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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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damaligen Kunst und Bildung an sich nehmen, ist Luxus1. Abschnitt.
oder Schein. Schon die echten Spanier treten in Italien
fast immer nur entartet auf, vollends aber zeigt der Aus-
gang dieses Marranenhauses (1494 und 1503) einen augen-
scheinlichen Mangel an Race. Ferrante stirbt vor innerer
Sorge und Qual; Alfonso traut seinem eigenen Bruder
Federigo, dem einzigen Guten der Familie, Verrath zu, und
beleidigt ihn auf die unwürdigste Weise; endlich flieht Er,
der bisher als einer der tüchtigsten Heerführer Italiens ge-
golten, besinnungslos nach Sicilien und läßt seinen Sohn,
den jüngern Ferrante, den Franzosen und dem allgemeinen
Verrath zur Beute. Eine Dynastie, welche so regiert hatte
wie diese, hätte allermindestens ihr Leben theuer verkaufen
müssen, wenn ihre Kinder und Nachkommen eine Restau-
ration hoffen sollten. Aber: jamais homme cruel ne
fut hardi
, wie Comines bei diesem Anlaß etwas einseitig
und im Ganzen doch richtig sagt.

Echt italienisch im Sinne des XV. Jahrhunderts er-Der letzte Bis-
conti.

scheint das Fürstenthum in den Herzogen von Mailand
ausgebildet, deren Herrschaft seit Giangaleazzo schon eine
völlig ausgebildete absolute Monarchie darstellt. Vor Allem
ist der letzte Visconti, Filippo Maria (1412--1447) eine
höchst merkwürdige, glücklicher Weise vortrefflich geschilderte 1)
Persönlichkeit. Was die Furcht aus einem Menschen von
bedeutenden Anlagen in hoher Stellung machen kann, zeigt
sich hier, man könnte sagen mathematisch vollständig; alle
Mittel und Zwecke des Staates concentriren sich in dem
einen der Sicherung seiner Person, nur daß sein grausamer
Egoismus doch nicht in Blutdurst überging. Im Castell
von Mailand, das die herrlichsten Gärten, Laubgänge und
Tummelplätze mit umfaßte, sitzt er ohne die Stadt in vielen

1) Petri Candidi Decembrii Vita Phil. Mariae Vicecomitis, bei
Murat. XX.

damaligen Kunſt und Bildung an ſich nehmen, iſt Luxus1. Abſchnitt.
oder Schein. Schon die echten Spanier treten in Italien
faſt immer nur entartet auf, vollends aber zeigt der Aus-
gang dieſes Marranenhauſes (1494 und 1503) einen augen-
ſcheinlichen Mangel an Race. Ferrante ſtirbt vor innerer
Sorge und Qual; Alfonſo traut ſeinem eigenen Bruder
Federigo, dem einzigen Guten der Familie, Verrath zu, und
beleidigt ihn auf die unwürdigſte Weiſe; endlich flieht Er,
der bisher als einer der tüchtigſten Heerführer Italiens ge-
golten, beſinnungslos nach Sicilien und läßt ſeinen Sohn,
den jüngern Ferrante, den Franzoſen und dem allgemeinen
Verrath zur Beute. Eine Dynaſtie, welche ſo regiert hatte
wie dieſe, hätte allermindeſtens ihr Leben theuer verkaufen
müſſen, wenn ihre Kinder und Nachkommen eine Reſtau-
ration hoffen ſollten. Aber: jamais homme cruel ne
fut hardi
, wie Comines bei dieſem Anlaß etwas einſeitig
und im Ganzen doch richtig ſagt.

Echt italieniſch im Sinne des XV. Jahrhunderts er-Der letzte Bis-
conti.

ſcheint das Fürſtenthum in den Herzogen von Mailand
ausgebildet, deren Herrſchaft ſeit Giangaleazzo ſchon eine
völlig ausgebildete abſolute Monarchie darſtellt. Vor Allem
iſt der letzte Visconti, Filippo Maria (1412—1447) eine
höchſt merkwürdige, glücklicher Weiſe vortrefflich geſchilderte 1)
Perſönlichkeit. Was die Furcht aus einem Menſchen von
bedeutenden Anlagen in hoher Stellung machen kann, zeigt
ſich hier, man könnte ſagen mathematiſch vollſtändig; alle
Mittel und Zwecke des Staates concentriren ſich in dem
einen der Sicherung ſeiner Perſon, nur daß ſein grauſamer
Egoismus doch nicht in Blutdurſt überging. Im Caſtell
von Mailand, das die herrlichſten Gärten, Laubgänge und
Tummelplätze mit umfaßte, ſitzt er ohne die Stadt in vielen

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[37/0047] damaligen Kunſt und Bildung an ſich nehmen, iſt Luxus oder Schein. Schon die echten Spanier treten in Italien faſt immer nur entartet auf, vollends aber zeigt der Aus- gang dieſes Marranenhauſes (1494 und 1503) einen augen- ſcheinlichen Mangel an Race. Ferrante ſtirbt vor innerer Sorge und Qual; Alfonſo traut ſeinem eigenen Bruder Federigo, dem einzigen Guten der Familie, Verrath zu, und beleidigt ihn auf die unwürdigſte Weiſe; endlich flieht Er, der bisher als einer der tüchtigſten Heerführer Italiens ge- golten, beſinnungslos nach Sicilien und läßt ſeinen Sohn, den jüngern Ferrante, den Franzoſen und dem allgemeinen Verrath zur Beute. Eine Dynaſtie, welche ſo regiert hatte wie dieſe, hätte allermindeſtens ihr Leben theuer verkaufen müſſen, wenn ihre Kinder und Nachkommen eine Reſtau- ration hoffen ſollten. Aber: jamais homme cruel ne fut hardi, wie Comines bei dieſem Anlaß etwas einſeitig und im Ganzen doch richtig ſagt. 1. Abſchnitt. Echt italieniſch im Sinne des XV. Jahrhunderts er- ſcheint das Fürſtenthum in den Herzogen von Mailand ausgebildet, deren Herrſchaft ſeit Giangaleazzo ſchon eine völlig ausgebildete abſolute Monarchie darſtellt. Vor Allem iſt der letzte Visconti, Filippo Maria (1412—1447) eine höchſt merkwürdige, glücklicher Weiſe vortrefflich geſchilderte 1) Perſönlichkeit. Was die Furcht aus einem Menſchen von bedeutenden Anlagen in hoher Stellung machen kann, zeigt ſich hier, man könnte ſagen mathematiſch vollſtändig; alle Mittel und Zwecke des Staates concentriren ſich in dem einen der Sicherung ſeiner Perſon, nur daß ſein grauſamer Egoismus doch nicht in Blutdurſt überging. Im Caſtell von Mailand, das die herrlichſten Gärten, Laubgänge und Tummelplätze mit umfaßte, ſitzt er ohne die Stadt in vielen Der letzte Bis- conti. 1) Petri Candidi Decembrii Vita Phil. Mariae Vicecomitis, bei Murat. XX.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/47>, abgerufen am 28.03.2024.