Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

den Staat ansah, ein bloßes Geschäft der Regierungen,
welches sie vermittelst der Thaler in ihrem Koffer und
der müßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten
Provinzen zu Stande brachten. Die Folge war, daß die
Mittel, welche sie aufbieten konnten, ein ziemlich bestimmtes
Maaß hatten, welches die eine von der andern gegenseitig
übersehen konnte, und zwar ein Maaß, sowohl ihrem Um-
fang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die
gefährlichste seiner Seiten: nämlich das Bestreben zu dem
Äußersten, und die dunkle Reihe von Möglichkeiten die
sich daran knüpft.

Man kannte ungefähr die Geldmittel, den Schatz,
den Kredit seines Gegners; man kannte die Größe seines
Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des
Krieges waren nicht thunlich. Indem man so die Grenzen
der feindlichen Kräfte übersah, wußte man sich vor einem
gänzlichen Untergange ziemlich sicher, und indem man die
Beschränkung der eigenen fühlte, sah man sich auf ein
mäßiges Ziel zurückgewiesen. Vor dem Äußersten geschützt,
brauchte man nicht mehr das Äußerste zu wagen. Die
Nothwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte also nur
der Muth und Ehrgeiz dazu treiben. Aber diese fanden
in den Staatsverhältnissen ein mächtiges Gegengewicht.
Selbst die königlichen Feldherren mußten behutsam mit
dem Kriegsinstrumente umgehen. Wenn das Heer zer-
trümmert wurde, so war kein neues zu beschaffen, und
außer dem Heere gab es Nichts. Dies heischte große
Vorsicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn sich ein
entschiedener Vortheil zu ergeben schien, machte man Ge-
brauch von der kostbaren Sache; diesen herbeizuführen war
eine Kunst des Feldherrn; so lange aber wie er nicht her-
beigeführt war, schwebte man gewissermaßen im absoluten

Nichts,

den Staat anſah, ein bloßes Geſchaͤft der Regierungen,
welches ſie vermittelſt der Thaler in ihrem Koffer und
der muͤßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten
Provinzen zu Stande brachten. Die Folge war, daß die
Mittel, welche ſie aufbieten konnten, ein ziemlich beſtimmtes
Maaß hatten, welches die eine von der andern gegenſeitig
uͤberſehen konnte, und zwar ein Maaß, ſowohl ihrem Um-
fang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die
gefaͤhrlichſte ſeiner Seiten: naͤmlich das Beſtreben zu dem
Äußerſten, und die dunkle Reihe von Moͤglichkeiten die
ſich daran knuͤpft.

Man kannte ungefaͤhr die Geldmittel, den Schatz,
den Kredit ſeines Gegners; man kannte die Groͤße ſeines
Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des
Krieges waren nicht thunlich. Indem man ſo die Grenzen
der feindlichen Kraͤfte uͤberſah, wußte man ſich vor einem
gaͤnzlichen Untergange ziemlich ſicher, und indem man die
Beſchraͤnkung der eigenen fuͤhlte, ſah man ſich auf ein
maͤßiges Ziel zuruͤckgewieſen. Vor dem Äußerſten geſchuͤtzt,
brauchte man nicht mehr das Äußerſte zu wagen. Die
Nothwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte alſo nur
der Muth und Ehrgeiz dazu treiben. Aber dieſe fanden
in den Staatsverhaͤltniſſen ein maͤchtiges Gegengewicht.
Selbſt die koͤniglichen Feldherren mußten behutſam mit
dem Kriegsinſtrumente umgehen. Wenn das Heer zer-
truͤmmert wurde, ſo war kein neues zu beſchaffen, und
außer dem Heere gab es Nichts. Dies heiſchte große
Vorſicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn ſich ein
entſchiedener Vortheil zu ergeben ſchien, machte man Ge-
brauch von der koſtbaren Sache; dieſen herbeizufuͤhren war
eine Kunſt des Feldherrn; ſo lange aber wie er nicht her-
beigefuͤhrt war, ſchwebte man gewiſſermaßen im abſoluten

