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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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sage beseitigt, weil von dem, was wahrhaft Verhältniß
von Leib und Seele, Urbild und Abbild, genannt werden
kann, die Psychologie am wenigsten Notiz zu nehmen
braucht. Der Psychologie nämlich geht nur das Leben
an, das Leben in dem die Idee, die Seele sich bethätigt,
darlebt; -- in allem Lebendigen ist aber Idee und äthe¬
rische Substanz als ein actu überhaupt ewig untrennbares
immer nur in ungetrennter Einheit zu erfassen. Trennen
wir daher wirklich in Gedanken den Stoff, wie ihn Aristo¬
teles nennt, von der Form des Lebens, nehmen wir alle
die chemischen Elemente, welche in ewiger Flucht durch die
Form des organischen Lebens hindurchziehen, gesondert in
Betrachtung, den Kohlenstoff, das Calcium, den Sauer¬
stoff, Stickstoff, Wasserstoff, das Natrium, Eisen und
Chlor u. s. w., was hat das an und für sich mit dem
Leben, was mit den Vorgängen der Seele und des Geistes
zu thun? Alles dies wird erst im menschlichen Sinne
lebendig dadurch, daß die Idee es erfaßt, daß sie es zur
organischen Form
ordnet; aber alsdann und so lange
es dieser Form dient, ist es auch nicht mehr von dem
was Aristoteles die Form nennt, zu trennen, es ist diese
Form überall Leib und Seele zugleich, und nur die
Verschiedenheiten dieser Form sind es, die zuweilen fälsch¬
licher Weise als Leib und Seele sich entgegengesetzt
wurden.

Setzt man dagegen im gewöhnlichen Sinne Leib und
Seele einander entgegen, z. B. das Denken und die Re¬
gungen des Gefühls einerseits, und die Muskelbewegung
und den Blutumlauf andererseits, so hat man nur zwei
verschiedene Sphären des einerseits bewußten, andererseits
unbewußten Seelenlebens, wo in jedem Idee und äther¬
hafte Substanz in untrennbarer Vereinigung wirken.

Gegen alle diese Irrthümer wird man geschützt sein,
wenn die Vorstellung von der Gliederung der verschiedenen
Lebenssphären genügend und vollständig gegeben ist, die¬

ſage beſeitigt, weil von dem, was wahrhaft Verhältniß
von Leib und Seele, Urbild und Abbild, genannt werden
kann, die Pſychologie am wenigſten Notiz zu nehmen
braucht. Der Pſychologie nämlich geht nur das Leben
an, das Leben in dem die Idee, die Seele ſich bethätigt,
darlebt; — in allem Lebendigen iſt aber Idee und äthe¬
riſche Subſtanz als ein actu überhaupt ewig untrennbares
immer nur in ungetrennter Einheit zu erfaſſen. Trennen
wir daher wirklich in Gedanken den Stoff, wie ihn Ariſto¬
teles nennt, von der Form des Lebens, nehmen wir alle
die chemiſchen Elemente, welche in ewiger Flucht durch die
Form des organiſchen Lebens hindurchziehen, geſondert in
Betrachtung, den Kohlenſtoff, das Calcium, den Sauer¬
ſtoff, Stickſtoff, Waſſerſtoff, das Natrium, Eiſen und
Chlor u. ſ. w., was hat das an und für ſich mit dem
Leben, was mit den Vorgängen der Seele und des Geiſtes
zu thun? Alles dies wird erſt im menſchlichen Sinne
lebendig dadurch, daß die Idee es erfaßt, daß ſie es zur
organiſchen Form
ordnet; aber alsdann und ſo lange
es dieſer Form dient, iſt es auch nicht mehr von dem
was Ariſtoteles die Form nennt, zu trennen, es iſt dieſe
Form überall Leib und Seele zugleich, und nur die
Verſchiedenheiten dieſer Form ſind es, die zuweilen fälſch¬
licher Weiſe als Leib und Seele ſich entgegengeſetzt
wurden.

Setzt man dagegen im gewöhnlichen Sinne Leib und
Seele einander entgegen, z. B. das Denken und die Re¬
gungen des Gefühls einerſeits, und die Muskelbewegung
und den Blutumlauf andererſeits, ſo hat man nur zwei
verſchiedene Sphären des einerſeits bewußten, andererſeits
unbewußten Seelenlebens, wo in jedem Idee und äther¬
hafte Subſtanz in untrennbarer Vereinigung wirken.

Gegen alle dieſe Irrthümer wird man geſchützt ſein,
wenn die Vorſtellung von der Gliederung der verſchiedenen
Lebensſphären genügend und vollſtändig gegeben iſt, die¬

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[32/0048] ſage beſeitigt, weil von dem, was wahrhaft Verhältniß von Leib und Seele, Urbild und Abbild, genannt werden kann, die Pſychologie am wenigſten Notiz zu nehmen braucht. Der Pſychologie nämlich geht nur das Leben an, das Leben in dem die Idee, die Seele ſich bethätigt, darlebt; — in allem Lebendigen iſt aber Idee und äthe¬ riſche Subſtanz als ein actu überhaupt ewig untrennbares immer nur in ungetrennter Einheit zu erfaſſen. Trennen wir daher wirklich in Gedanken den Stoff, wie ihn Ariſto¬ teles nennt, von der Form des Lebens, nehmen wir alle die chemiſchen Elemente, welche in ewiger Flucht durch die Form des organiſchen Lebens hindurchziehen, geſondert in Betrachtung, den Kohlenſtoff, das Calcium, den Sauer¬ ſtoff, Stickſtoff, Waſſerſtoff, das Natrium, Eiſen und Chlor u. ſ. w., was hat das an und für ſich mit dem Leben, was mit den Vorgängen der Seele und des Geiſtes zu thun? Alles dies wird erſt im menſchlichen Sinne lebendig dadurch, daß die Idee es erfaßt, daß ſie es zur organiſchen Form ordnet; aber alsdann und ſo lange es dieſer Form dient, iſt es auch nicht mehr von dem was Ariſtoteles die Form nennt, zu trennen, es iſt dieſe Form überall Leib und Seele zugleich, und nur die Verſchiedenheiten dieſer Form ſind es, die zuweilen fälſch¬ licher Weiſe als Leib und Seele ſich entgegengeſetzt wurden. Setzt man dagegen im gewöhnlichen Sinne Leib und Seele einander entgegen, z. B. das Denken und die Re¬ gungen des Gefühls einerſeits, und die Muskelbewegung und den Blutumlauf andererſeits, ſo hat man nur zwei verſchiedene Sphären des einerſeits bewußten, andererſeits unbewußten Seelenlebens, wo in jedem Idee und äther¬ hafte Subſtanz in untrennbarer Vereinigung wirken. Gegen alle dieſe Irrthümer wird man geſchützt ſein, wenn die Vorſtellung von der Gliederung der verſchiedenen Lebensſphären genügend und vollſtändig gegeben iſt, die¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/48>, abgerufen am 28.03.2024.