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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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vernichten müssen damit er uns nicht vernichte, sondern
die Sache wird oft wie ein Handelsgeschäft abgemacht;
ein jeder legt, nach Verhältniß der Gefahr die er zu be-
stehen und der Vortheile die er zu erwarten hat, eine Aktie
von 30- bis 40,000 Mann ein und thut als könne er
Nichts als diese dabei verlieren.

Dieser Gesichtspunkt findet nicht bloß dann statt wenn
ein Staat dem andern in einer Angelegenheit beispringt
die ihm ziemlich fremd ist, sondern selbst dann wenn
beide ein gemeinsames großes Interesse haben, kann es
ohne diplomatischen Rückhalt nicht abgehn, und die Unter-
handelnden pflegen sich nur zu einem geringen traktatenmä-
ßigen Beistand zu verstehen, um das Übrige ihrer kriege-
rischen Kräfte nach den besonderen Rücksichten zu gebrau-
chen, zu welchen die Politik etwa führen könnte.

Diese Art den Bündnißkrieg zu betrachten war ganz
allgemein, und hat nur in der neuesten Zeit, wo die äußerste Ge-
fahr die Gemüther in die natürlichen Wege hineintrieb, wie
gegen Bonaparte, und wo schrankenlose Gewalt sie hinein
zwang, wie mit Bonaparte, der natürlichen weichen müssen.
Sie ist eine Halbheit, eine Anomalie, denn Krieg und
Friede sind im Grunde Begriffe die keiner Gradation
fähig sind; aber sie ist nichts desto weniger kein bloßes
diplomatisches Herkommen über welches sich die Vernunft
hinwegsetzen könnte, sondern tief in der natürlichen Be-
schränktheit und Schwäche des Menschen gegründet.

Endlich hat auch im eigenen Kriege die politische
Veranlassung desselben einen mächtigen Einfluß auf seine
Führung.

Wollen wir vom Feinde nur ein geringes Opfer, so
begnügen wir uns durch den Krieg nur ein geringes
Äquivalent zu gewinnen, und dazu glauben wir mit mäßi-

vernichten muͤſſen damit er uns nicht vernichte, ſondern
die Sache wird oft wie ein Handelsgeſchaͤft abgemacht;
ein jeder legt, nach Verhaͤltniß der Gefahr die er zu be-
ſtehen und der Vortheile die er zu erwarten hat, eine Aktie
von 30- bis 40,000 Mann ein und thut als koͤnne er
Nichts als dieſe dabei verlieren.

Dieſer Geſichtspunkt findet nicht bloß dann ſtatt wenn
ein Staat dem andern in einer Angelegenheit beiſpringt
die ihm ziemlich fremd iſt, ſondern ſelbſt dann wenn
beide ein gemeinſames großes Intereſſe haben, kann es
ohne diplomatiſchen Ruͤckhalt nicht abgehn, und die Unter-
handelnden pflegen ſich nur zu einem geringen traktatenmaͤ-
ßigen Beiſtand zu verſtehen, um das Übrige ihrer kriege-
riſchen Kraͤfte nach den beſonderen Ruͤckſichten zu gebrau-
chen, zu welchen die Politik etwa fuͤhren koͤnnte.

Dieſe Art den Buͤndnißkrieg zu betrachten war ganz
allgemein, und hat nur in der neueſten Zeit, wo die aͤußerſte Ge-
fahr die Gemuͤther in die natuͤrlichen Wege hineintrieb, wie
gegen Bonaparte, und wo ſchrankenloſe Gewalt ſie hinein
zwang, wie mit Bonaparte, der natuͤrlichen weichen muͤſſen.
Sie iſt eine Halbheit, eine Anomalie, denn Krieg und
Friede ſind im Grunde Begriffe die keiner Gradation
faͤhig ſind; aber ſie iſt nichts deſto weniger kein bloßes
diplomatiſches Herkommen uͤber welches ſich die Vernunft
hinwegſetzen koͤnnte, ſondern tief in der natuͤrlichen Be-
ſchraͤnktheit und Schwaͤche des Menſchen gegruͤndet.

Endlich hat auch im eigenen Kriege die politiſche
Veranlaſſung deſſelben einen maͤchtigen Einfluß auf ſeine
Fuͤhrung.

Wollen wir vom Feinde nur ein geringes Opfer, ſo
begnuͤgen wir uns durch den Krieg nur ein geringes
Äquivalent zu gewinnen, und dazu glauben wir mit maͤßi-

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[137/0151] vernichten muͤſſen damit er uns nicht vernichte, ſondern die Sache wird oft wie ein Handelsgeſchaͤft abgemacht; ein jeder legt, nach Verhaͤltniß der Gefahr die er zu be- ſtehen und der Vortheile die er zu erwarten hat, eine Aktie von 30- bis 40,000 Mann ein und thut als koͤnne er Nichts als dieſe dabei verlieren. Dieſer Geſichtspunkt findet nicht bloß dann ſtatt wenn ein Staat dem andern in einer Angelegenheit beiſpringt die ihm ziemlich fremd iſt, ſondern ſelbſt dann wenn beide ein gemeinſames großes Intereſſe haben, kann es ohne diplomatiſchen Ruͤckhalt nicht abgehn, und die Unter- handelnden pflegen ſich nur zu einem geringen traktatenmaͤ- ßigen Beiſtand zu verſtehen, um das Übrige ihrer kriege- riſchen Kraͤfte nach den beſonderen Ruͤckſichten zu gebrau- chen, zu welchen die Politik etwa fuͤhren koͤnnte. Dieſe Art den Buͤndnißkrieg zu betrachten war ganz allgemein, und hat nur in der neueſten Zeit, wo die aͤußerſte Ge- fahr die Gemuͤther in die natuͤrlichen Wege hineintrieb, wie gegen Bonaparte, und wo ſchrankenloſe Gewalt ſie hinein zwang, wie mit Bonaparte, der natuͤrlichen weichen muͤſſen. Sie iſt eine Halbheit, eine Anomalie, denn Krieg und Friede ſind im Grunde Begriffe die keiner Gradation faͤhig ſind; aber ſie iſt nichts deſto weniger kein bloßes diplomatiſches Herkommen uͤber welches ſich die Vernunft hinwegſetzen koͤnnte, ſondern tief in der natuͤrlichen Be- ſchraͤnktheit und Schwaͤche des Menſchen gegruͤndet. Endlich hat auch im eigenen Kriege die politiſche Veranlaſſung deſſelben einen maͤchtigen Einfluß auf ſeine Fuͤhrung. Wollen wir vom Feinde nur ein geringes Opfer, ſo begnuͤgen wir uns durch den Krieg nur ein geringes Äquivalent zu gewinnen, und dazu glauben wir mit maͤßi-

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/151>, abgerufen am 23.04.2024.