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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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begegnen. Für das geheime Complottiren gab es eben1. Abschnitt.
doch, wenn man vom Zweck absah, kein so einladendes
Muster mehr wie dieses.

Bei den Florentinern, so oft sie sich der Medici ent-Florenz und die
Tyrannen.

ledigten oder entledigen wollten, galt der Tyrannenmord
als ein offen zugestandenes Ideal. Nach der Flucht der
Medici im J. 1494 nahm man aus ihrem Palast Dona-
tello's Bronzegruppe 1) der Judith mit dem todten Holofernes
und setzte sie vor den Signorenpalast an die Stelle wo jetzt
Michelangelo's David steht, mit der Inschrift: exemplum
salutis publicae cives posuere
1495. Ganz besonders
aber berief man sich jetzt auf den jüngern Brutus, der noch
bei Dante 2) mit Cassius und Judas Ischarioth im unter-
sten Schlund der Hölle steckt weil er das Imperium ver-
rathen. Pietro Paolo Boscoli, dessen Verschwörung gegen
Giuliano, Giovanni und Giulio Medici (1513) mißlang,
hatte im höchsten Grade für Brutus geschwärmt und sich
vermessen ihn nachzuahmen wenn er einen Cassius fände;
als solcher hatte sich ihm dann Agostino Capponi ange-
schlossen. Seine letzten Reden im Kerker, 3) eines der wich-
tigsten Actenstücke über den damaligen Religionszustand
zeigen mit welcher Anstrengung er sich jener römischen
Phantasien wieder entledigte, um christlich zu sterben. Ein
Freund und der Beichtvater müssen ihn versichern, S. Tho-
mas von Aquino verdamme die Verschwörungen überhaupt,
aber der Beichtvater hat in späterer Zeit demselben Freunde
insgeheim eingestanden, S. Thomas mache eine Distinction
und erlaube die Verschwörung gegen einen Tyrannen, der
sich dem Volk gegen dessen Willen mit Gewalt aufgedrungen.

1) Vasari, III, 251, Nota, zur v. di. Donatello.
2) Inferno XXXIV, 64.
3) Aufgezeichnet von dem Ohrenzeugen Luca della Robbia, Archiv.
stor. I, p.
273. Vgl. Paul. Jovius, vita Leonis X, L. III,
in den Viri illustres.

begegnen. Für das geheime Complottiren gab es eben1. Abſchnitt.
doch, wenn man vom Zweck abſah, kein ſo einladendes
Muſter mehr wie dieſes.

Bei den Florentinern, ſo oft ſie ſich der Medici ent-Florenz und die
Tyrannen.

ledigten oder entledigen wollten, galt der Tyrannenmord
als ein offen zugeſtandenes Ideal. Nach der Flucht der
Medici im J. 1494 nahm man aus ihrem Palaſt Dona-
tello's Bronzegruppe 1) der Judith mit dem todten Holofernes
und ſetzte ſie vor den Signorenpalaſt an die Stelle wo jetzt
Michelangelo's David ſteht, mit der Inſchrift: exemplum
salutis publicæ cives posuere
1495. Ganz beſonders
aber berief man ſich jetzt auf den jüngern Brutus, der noch
bei Dante 2) mit Caſſius und Judas Iſcharioth im unter-
ſten Schlund der Hölle ſteckt weil er das Imperium ver-
rathen. Pietro Paolo Boscoli, deſſen Verſchwörung gegen
Giuliano, Giovanni und Giulio Medici (1513) mißlang,
hatte im höchſten Grade für Brutus geſchwärmt und ſich
vermeſſen ihn nachzuahmen wenn er einen Caſſius fände;
als ſolcher hatte ſich ihm dann Agoſtino Capponi ange-
ſchloſſen. Seine letzten Reden im Kerker, 3) eines der wich-
tigſten Actenſtücke über den damaligen Religionszuſtand
zeigen mit welcher Anſtrengung er ſich jener römiſchen
Phantaſien wieder entledigte, um chriſtlich zu ſterben. Ein
Freund und der Beichtvater müſſen ihn verſichern, S. Tho-
mas von Aquino verdamme die Verſchwörungen überhaupt,
aber der Beichtvater hat in ſpäterer Zeit demſelben Freunde
insgeheim eingeſtanden, S. Thomas mache eine Diſtinction
und erlaube die Verſchwörung gegen einen Tyrannen, der
ſich dem Volk gegen deſſen Willen mit Gewalt aufgedrungen.

1) Vasari, III, 251, Nota, zur v. di. Donatello.
2) Inferno XXXIV, 64.
3) Aufgezeichnet von dem Ohrenzeugen Luca della Robbia, Archiv.
stor. I, p.
273. Vgl. Paul. Jovius, vita Leonis X, L. III,
in den Viri illustres.
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[59/0069] begegnen. Für das geheime Complottiren gab es eben doch, wenn man vom Zweck abſah, kein ſo einladendes Muſter mehr wie dieſes. 1. Abſchnitt. Bei den Florentinern, ſo oft ſie ſich der Medici ent- ledigten oder entledigen wollten, galt der Tyrannenmord als ein offen zugeſtandenes Ideal. Nach der Flucht der Medici im J. 1494 nahm man aus ihrem Palaſt Dona- tello's Bronzegruppe 1) der Judith mit dem todten Holofernes und ſetzte ſie vor den Signorenpalaſt an die Stelle wo jetzt Michelangelo's David ſteht, mit der Inſchrift: exemplum salutis publicæ cives posuere 1495. Ganz beſonders aber berief man ſich jetzt auf den jüngern Brutus, der noch bei Dante 2) mit Caſſius und Judas Iſcharioth im unter- ſten Schlund der Hölle ſteckt weil er das Imperium ver- rathen. Pietro Paolo Boscoli, deſſen Verſchwörung gegen Giuliano, Giovanni und Giulio Medici (1513) mißlang, hatte im höchſten Grade für Brutus geſchwärmt und ſich vermeſſen ihn nachzuahmen wenn er einen Caſſius fände; als ſolcher hatte ſich ihm dann Agoſtino Capponi ange- ſchloſſen. Seine letzten Reden im Kerker, 3) eines der wich- tigſten Actenſtücke über den damaligen Religionszuſtand zeigen mit welcher Anſtrengung er ſich jener römiſchen Phantaſien wieder entledigte, um chriſtlich zu ſterben. Ein Freund und der Beichtvater müſſen ihn verſichern, S. Tho- mas von Aquino verdamme die Verſchwörungen überhaupt, aber der Beichtvater hat in ſpäterer Zeit demſelben Freunde insgeheim eingeſtanden, S. Thomas mache eine Diſtinction und erlaube die Verſchwörung gegen einen Tyrannen, der ſich dem Volk gegen deſſen Willen mit Gewalt aufgedrungen. Florenz und die Tyrannen. 1) Vasari, III, 251, Nota, zur v. di. Donatello. 2) Inferno XXXIV, 64. 3) Aufgezeichnet von dem Ohrenzeugen Luca della Robbia, Archiv. stor. I, p. 273. Vgl. Paul. Jovius, vita Leonis X, L. III, in den Viri illustres.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/69>, abgerufen am 19.04.2024.