi rendition="#g">geistigen</hi> Ursprungs, und muß also in nächtliche <lb n="p2c_503.003"/>
Mysterien eingehüllt bleiben. Sie ist ein Wunder, sie darf <lb n="p2c_503.004"/>
also für profanen Augen nicht zu durchschauen seyn. Ein <lb n="p2c_503.005"/>
neuerer Gegner der Bibel, welcher seine Gemeinheit besonders <lb n="p2c_503.006"/>
dadurch beurkundet, daß er vom Christus verlangt, er <lb n="p2c_503.007"/>
hätte seine höhere Offenbarung unter Donner und Blitz geben <lb n="p2c_503.008"/>
sollen, dann würde sie überzeugend gewesen seyn, dieser <lb n="p2c_503.009"/>
meynt, die Gottheit Christi aus dem geringen Stande, in <lb n="p2c_503.010"/>
welchem er gebohren worden, zu widerlegen. Wir alle, <lb n="p2c_503.011"/>
meynt er, würden, wenn wir die Wahl gehabt hätten, zum <lb n="p2c_503.012"/>
mindesten Kaiser geworden seyn. Allein gerade dies beurkundet <lb n="p2c_503.013"/>
die Gottheit Christi, daß sein gestiftetes Reich als <lb n="p2c_503.014"/>
ein geistiges und der weltlichen Macht entgegengesetztes erscheint. <lb n="p2c_503.015"/>
Denn wir beten nicht den <hi rendition="#g">Gott</hi> der physischen <lb n="p2c_503.016"/>
Macht, wir beten den <hi rendition="#g">heiligen</hi> und <hi rendition="#g">wahren</hi> an, dem <lb n="p2c_503.017"/>
die physische Macht selbst auch in dieser Welt unterworfen <lb n="p2c_503.018"/>
seyn sollte. Wäre Christus als August gebohren, <lb n="p2c_503.019"/>
und hätte seine Religion unter dem Siegel der Reichsgesetze <lb n="p2c_503.020"/>
verbreitet, so hätte es niemals Märtyrer, sondern nur Christen <lb n="p2c_503.021"/>
mit den Lippen gegeben, wie wir leider späterhin aufzuweisen <lb n="p2c_503.022"/>
haben, als die christliche Religion zur Staatsreligion <lb n="p2c_503.023"/>
wurde. 4) Dieser idealen Weltgeschichte letzter Zweck <lb n="p2c_503.024"/>
muß seyn, ein Muster der Tugend im Lichte der höchsten <lb n="p2c_503.025"/>
Schönheit darzustellen, und durch dies Anschaun der <hi rendition="#g">göttlichen <lb n="p2c_503.026"/>
Freyheit</hi> in Menschengestalt, eine fortdauernde <lb n="p2c_503.027"/> <hi rendition="#g">Andacht</hi> zu erwecken. Sie darf also nicht blos <hi rendition="#g">phantastisch,</hi> <lb n="p2c_503.028"/>
sie muß zugleich <hi rendition="#g">moralisch</hi> seyn. Die Religionsurkunden
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[503/0027] p2c_503.001 schwebt als ein unbegreifliches Geheimniß über dem Ganzen. p2c_503.002 Sie ist geistigen Ursprungs, und muß also in nächtliche p2c_503.003 Mysterien eingehüllt bleiben. Sie ist ein Wunder, sie darf p2c_503.004 also für profanen Augen nicht zu durchschauen seyn. Ein p2c_503.005 neuerer Gegner der Bibel, welcher seine Gemeinheit besonders p2c_503.006 dadurch beurkundet, daß er vom Christus verlangt, er p2c_503.007 hätte seine höhere Offenbarung unter Donner und Blitz geben p2c_503.008 sollen, dann würde sie überzeugend gewesen seyn, dieser p2c_503.009 meynt, die Gottheit Christi aus dem geringen Stande, in p2c_503.010 welchem er gebohren worden, zu widerlegen. Wir alle, p2c_503.011 meynt er, würden, wenn wir die Wahl gehabt hätten, zum p2c_503.012 mindesten Kaiser geworden seyn. Allein gerade dies beurkundet p2c_503.013 die Gottheit Christi, daß sein gestiftetes Reich als p2c_503.014 ein geistiges und der weltlichen Macht entgegengesetztes erscheint. p2c_503.015 Denn wir beten nicht den Gott der physischen p2c_503.016 Macht, wir beten den heiligen und wahren an, dem p2c_503.017 die physische Macht selbst auch in dieser Welt unterworfen p2c_503.018 seyn sollte. Wäre Christus als August gebohren, p2c_503.019 und hätte seine Religion unter dem Siegel der Reichsgesetze p2c_503.020 verbreitet, so hätte es niemals Märtyrer, sondern nur Christen p2c_503.021 mit den Lippen gegeben, wie wir leider späterhin aufzuweisen p2c_503.022 haben, als die christliche Religion zur Staatsreligion p2c_503.023 wurde. 4) Dieser idealen Weltgeschichte letzter Zweck p2c_503.024 muß seyn, ein Muster der Tugend im Lichte der höchsten p2c_503.025 Schönheit darzustellen, und durch dies Anschaun der göttlichen p2c_503.026 Freyheit in Menschengestalt, eine fortdauernde p2c_503.027 Andacht zu erwecken. Sie darf also nicht blos phantastisch, p2c_503.028 sie muß zugleich moralisch seyn. Die Religionsurkunden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/27
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/27>, abgerufen am 29.03.2024.