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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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vorgeschritten, bis der Gegner niederlag; und fast eben
so rastlos sind die Rückschläge erfolgt. Ist es nicht na-
türlich und nothwendig, daß uns diese Erscheinung auf
den ursprünglichen Begriff des Krieges mit allen strengen
Folgerungen zurückführt?

Sollen wir nun dabei stehen bleiben und alle Kriege,
wie sehr sie sich auch davon entfernen, darnach beurtheilen?
Alle Forderungen der Theorie daraus ableiten?

Wir müssen uns jetzt darin entscheiden, denn wir
können kein gescheutes Wort vom Kriegsplan sagen, ohne
bei uns selbst ausgemacht zu haben, ob der Krieg nur so
sein soll oder noch anders sein kann.

Wenn wir uns zu dem Ersteren entschließen, wird
unsere Theorie sich überall dem Nothwendigen mehr nähern,
mehr eine klare abgemachte Sache sein. Aber was sollen
wir dann zu allen Kriegen sagen, welche seit Alexander
und einigem Feldzügen der Römer bis auf Bonaparte ge-
führt worden sind? Wir mußten sie in Pausch und
Bogen verwerfen und konnten es doch vielleicht nicht ohne
uns unserer Anmaßung zu schämen. Was aber schlimm
ist, wir mußten uns sagen daß im nächsten Jahrzehend
vielleicht wieder ein Krieg der Art da sein wird, unserer
Theorie zum Trotz, und daß diese Theorie mit einer
starken Logik doch sehr ohnmächtig bleibt gegen die Ge-
walt der Umstände. Wir werden uns also dazu verstehen
müssen, den Krieg wie er sein soll, nicht aus seinem
bloßen Begriff zu konstruiren, sondern allem Fremdartigen,
was sich darin einmischt und daransetzt, seinen Platz zu
lassen, aller natürlichen Schwere und Reibung der Theile,
der ganzen Inkonsequenz, Unklarheit und Verzagtheit des
menschlichen Geistes; wir werden die Ansicht fassen müssen,
daß der Krieg und die Gestalt welche man ihm giebt,

vorgeſchritten, bis der Gegner niederlag; und faſt eben
ſo raſtlos ſind die Ruͤckſchlaͤge erfolgt. Iſt es nicht na-
tuͤrlich und nothwendig, daß uns dieſe Erſcheinung auf
den urſpruͤnglichen Begriff des Krieges mit allen ſtrengen
Folgerungen zuruͤckfuͤhrt?

Sollen wir nun dabei ſtehen bleiben und alle Kriege,
wie ſehr ſie ſich auch davon entfernen, darnach beurtheilen?
Alle Forderungen der Theorie daraus ableiten?

Wir muͤſſen uns jetzt darin entſcheiden, denn wir
koͤnnen kein geſcheutes Wort vom Kriegsplan ſagen, ohne
bei uns ſelbſt ausgemacht zu haben, ob der Krieg nur ſo
ſein ſoll oder noch anders ſein kann.

Wenn wir uns zu dem Erſteren entſchließen, wird
unſere Theorie ſich uͤberall dem Nothwendigen mehr naͤhern,
mehr eine klare abgemachte Sache ſein. Aber was ſollen
wir dann zu allen Kriegen ſagen, welche ſeit Alexander
und einigem Feldzuͤgen der Roͤmer bis auf Bonaparte ge-
fuͤhrt worden ſind? Wir mußten ſie in Pauſch und
Bogen verwerfen und konnten es doch vielleicht nicht ohne
uns unſerer Anmaßung zu ſchaͤmen. Was aber ſchlimm
iſt, wir mußten uns ſagen daß im naͤchſten Jahrzehend
vielleicht wieder ein Krieg der Art da ſein wird, unſerer
Theorie zum Trotz, und daß dieſe Theorie mit einer
ſtarken Logik doch ſehr ohnmaͤchtig bleibt gegen die Ge-
walt der Umſtaͤnde. Wir werden uns alſo dazu verſtehen
muͤſſen, den Krieg wie er ſein ſoll, nicht aus ſeinem
bloßen Begriff zu konſtruiren, ſondern allem Fremdartigen,
was ſich darin einmiſcht und daranſetzt, ſeinen Platz zu
laſſen, aller natuͤrlichen Schwere und Reibung der Theile,
der ganzen Inkonſequenz, Unklarheit und Verzagtheit des
menſchlichen Geiſtes; wir werden die Anſicht faſſen muͤſſen,
daß der Krieg und die Geſtalt welche man ihm giebt,

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[95/0109] vorgeſchritten, bis der Gegner niederlag; und faſt eben ſo raſtlos ſind die Ruͤckſchlaͤge erfolgt. Iſt es nicht na- tuͤrlich und nothwendig, daß uns dieſe Erſcheinung auf den urſpruͤnglichen Begriff des Krieges mit allen ſtrengen Folgerungen zuruͤckfuͤhrt? Sollen wir nun dabei ſtehen bleiben und alle Kriege, wie ſehr ſie ſich auch davon entfernen, darnach beurtheilen? Alle Forderungen der Theorie daraus ableiten? Wir muͤſſen uns jetzt darin entſcheiden, denn wir koͤnnen kein geſcheutes Wort vom Kriegsplan ſagen, ohne bei uns ſelbſt ausgemacht zu haben, ob der Krieg nur ſo ſein ſoll oder noch anders ſein kann. Wenn wir uns zu dem Erſteren entſchließen, wird unſere Theorie ſich uͤberall dem Nothwendigen mehr naͤhern, mehr eine klare abgemachte Sache ſein. Aber was ſollen wir dann zu allen Kriegen ſagen, welche ſeit Alexander und einigem Feldzuͤgen der Roͤmer bis auf Bonaparte ge- fuͤhrt worden ſind? Wir mußten ſie in Pauſch und Bogen verwerfen und konnten es doch vielleicht nicht ohne uns unſerer Anmaßung zu ſchaͤmen. Was aber ſchlimm iſt, wir mußten uns ſagen daß im naͤchſten Jahrzehend vielleicht wieder ein Krieg der Art da ſein wird, unſerer Theorie zum Trotz, und daß dieſe Theorie mit einer ſtarken Logik doch ſehr ohnmaͤchtig bleibt gegen die Ge- walt der Umſtaͤnde. Wir werden uns alſo dazu verſtehen muͤſſen, den Krieg wie er ſein ſoll, nicht aus ſeinem bloßen Begriff zu konſtruiren, ſondern allem Fremdartigen, was ſich darin einmiſcht und daranſetzt, ſeinen Platz zu laſſen, aller natuͤrlichen Schwere und Reibung der Theile, der ganzen Inkonſequenz, Unklarheit und Verzagtheit des menſchlichen Geiſtes; wir werden die Anſicht faſſen muͤſſen, daß der Krieg und die Geſtalt welche man ihm giebt,

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/109>, abgerufen am 28.03.2024.