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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.gestrengt und z. B. in Cremona einen angesehenen Bürger,
der gegen die neuen Auflagen redete, aus lauter Zweck-
mäßigkeit insgeheim erdrosseln lassen; auch hielt er sich
seitdem bei Audienzen die Leute durch eine Barre weit vom
Leibe, 1) sodaß man sehr laut reden mußte, um mit ihm zu
verhandeln. -- An seinem Hofe, dem glanzvollsten von
Europa da kein burgundischer mehr vorhanden war, ging
es äußerst unsittlich her; der Vater gab die Tochter, der
Gatte die Gattin, der Bruder die Schwester Preis. 2) Allein
der Fürst wenigstens blieb immer thätig und fand sich als
Sohn seiner Thaten Denjenigen verwandt, welche ebenfalls
aus eigenen geistigen Mitteln existirten: den Gelehrten,
Dichtern, Musikern und Künstlern. Die von ihm gestiftete
Academie 3) ist in erster Linie in Bezug auf ihn, nicht auf
eine zu unterrichtende Schülerschaft vorhanden; auch bedarf
er nicht des Ruhmes der betreffenden Männer, sondern
ihres Umganges und ihrer Leistungen. Es ist gewiß, daß
Bramante am Anfang schmal gehalten wurde; 4) aber Lio-
nardo ist doch bis 1496 richtig besoldet worden -- und
was hielt ihn überhaupt an diesem Hofe wenn er nicht
freiwillig blieb? Die Welt stand ihm offen wie vielleicht
überhaupt Keinem von allen damaligen Sterblichen, und
wenn irgend Etwas dafür spricht, daß in Lodovico Moro
ein höheres Element lebendig gewesen, so ist es dieser lange
Aufenthalt des räthselhaften Meisters in seiner Umgebung.
Wenn Lionardo später dem Cesare Borgia und Franz I.

1) Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 336. 367. 369. Das
Volk glaubte, er thesaurire.
2) Corio, Fol. 448. Die Nachwirkungen dieses Zustandes sind beson-
ders kenntlich in den auf Mailand bezüglichen Novellen und Intro-
ductionen der Bandello.
3) Amoretti, memorie storiche sulla vita ecc. di Lionardo da
Vinci, p. 35, s. 83, s
.
4) S. dessen Sonette bei Trucchi, Poesie inedite.

1. Abſchnitt.geſtrengt und z. B. in Cremona einen angeſehenen Bürger,
der gegen die neuen Auflagen redete, aus lauter Zweck-
mäßigkeit insgeheim erdroſſeln laſſen; auch hielt er ſich
ſeitdem bei Audienzen die Leute durch eine Barre weit vom
Leibe, 1) ſodaß man ſehr laut reden mußte, um mit ihm zu
verhandeln. — An ſeinem Hofe, dem glanzvollſten von
Europa da kein burgundiſcher mehr vorhanden war, ging
es äußerſt unſittlich her; der Vater gab die Tochter, der
Gatte die Gattin, der Bruder die Schweſter Preis. 2) Allein
der Fürſt wenigſtens blieb immer thätig und fand ſich als
Sohn ſeiner Thaten Denjenigen verwandt, welche ebenfalls
aus eigenen geiſtigen Mitteln exiſtirten: den Gelehrten,
Dichtern, Muſikern und Künſtlern. Die von ihm geſtiftete
Academie 3) iſt in erſter Linie in Bezug auf ihn, nicht auf
eine zu unterrichtende Schülerſchaft vorhanden; auch bedarf
er nicht des Ruhmes der betreffenden Männer, ſondern
ihres Umganges und ihrer Leiſtungen. Es iſt gewiß, daß
Bramante am Anfang ſchmal gehalten wurde; 4) aber Lio-
nardo iſt doch bis 1496 richtig beſoldet worden — und
was hielt ihn überhaupt an dieſem Hofe wenn er nicht
freiwillig blieb? Die Welt ſtand ihm offen wie vielleicht
überhaupt Keinem von allen damaligen Sterblichen, und
wenn irgend Etwas dafür ſpricht, daß in Lodovico Moro
ein höheres Element lebendig geweſen, ſo iſt es dieſer lange
Aufenthalt des räthſelhaften Meiſters in ſeiner Umgebung.
Wenn Lionardo ſpäter dem Ceſare Borgia und Franz I.

1) Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 336. 367. 369. Das
Volk glaubte, er theſaurire.
2) Corio, Fol. 448. Die Nachwirkungen dieſes Zuſtandes ſind beſon-
ders kenntlich in den auf Mailand bezüglichen Novellen und Intro-
ductionen der Bandello.
3) Amoretti, memorie storiche sulla vita ecc. di Lionardo da
Vinci, p. 35, s. 83, s
.
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[42/0052] geſtrengt und z. B. in Cremona einen angeſehenen Bürger, der gegen die neuen Auflagen redete, aus lauter Zweck- mäßigkeit insgeheim erdroſſeln laſſen; auch hielt er ſich ſeitdem bei Audienzen die Leute durch eine Barre weit vom Leibe, 1) ſodaß man ſehr laut reden mußte, um mit ihm zu verhandeln. — An ſeinem Hofe, dem glanzvollſten von Europa da kein burgundiſcher mehr vorhanden war, ging es äußerſt unſittlich her; der Vater gab die Tochter, der Gatte die Gattin, der Bruder die Schweſter Preis. 2) Allein der Fürſt wenigſtens blieb immer thätig und fand ſich als Sohn ſeiner Thaten Denjenigen verwandt, welche ebenfalls aus eigenen geiſtigen Mitteln exiſtirten: den Gelehrten, Dichtern, Muſikern und Künſtlern. Die von ihm geſtiftete Academie 3) iſt in erſter Linie in Bezug auf ihn, nicht auf eine zu unterrichtende Schülerſchaft vorhanden; auch bedarf er nicht des Ruhmes der betreffenden Männer, ſondern ihres Umganges und ihrer Leiſtungen. Es iſt gewiß, daß Bramante am Anfang ſchmal gehalten wurde; 4) aber Lio- nardo iſt doch bis 1496 richtig beſoldet worden — und was hielt ihn überhaupt an dieſem Hofe wenn er nicht freiwillig blieb? Die Welt ſtand ihm offen wie vielleicht überhaupt Keinem von allen damaligen Sterblichen, und wenn irgend Etwas dafür ſpricht, daß in Lodovico Moro ein höheres Element lebendig geweſen, ſo iſt es dieſer lange Aufenthalt des räthſelhaften Meiſters in ſeiner Umgebung. Wenn Lionardo ſpäter dem Ceſare Borgia und Franz I. 1. Abſchnitt. 1) Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 336. 367. 369. Das Volk glaubte, er theſaurire. 2) Corio, Fol. 448. Die Nachwirkungen dieſes Zuſtandes ſind beſon- ders kenntlich in den auf Mailand bezüglichen Novellen und Intro- ductionen der Bandello. 3) Amoretti, memorie storiche sulla vita ecc. di Lionardo da Vinci, p. 35, s. 83, s. 4) S. deſſen Sonette bei Trucchi, Poesie inedite.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/52>, abgerufen am 28.03.2024.