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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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4. Abschnitt.Langsam nur folgte das übrige Europa den italieni-
Verhältniß zur
europ. Litera-
tur.
schen Leistungen in der geistigen Characteristik 1), obschon
die großen politischen und religiösen Bewegungen so manche
Bande gesprengt, so viele Tausende zum Geistesleben ge-
weckt hatten. Ueber die wichtigsten Persönlichkeiten der da-
maligen europäischen Welt sind wiederum im Ganzen unsere
besten Gewährsmänner Italiener, sowohl Literaten als Di-
plomaten. Wie rasch und unwidersprochen haben in neuester
Zeit die venezianischen Gesandtschaftsberichte des XVI. und
XVII. Jahrhunderts in Betreff der Personalschilderungen
die erste Stelle errungen.

Selbst-
biographien.
Auch die Selbstbiographie nimmt bei den Italienern
hie und da einen kräftigen Flug in die Tiefe und Weite
und schildert neben dem buntesten Außenleben ergreifend das
eigene Innere, während sie bei andern Nationen, auch bei
den Deutschen der Reformationszeit, sich an die merkwür-
digen äußern Schicksale hält und den Geist mehr nur aus
der Darstellungsweise errathen läßt. Es ist als ob Dante's
vita nuova mit ihrer unerbittlichen Wahrheit der Nation
die Wege gewiesen hätte.

Den Anfang dazu machen die Haus- und Familien-
geschichten- aus dem XIV. und XV. Jahrhundert, welche
noch in ziemlicher Anzahl namentlich in den florentinischen
Bibliotheken handschriftlich vorhanden sein sollen; naive,
im Interesse des Hauses und des Schreibenden abgefaßte
Lebensläufe, wie z. B. der des Buonaccorso Pitti.

Aen. Sylvius.Eine tiefere Selbstkritik ist auch nicht gerade in den
Commentarien Pius II. zu suchen; was man hier von ihm
als Menschen erfährt, beschränkt sich sogar dem ersten An-
schein nach darauf, daß er meldet wie er seine Carriere
machte. Allein bei weiterm Nachdenken wird man dieses
merkwürdige Buch anders beurtheilen. Es giebt Menschen,
die wesentlich Spiegel dessen sind was sie umgiebt; man

1) Ueber Comines vgl. S. 98 Anm.

4. Abſchnitt.Langſam nur folgte das übrige Europa den italieni-
Verhältniß zur
europ. Litera-
tur.
ſchen Leiſtungen in der geiſtigen Characteriſtik 1), obſchon
die großen politiſchen und religiöſen Bewegungen ſo manche
Bande geſprengt, ſo viele Tauſende zum Geiſtesleben ge-
weckt hatten. Ueber die wichtigſten Perſönlichkeiten der da-
maligen europäiſchen Welt ſind wiederum im Ganzen unſere
beſten Gewährsmänner Italiener, ſowohl Literaten als Di-
plomaten. Wie raſch und unwiderſprochen haben in neueſter
Zeit die venezianiſchen Geſandtſchaftsberichte des XVI. und
XVII. Jahrhunderts in Betreff der Perſonalſchilderungen
die erſte Stelle errungen.

Selbſt-
biographien.
Auch die Selbſtbiographie nimmt bei den Italienern
hie und da einen kräftigen Flug in die Tiefe und Weite
und ſchildert neben dem bunteſten Außenleben ergreifend das
eigene Innere, während ſie bei andern Nationen, auch bei
den Deutſchen der Reformationszeit, ſich an die merkwür-
digen äußern Schickſale hält und den Geiſt mehr nur aus
der Darſtellungsweiſe errathen läßt. Es iſt als ob Dante's
vita nuova mit ihrer unerbittlichen Wahrheit der Nation
die Wege gewieſen hätte.

Den Anfang dazu machen die Haus- und Familien-
geſchichten- aus dem XIV. und XV. Jahrhundert, welche
noch in ziemlicher Anzahl namentlich in den florentiniſchen
Bibliotheken handſchriftlich vorhanden ſein ſollen; naive,
im Intereſſe des Hauſes und des Schreibenden abgefaßte
Lebensläufe, wie z. B. der des Buonaccorſo Pitti.

Aen. Sylvius.Eine tiefere Selbſtkritik iſt auch nicht gerade in den
Commentarien Pius II. zu ſuchen; was man hier von ihm
als Menſchen erfährt, beſchränkt ſich ſogar dem erſten An-
ſchein nach darauf, daß er meldet wie er ſeine Carriere
machte. Allein bei weiterm Nachdenken wird man dieſes
merkwürdige Buch anders beurtheilen. Es giebt Menſchen,
die weſentlich Spiegel deſſen ſind was ſie umgiebt; man

1) Ueber Comines vgl. S. 98 Anm.
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[332/0342] Langſam nur folgte das übrige Europa den italieni- ſchen Leiſtungen in der geiſtigen Characteriſtik 1), obſchon die großen politiſchen und religiöſen Bewegungen ſo manche Bande geſprengt, ſo viele Tauſende zum Geiſtesleben ge- weckt hatten. Ueber die wichtigſten Perſönlichkeiten der da- maligen europäiſchen Welt ſind wiederum im Ganzen unſere beſten Gewährsmänner Italiener, ſowohl Literaten als Di- plomaten. Wie raſch und unwiderſprochen haben in neueſter Zeit die venezianiſchen Geſandtſchaftsberichte des XVI. und XVII. Jahrhunderts in Betreff der Perſonalſchilderungen die erſte Stelle errungen. 4. Abſchnitt. Verhältniß zur europ. Litera- tur. Auch die Selbſtbiographie nimmt bei den Italienern hie und da einen kräftigen Flug in die Tiefe und Weite und ſchildert neben dem bunteſten Außenleben ergreifend das eigene Innere, während ſie bei andern Nationen, auch bei den Deutſchen der Reformationszeit, ſich an die merkwür- digen äußern Schickſale hält und den Geiſt mehr nur aus der Darſtellungsweiſe errathen läßt. Es iſt als ob Dante's vita nuova mit ihrer unerbittlichen Wahrheit der Nation die Wege gewieſen hätte. Selbſt- biographien. Den Anfang dazu machen die Haus- und Familien- geſchichten- aus dem XIV. und XV. Jahrhundert, welche noch in ziemlicher Anzahl namentlich in den florentiniſchen Bibliotheken handſchriftlich vorhanden ſein ſollen; naive, im Intereſſe des Hauſes und des Schreibenden abgefaßte Lebensläufe, wie z. B. der des Buonaccorſo Pitti. Eine tiefere Selbſtkritik iſt auch nicht gerade in den Commentarien Pius II. zu ſuchen; was man hier von ihm als Menſchen erfährt, beſchränkt ſich ſogar dem erſten An- ſchein nach darauf, daß er meldet wie er ſeine Carriere machte. Allein bei weiterm Nachdenken wird man dieſes merkwürdige Buch anders beurtheilen. Es giebt Menſchen, die weſentlich Spiegel deſſen ſind was ſie umgiebt; man Aen. Sylvius. 1) Ueber Comines vgl. S. 98 Anm.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/342>, abgerufen am 19.04.2024.