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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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dem Athmen des Leibes, sinnbildlich von dem Hauche
des Göttlichen
, welcher den Leib schafft, die Rede sei.
Schon der sehr merkwürdige Ausdruck der Genesis: "und
Er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase.
Und also ward der Mensch eine lebendige Seele," hat
offenbar diesen Sinn, so wie das "Inspiriren" und das
"Inspirirtsein" nur hierauf bezogen werden kann. Sehr
schön schließt sich dann dieser Vorstellungsweise an der Ge¬
danke, daß dasjenige Lebendige allein, aus welchem nun
auch dieser göttliche Hauch vernehmbar als ein Göttliches
in That und Wort wieder hervor- und heraustöne -- hin¬
durchtöne -- (per-sonare wie die Stimme des antiken
Schauspielers durch seine Maske) uns allein den Be¬
griff eines nach höherem Vernehmen (Vernunft) sich
selbst bestimmenden Individuums, d. i. den einer Per¬
son
gebe.

So deutet denn Alles darauf hin, daß wir in jedem
irgendwie Lebendigen als das Eine, als das, wodurch ein
Lebendiges überhaupt bedingt ist, als das, was wir als
Grund seiner Wirklichkeit zu betrachten haben, ein Gött¬
liches anerkennen
, welches wir als Urgrund dieser
besondern Erscheinung mit dem Namen der Idee seines
Daseins
, oder (so bald in dieser Idee sich irgend eine
Art des Bewußtseins entwickelt hat) mit dem Namen der
Seele bezeichnen.

Das Vermögen unseres Geistes, mittels dessen wir
Vieles in Gedanken trennen dürfen, was in der Wirklich¬
keit nie getrennt sein kann, erlaubt uns allerdings an
jeglichem Wesen zu unterscheiden, wie Aristoteles sagt: 1
"einen Theil als Stoff, was an und für sich nicht ein
"bestimmtes Etwas ist; einen andern, Form und Gestalt,
"nach welcher nun genannt wird ein Etwas, und drittens
"das, was aus dieser besteht. Es ist aber der Stoff
"Möglichkeit, die Formbestimmung aber Wirklichkeit." Wo

1 V. d, Seele (übers. v. Weiße), 2. Bd. 1. Cap.

dem Athmen des Leibes, ſinnbildlich von dem Hauche
des Göttlichen
, welcher den Leib ſchafft, die Rede ſei.
Schon der ſehr merkwürdige Ausdruck der Geneſis: „und
Er blies ihm ein den lebendigen Odem in ſeine Naſe.
Und alſo ward der Menſch eine lebendige Seele,“ hat
offenbar dieſen Sinn, ſo wie das „Inſpiriren“ und das
„Inſpirirtſein“ nur hierauf bezogen werden kann. Sehr
ſchön ſchließt ſich dann dieſer Vorſtellungsweiſe an der Ge¬
danke, daß dasjenige Lebendige allein, aus welchem nun
auch dieſer göttliche Hauch vernehmbar als ein Göttliches
in That und Wort wieder hervor- und heraustöne — hin¬
durchtöne — (per-sonare wie die Stimme des antiken
Schauſpielers durch ſeine Maske) uns allein den Be¬
griff eines nach höherem Vernehmen (Vernunft) ſich
ſelbſt beſtimmenden Individuums, d. i. den einer Per¬
ſon
gebe.

So deutet denn Alles darauf hin, daß wir in jedem
irgendwie Lebendigen als das Eine, als das, wodurch ein
Lebendiges überhaupt bedingt iſt, als das, was wir als
Grund ſeiner Wirklichkeit zu betrachten haben, ein Gött¬
liches anerkennen
, welches wir als Urgrund dieſer
beſondern Erſcheinung mit dem Namen der Idee ſeines
Daſeins
, oder (ſo bald in dieſer Idee ſich irgend eine
Art des Bewußtſeins entwickelt hat) mit dem Namen der
Seele bezeichnen.

Das Vermögen unſeres Geiſtes, mittels deſſen wir
Vieles in Gedanken trennen dürfen, was in der Wirklich¬
keit nie getrennt ſein kann, erlaubt uns allerdings an
jeglichem Weſen zu unterſcheiden, wie Ariſtoteles ſagt: 1
„einen Theil als Stoff, was an und für ſich nicht ein
„beſtimmtes Etwas iſt; einen andern, Form und Geſtalt,
„nach welcher nun genannt wird ein Etwas, und drittens
„das, was aus dieſer beſteht. Es iſt aber der Stoff
„Möglichkeit, die Formbeſtimmung aber Wirklichkeit.“ Wo

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[9/0025] dem Athmen des Leibes, ſinnbildlich von dem Hauche des Göttlichen, welcher den Leib ſchafft, die Rede ſei. Schon der ſehr merkwürdige Ausdruck der Geneſis: „und Er blies ihm ein den lebendigen Odem in ſeine Naſe. Und alſo ward der Menſch eine lebendige Seele,“ hat offenbar dieſen Sinn, ſo wie das „Inſpiriren“ und das „Inſpirirtſein“ nur hierauf bezogen werden kann. Sehr ſchön ſchließt ſich dann dieſer Vorſtellungsweiſe an der Ge¬ danke, daß dasjenige Lebendige allein, aus welchem nun auch dieſer göttliche Hauch vernehmbar als ein Göttliches in That und Wort wieder hervor- und heraustöne — hin¬ durchtöne — (per-sonare wie die Stimme des antiken Schauſpielers durch ſeine Maske) uns allein den Be¬ griff eines nach höherem Vernehmen (Vernunft) ſich ſelbſt beſtimmenden Individuums, d. i. den einer Per¬ ſon gebe. So deutet denn Alles darauf hin, daß wir in jedem irgendwie Lebendigen als das Eine, als das, wodurch ein Lebendiges überhaupt bedingt iſt, als das, was wir als Grund ſeiner Wirklichkeit zu betrachten haben, ein Gött¬ liches anerkennen, welches wir als Urgrund dieſer beſondern Erſcheinung mit dem Namen der Idee ſeines Daſeins, oder (ſo bald in dieſer Idee ſich irgend eine Art des Bewußtſeins entwickelt hat) mit dem Namen der Seele bezeichnen. Das Vermögen unſeres Geiſtes, mittels deſſen wir Vieles in Gedanken trennen dürfen, was in der Wirklich¬ keit nie getrennt ſein kann, erlaubt uns allerdings an jeglichem Weſen zu unterſcheiden, wie Ariſtoteles ſagt: 1 „einen Theil als Stoff, was an und für ſich nicht ein „beſtimmtes Etwas iſt; einen andern, Form und Geſtalt, „nach welcher nun genannt wird ein Etwas, und drittens „das, was aus dieſer beſteht. Es iſt aber der Stoff „Möglichkeit, die Formbeſtimmung aber Wirklichkeit.“ Wo 1 V. d, Seele (überſ. v. Weiße), 2. Bd. 1. Cap.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/25>, abgerufen am 29.03.2024.