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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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übten Vorgänge, wodurch im Embryo der Organismus
wächst und wird, enthalten sie nicht alle Beziehung auf
das Bewußtsein, indem sie die Organe schaffen, welche
künftig Vorstellungen aufnehmen, bewahren und modificiren
sollen? Noch mehr gilt dies aber von den Vorgängen,
welche wir künftig die partiell unbewußten nennen werden,
wie Blutlauf, Wachsthum, Absonderung u. s. w., in dem
zum Bewußtsein gekommenen Menschen; denn sind sie es
nicht, welche mittelbar auch hier das Bewußtsein in¬
fluenziren, und werden nicht auch hier manche unmittelbar
in krankhaften Zuständen dem Bewußtsein vorstellig? -- Auch
in dieser Beziehung ist es also vergeblich nach einer festen
Scheidewand zwischen Seele und Lebenskraft zu suchen.
So unmöglich es überhaupt sein würde, daß, wenn diese
beiden Energien etwas wahrhaft auch in jeder Art Ver¬
schiedenes wären, die Empfindungen des Sinnenlebens
der Seele zu Gute kämen, und die Seele selbst wieder auf
den Leib zu wirken vermöchte, so gewiß ist es, daß Alles
darauf uns hinweist, daß nur ein einiges Princip des
Lebendigen, nur ein sich aus sich selbst Bewegendes
-- eine Entelechie mit Aristoteles, oder eine Idee nach
Plato, oder eine Psyche, eine Seele, mit einem Worte
ein Göttliches, nenne man es nun wie man wolle --
die Grundbedingung jeglicher Lebenserscheinung und also
auch jeglicher Bildung sein könne.

Man hat hiebei oftmals darauf aufmerksam gemacht,
daß die Worte für dieses geheime Princip alles Lebens so
gewöhnlich mit den Bezeichnungen für Athem und Hauch
zusammenfallen, als Anima, Spiritus, Pneuma u. dgl.,
und hat geglaubt, daß hier nur von dem Athmen, als
einer der andauerndsten und unausgesetztesten Lebenserschei¬
nung, diese bildliche Bezeichnung hergenommen sei; ich
möchte indeß allerdings die Vermuthung hegen, daß die
Wahl dieser Bezeichnung noch einen andern Sinn habe,
und daß hier bei weitem mehr als von dem Hauche und

übten Vorgänge, wodurch im Embryo der Organismus
wächst und wird, enthalten ſie nicht alle Beziehung auf
das Bewußtſein, indem ſie die Organe ſchaffen, welche
künftig Vorſtellungen aufnehmen, bewahren und modificiren
ſollen? Noch mehr gilt dies aber von den Vorgängen,
welche wir künftig die partiell unbewußten nennen werden,
wie Blutlauf, Wachsthum, Abſonderung u. ſ. w., in dem
zum Bewußtſein gekommenen Menſchen; denn ſind ſie es
nicht, welche mittelbar auch hier das Bewußtſein in¬
fluenziren, und werden nicht auch hier manche unmittelbar
in krankhaften Zuſtänden dem Bewußtſein vorſtellig? — Auch
in dieſer Beziehung iſt es alſo vergeblich nach einer feſten
Scheidewand zwiſchen Seele und Lebenskraft zu ſuchen.
So unmöglich es überhaupt ſein würde, daß, wenn dieſe
beiden Energien etwas wahrhaft auch in jeder Art Ver¬
ſchiedenes wären, die Empfindungen des Sinnenlebens
der Seele zu Gute kämen, und die Seele ſelbſt wieder auf
den Leib zu wirken vermöchte, ſo gewiß iſt es, daß Alles
darauf uns hinweist, daß nur ein einiges Princip des
Lebendigen, nur ein ſich aus ſich ſelbſt Bewegendes
— eine Entelechie mit Ariſtoteles, oder eine Idee nach
Plato, oder eine Pſyche, eine Seele, mit einem Worte
ein Göttliches, nenne man es nun wie man wolle —
die Grundbedingung jeglicher Lebenserſcheinung und alſo
auch jeglicher Bildung ſein könne.

Man hat hiebei oftmals darauf aufmerkſam gemacht,
daß die Worte für dieſes geheime Princip alles Lebens ſo
gewöhnlich mit den Bezeichnungen für Athem und Hauch
zuſammenfallen, als Anima, Spiritus, Pneuma u. dgl.,
und hat geglaubt, daß hier nur von dem Athmen, als
einer der andauerndſten und unausgeſetzteſten Lebenserſchei¬
nung, dieſe bildliche Bezeichnung hergenommen ſei; ich
möchte indeß allerdings die Vermuthung hegen, daß die
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[8/0024] übten Vorgänge, wodurch im Embryo der Organismus wächst und wird, enthalten ſie nicht alle Beziehung auf das Bewußtſein, indem ſie die Organe ſchaffen, welche künftig Vorſtellungen aufnehmen, bewahren und modificiren ſollen? Noch mehr gilt dies aber von den Vorgängen, welche wir künftig die partiell unbewußten nennen werden, wie Blutlauf, Wachsthum, Abſonderung u. ſ. w., in dem zum Bewußtſein gekommenen Menſchen; denn ſind ſie es nicht, welche mittelbar auch hier das Bewußtſein in¬ fluenziren, und werden nicht auch hier manche unmittelbar in krankhaften Zuſtänden dem Bewußtſein vorſtellig? — Auch in dieſer Beziehung iſt es alſo vergeblich nach einer feſten Scheidewand zwiſchen Seele und Lebenskraft zu ſuchen. So unmöglich es überhaupt ſein würde, daß, wenn dieſe beiden Energien etwas wahrhaft auch in jeder Art Ver¬ ſchiedenes wären, die Empfindungen des Sinnenlebens der Seele zu Gute kämen, und die Seele ſelbſt wieder auf den Leib zu wirken vermöchte, ſo gewiß iſt es, daß Alles darauf uns hinweist, daß nur ein einiges Princip des Lebendigen, nur ein ſich aus ſich ſelbſt Bewegendes — eine Entelechie mit Ariſtoteles, oder eine Idee nach Plato, oder eine Pſyche, eine Seele, mit einem Worte ein Göttliches, nenne man es nun wie man wolle — die Grundbedingung jeglicher Lebenserſcheinung und alſo auch jeglicher Bildung ſein könne. Man hat hiebei oftmals darauf aufmerkſam gemacht, daß die Worte für dieſes geheime Princip alles Lebens ſo gewöhnlich mit den Bezeichnungen für Athem und Hauch zuſammenfallen, als Anima, Spiritus, Pneuma u. dgl., und hat geglaubt, daß hier nur von dem Athmen, als einer der andauerndſten und unausgeſetzteſten Lebenserſchei¬ nung, dieſe bildliche Bezeichnung hergenommen ſei; ich möchte indeß allerdings die Vermuthung hegen, daß die Wahl dieſer Bezeichnung noch einen andern Sinn habe, und daß hier bei weitem mehr als von dem Hauche und

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/24>, abgerufen am 19.04.2024.