Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Abschnitt.ganz im Geiste dieses Fürstenthums, daß der Souverän
seine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof
und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Borso's Geheim-
rath Lodovico Casella starb, durfte am Begräbnißtage kein
Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hörsaal
in der Universität offen stehen; Jedermann sollte die Leiche
nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen
würde. In der That schritt er -- "der erste vom Haus
Este, der einem Unterthan an die Leiche gegangen" -- in
schwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter
ihm je ein Verwandter Casella's von einem Herrn vom
Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger-
lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo sie beigesetzt
wurde. Ueberhaupt ist das officielle Mitempfinden fürst-
licher Gemüthsbewegungen zuerst in diesen italienischen Staaten
aufgekommen. 1) Der Kern hievon mag seinen schönen mensch-
lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern,
ist in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte
Ariosto's, 2) auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge-
mahlin des Ercole I., enthält, außer den unvermeidlichen
Trauerblumen wie sie in allen Jahrhunderten gespendet
werden, schon einige völlig moderne Züge: "dieser Todes-
fall habe Ferrara einen Schlag versetzt, den es in vielen
Jahren nicht verwinden werde; seine Wohlthäterin sei jetzt
Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht
würdig gewesen; freilich, die Todesgöttin sei ihr nicht wie
uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Sense genaht, son-
dern geziemend (onesta) und mit so freundlichem Antlitz,
Verherrlichung
fürstlicher Lieb-
schaften.
daß jede Furcht verschwand." Aber wir treffen noch auf
ganz andere Mitgefühle; Novellisten, welchen an der Gunst
der betreffenden Häuser alles liegen mußte und welche auf

1) Ein frühes Beispiel, Bernabo Visconti, S. 11.
2) Als Capitolo 19, und in den opere minori, ed. Lemonnier,
Vol. I, p[.]
245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem
19jährigen Dichter die Ursache dieses Todesfalles (S. 47) nicht bekannt.

1. Abſchnitt.ganz im Geiſte dieſes Fürſtenthums, daß der Souverän
ſeine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof
und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Borſo's Geheim-
rath Lodovico Caſella ſtarb, durfte am Begräbnißtage kein
Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hörſaal
in der Univerſität offen ſtehen; Jedermann ſollte die Leiche
nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen
würde. In der That ſchritt er — „der erſte vom Haus
Eſte, der einem Unterthan an die Leiche gegangen“ — in
ſchwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter
ihm je ein Verwandter Caſella's von einem Herrn vom
Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger-
lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo ſie beigeſetzt
wurde. Ueberhaupt iſt das officielle Mitempfinden fürſt-
licher Gemüthsbewegungen zuerſt in dieſen italieniſchen Staaten
aufgekommen. 1) Der Kern hievon mag ſeinen ſchönen menſch-
lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern,
iſt in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte
Arioſto's, 2) auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge-
mahlin des Ercole I., enthält, außer den unvermeidlichen
Trauerblumen wie ſie in allen Jahrhunderten geſpendet
werden, ſchon einige völlig moderne Züge: „dieſer Todes-
fall habe Ferrara einen Schlag verſetzt, den es in vielen
Jahren nicht verwinden werde; ſeine Wohlthäterin ſei jetzt
Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht
würdig geweſen; freilich, die Todesgöttin ſei ihr nicht wie
uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Senſe genaht, ſon-
dern geziemend (onesta) und mit ſo freundlichem Antlitz,
Verherrlichung
fürſtlicher Lieb-
ſchaften.
daß jede Furcht verſchwand.“ Aber wir treffen noch auf
ganz andere Mitgefühle; Novelliſten, welchen an der Gunſt
der betreffenden Häuſer alles liegen mußte und welche auf