Nichts,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="112"/>
den Staat an&#x017F;ah, ein bloßes Ge&#x017F;cha&#x0364;ft der Regierungen,<lb/>
welches &#x017F;ie vermittel&#x017F;t der Thaler in ihrem Koffer und<lb/>
der mu&#x0364;ßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten<lb/>
Provinzen zu Stande brachten. Die Folge war, daß die<lb/>
Mittel, welche &#x017F;ie aufbieten konnten, ein ziemlich be&#x017F;timmtes<lb/>
Maaß hatten, welches die eine von der andern gegen&#x017F;eitig<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;ehen konnte, und zwar ein Maaß, &#x017F;owohl ihrem Um-<lb/>
fang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die<lb/>
gefa&#x0364;hrlich&#x017F;te &#x017F;einer Seiten: na&#x0364;mlich das Be&#x017F;treben zu dem<lb/>
Äußer&#x017F;ten, und die dunkle Reihe von Mo&#x0364;glichkeiten die<lb/>
&#x017F;ich daran knu&#x0364;pft.</p><lb/>
          <p>Man kannte ungefa&#x0364;hr die Geldmittel, den Schatz,<lb/>
den Kredit &#x017F;eines Gegners; man kannte die Gro&#x0364;ße &#x017F;eines<lb/>
Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des<lb/>
Krieges waren nicht thunlich. Indem man &#x017F;o die Grenzen<lb/>
der feindlichen Kra&#x0364;fte u&#x0364;ber&#x017F;ah, wußte man &#x017F;ich vor einem<lb/>
ga&#x0364;nzlichen Untergange ziemlich &#x017F;icher, und indem man die<lb/>
Be&#x017F;chra&#x0364;nkung der eigenen fu&#x0364;hlte, &#x017F;ah man &#x017F;ich auf ein<lb/>
ma&#x0364;ßiges Ziel zuru&#x0364;ckgewie&#x017F;en. Vor dem Äußer&#x017F;ten ge&#x017F;chu&#x0364;tzt,<lb/>
brauchte man nicht mehr das Äußer&#x017F;te zu wagen. Die<lb/>
Nothwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte al&#x017F;o nur<lb/>
der Muth und Ehrgeiz dazu treiben. Aber die&#x017F;e fanden<lb/>
in den Staatsverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en ein ma&#x0364;chtiges Gegengewicht.<lb/>
Selb&#x017F;t die ko&#x0364;niglichen Feldherren mußten behut&#x017F;am mit<lb/>
dem Kriegsin&#x017F;trumente umgehen. Wenn das Heer zer-<lb/>
tru&#x0364;mmert wurde, &#x017F;o war kein neues zu be&#x017F;chaffen, und<lb/>
außer dem Heere gab es Nichts. Dies hei&#x017F;chte große<lb/>
Vor&#x017F;icht bei allen Unternehmungen. Nur wenn &#x017F;ich ein<lb/>
ent&#x017F;chiedener Vortheil zu ergeben &#x017F;chien, machte man Ge-<lb/>
brauch von der ko&#x017F;tbaren Sache; die&#x017F;en herbeizufu&#x0364;hren war<lb/>
eine Kun&#x017F;t des Feldherrn; &#x017F;o lange aber wie er nicht her-<lb/>
beigefu&#x0364;hrt war, &#x017F;chwebte man gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen im ab&#x017F;oluten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Nichts,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0126] den Staat anſah, ein bloßes Geſchaͤft der Regierungen, welches ſie vermittelſt der Thaler in ihrem Koffer und der muͤßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten Provinzen zu Stande brachten. Die Folge war, daß die Mittel, welche ſie aufbieten konnten, ein ziemlich beſtimmtes Maaß hatten, welches die eine von der andern gegenſeitig uͤberſehen konnte, und zwar ein Maaß, ſowohl ihrem Um- fang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die gefaͤhrlichſte ſeiner Seiten: naͤmlich das Beſtreben zu dem Äußerſten, und die dunkle Reihe von Moͤglichkeiten die ſich daran knuͤpft. Man kannte ungefaͤhr die Geldmittel, den Schatz, den Kredit ſeines Gegners; man kannte die Groͤße ſeines Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des Krieges waren nicht thunlich. Indem man ſo die Grenzen der feindlichen Kraͤfte uͤberſah, wußte man ſich vor einem gaͤnzlichen Untergange ziemlich ſicher, und indem man die Beſchraͤnkung der eigenen fuͤhlte, ſah man ſich auf ein maͤßiges Ziel zuruͤckgewieſen. Vor dem Äußerſten geſchuͤtzt, brauchte man nicht mehr das Äußerſte zu wagen. Die Nothwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte alſo nur der Muth und Ehrgeiz dazu treiben. Aber dieſe fanden in den Staatsverhaͤltniſſen ein maͤchtiges Gegengewicht. Selbſt die koͤniglichen Feldherren mußten behutſam mit dem Kriegsinſtrumente umgehen. Wenn das Heer zer- truͤmmert wurde, ſo war kein neues zu beſchaffen, und außer dem Heere gab es Nichts. Dies heiſchte große Vorſicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn ſich ein entſchiedener Vortheil zu ergeben ſchien, machte man Ge- brauch von der koſtbaren Sache; dieſen herbeizufuͤhren war eine Kunſt des Feldherrn; ſo lange aber wie er nicht her- beigefuͤhrt war, ſchwebte man gewiſſermaßen im abſoluten Nichts,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/126
Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/126>, abgerufen am 23.04.2024.