1) Ein frühes Beiſpiel, Bernabò Visconti, S. 11.
2) Als Capitolo 19, und in den opere minori, ed. Lemonnier,
Vol. I, p[.]
245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem
19jährigen Dichter die Urſache dieſes Todesfalles (S. 47) nicht bekannt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="52"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">1. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>ganz im Gei&#x017F;te die&#x017F;es Für&#x017F;tenthums, daß der Souverän<lb/>
&#x017F;eine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof<lb/>
und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Bor&#x017F;o's Geheim-<lb/>
rath Lodovico Ca&#x017F;ella &#x017F;tarb, durfte am Begräbnißtage kein<lb/>
Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hör&#x017F;aal<lb/>
in der Univer&#x017F;ität offen &#x017F;tehen; Jedermann &#x017F;ollte die Leiche<lb/>
nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen<lb/>
würde. In der That &#x017F;chritt er &#x2014; &#x201E;der er&#x017F;te vom Haus<lb/>
E&#x017F;te, der einem Unterthan an die Leiche gegangen&#x201C; &#x2014; in<lb/>
&#x017F;chwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter<lb/>
ihm je ein Verwandter Ca&#x017F;ella's von einem Herrn vom<lb/>
Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger-<lb/>
lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo &#x017F;ie beige&#x017F;etzt<lb/>
wurde. Ueberhaupt i&#x017F;t das officielle Mitempfinden für&#x017F;t-<lb/>
licher Gemüthsbewegungen zuer&#x017F;t in die&#x017F;en italieni&#x017F;chen Staaten<lb/>
aufgekommen. <note place="foot" n="1)">Ein frühes Bei&#x017F;piel, Bernab<hi rendition="#aq">ò</hi> Visconti, S. 11.</note> Der Kern hievon mag &#x017F;einen &#x017F;chönen men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern,<lb/>
i&#x017F;t in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte<lb/>
Ario&#x017F;to's, <note place="foot" n="2)">Als Capitolo 19, und in den <hi rendition="#aq">opere minori, ed. Lemonnier,<lb/>
Vol. I, p<supplied>.</supplied></hi> 245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem<lb/>
19jährigen Dichter die Ur&#x017F;ache die&#x017F;es Todesfalles (S. 47) nicht bekannt.</note> auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge-<lb/>
mahlin des Ercole <hi rendition="#aq">I.,</hi> enthält, außer den unvermeidlichen<lb/>
Trauerblumen wie &#x017F;ie in allen Jahrhunderten ge&#x017F;pendet<lb/>
werden, &#x017F;chon einige völlig moderne Züge: &#x201E;die&#x017F;er Todes-<lb/>
fall habe Ferrara einen Schlag ver&#x017F;etzt, den es in vielen<lb/>
Jahren nicht verwinden werde; &#x017F;eine Wohlthäterin &#x017F;ei jetzt<lb/>
Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht<lb/>
würdig gewe&#x017F;en; freilich, die Todesgöttin &#x017F;ei ihr nicht wie<lb/>
uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Sen&#x017F;e genaht, &#x017F;on-<lb/>
dern geziemend (<hi rendition="#aq">onesta</hi>) und mit &#x017F;o freundlichem Antlitz,<lb/><note place="left">Verherrlichung<lb/>
für&#x017F;tlicher Lieb-<lb/>
&#x017F;chaften.</note>daß jede Furcht ver&#x017F;chwand.&#x201C; Aber wir treffen noch auf<lb/>
ganz andere Mitgefühle; Novelli&#x017F;ten, welchen an der Gun&#x017F;t<lb/>
der betreffenden Häu&#x017F;er alles liegen mußte und welche auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0062] ganz im Geiſte dieſes Fürſtenthums, daß der Souverän ſeine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Borſo's Geheim- rath Lodovico Caſella ſtarb, durfte am Begräbnißtage kein Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hörſaal in der Univerſität offen ſtehen; Jedermann ſollte die Leiche nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen würde. In der That ſchritt er — „der erſte vom Haus Eſte, der einem Unterthan an die Leiche gegangen“ — in ſchwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter ihm je ein Verwandter Caſella's von einem Herrn vom Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger- lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo ſie beigeſetzt wurde. Ueberhaupt iſt das officielle Mitempfinden fürſt- licher Gemüthsbewegungen zuerſt in dieſen italieniſchen Staaten aufgekommen. 1) Der Kern hievon mag ſeinen ſchönen menſch- lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern, iſt in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte Arioſto's, 2) auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge- mahlin des Ercole I., enthält, außer den unvermeidlichen Trauerblumen wie ſie in allen Jahrhunderten geſpendet werden, ſchon einige völlig moderne Züge: „dieſer Todes- fall habe Ferrara einen Schlag verſetzt, den es in vielen Jahren nicht verwinden werde; ſeine Wohlthäterin ſei jetzt Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht würdig geweſen; freilich, die Todesgöttin ſei ihr nicht wie uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Senſe genaht, ſon- dern geziemend (onesta) und mit ſo freundlichem Antlitz, daß jede Furcht verſchwand.“ Aber wir treffen noch auf ganz andere Mitgefühle; Novelliſten, welchen an der Gunſt der betreffenden Häuſer alles liegen mußte und welche auf 1. Abſchnitt. Verherrlichung fürſtlicher Lieb- ſchaften. 1) Ein frühes Beiſpiel, Bernabò Visconti, S. 11. 2) Als Capitolo 19, und in den opere minori, ed. Lemonnier, Vol. I, p. 245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem 19jährigen Dichter die Urſache dieſes Todesfalles (S. 47) nicht bekannt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/62
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/62>, abgerufen am 19.04.2024.