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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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4. Abschnitt.als eine wirklich von ihm gesehene. Er muß aber noch
viel höhere Gipfel erstiegen haben, da er Phänomene kennt,
die sich erst mit mehr als 10,000 Fuß über Meer einstellen,
das Blutwallen, Augendrücken und Herzklopfen, wogegen
sein mythischer Gefährte Solinus durch einen Schwamm
mit einer Essenz Hülfe schafft. Die Besteigungen des Par-
nasses und des Olymp 1), von welchen er spricht, mögen
freilich bloße Fictionen sein.

Mit dem XV. Jahrhundert rauben dann auf einmal
die großen Meister der flandrischen Schule, Hubert und
Johann van Eyck, der Natur ihr Bild. Und zwar ist ihre
Landschaft nicht bloß Consequenz ihres allgemeinen Strebens,
einen Schein der Wirklichkeit hervorzubringen, sondern sie
hat bereits einen selbständigen poetischen Gehalt, eine Seele,
wenn auch nur in befangener Weise. Der Eindruck der-
selben auf die ganze abendländische Kunst ist unläugbar,
und so blieb auch die italienische Landschaftmalerei davon
nicht unberührt. Allein daneben geht das eigenthümliche
Interesse des gebildeten italienischen Auges für die Land-
schaft seinen eigenen Weg.

Aen. Sylvius
und die Land-
schaft.
Wie in der wissenschaftlichen Cosmographik so ist auch
hier Aeneas Sylvius eine der wichtigsten Stimmen der
Zeit. Man könnte den Menschen Aeneas völlig Preis ge-
ben und müßte gleichwohl dabei gestehen, daß in wenigen
Andern das Bild der Zeit und ihrer Geistescultur sich so
vollständig und lebendig spiegelte, daß wenige Andere dem
Normalmenschen der Frührenaissance so nahe kommen.
Uebrigens wird man ihn auch in moralischer Beziehung,
beiläufig gesagt, nicht ganz billig beurtheilen, wenn man

1) Dittamondo, III, cap. 21. IV, cap. 4. -- Papencordt, Gesch. der
Stadt Rom, S. 426, sagt, daß Kaiser Carl IV. vielen Sinn für
schöne Gegenden gehabt habe und citirt hiezu Pelzel, Carl IV,
S. 456. (Die beiden andern Citate, die er anführt, sagen dieß
nicht) Es wäre möglich, daß dergleichen dem Kaiser durch seinen
Umgang mit den Humanisten angeflogen wäre.

4. Abſchnitt.als eine wirklich von ihm geſehene. Er muß aber noch
viel höhere Gipfel erſtiegen haben, da er Phänomene kennt,
die ſich erſt mit mehr als 10,000 Fuß über Meer einſtellen,
das Blutwallen, Augendrücken und Herzklopfen, wogegen
ſein mythiſcher Gefährte Solinus durch einen Schwamm
mit einer Eſſenz Hülfe ſchafft. Die Beſteigungen des Par-
naſſes und des Olymp 1), von welchen er ſpricht, mögen
freilich bloße Fictionen ſein.

Mit dem XV. Jahrhundert rauben dann auf einmal
die großen Meiſter der flandriſchen Schule, Hubert und
Johann van Eyck, der Natur ihr Bild. Und zwar iſt ihre
Landſchaft nicht bloß Conſequenz ihres allgemeinen Strebens,
einen Schein der Wirklichkeit hervorzubringen, ſondern ſie
hat bereits einen ſelbſtändigen poetiſchen Gehalt, eine Seele,
wenn auch nur in befangener Weiſe. Der Eindruck der-
ſelben auf die ganze abendländiſche Kunſt iſt unläugbar,
und ſo blieb auch die italieniſche Landſchaftmalerei davon
nicht unberührt. Allein daneben geht das eigenthümliche
Intereſſe des gebildeten italieniſchen Auges für die Land-
ſchaft ſeinen eigenen Weg.

Aen. Sylvius
und die Land-
ſchaft.
Wie in der wiſſenſchaftlichen Cosmographik ſo iſt auch
hier Aeneas Sylvius eine der wichtigſten Stimmen der
Zeit. Man könnte den Menſchen Aeneas völlig Preis ge-
ben und müßte gleichwohl dabei geſtehen, daß in wenigen
Andern das Bild der Zeit und ihrer Geiſtescultur ſich ſo
vollſtändig und lebendig ſpiegelte, daß wenige Andere dem
Normalmenſchen der Frührenaiſſance ſo nahe kommen.
Uebrigens wird man ihn auch in moraliſcher Beziehung,
beiläufig geſagt, nicht ganz billig beurtheilen, wenn man

1) Dittamondo, III, cap. 21. IV, cap. 4. — Papencordt, Geſch. der
Stadt Rom, S. 426, ſagt, daß Kaiſer Carl IV. vielen Sinn für
ſchöne Gegenden gehabt habe und citirt hiezu Pelzel, Carl IV,
S. 456. (Die beiden andern Citate, die er anführt, ſagen dieß
nicht) Es wäre möglich, daß dergleichen dem Kaiſer durch ſeinen
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[298/0308] als eine wirklich von ihm geſehene. Er muß aber noch viel höhere Gipfel erſtiegen haben, da er Phänomene kennt, die ſich erſt mit mehr als 10,000 Fuß über Meer einſtellen, das Blutwallen, Augendrücken und Herzklopfen, wogegen ſein mythiſcher Gefährte Solinus durch einen Schwamm mit einer Eſſenz Hülfe ſchafft. Die Beſteigungen des Par- naſſes und des Olymp 1), von welchen er ſpricht, mögen freilich bloße Fictionen ſein. 4. Abſchnitt. Mit dem XV. Jahrhundert rauben dann auf einmal die großen Meiſter der flandriſchen Schule, Hubert und Johann van Eyck, der Natur ihr Bild. Und zwar iſt ihre Landſchaft nicht bloß Conſequenz ihres allgemeinen Strebens, einen Schein der Wirklichkeit hervorzubringen, ſondern ſie hat bereits einen ſelbſtändigen poetiſchen Gehalt, eine Seele, wenn auch nur in befangener Weiſe. Der Eindruck der- ſelben auf die ganze abendländiſche Kunſt iſt unläugbar, und ſo blieb auch die italieniſche Landſchaftmalerei davon nicht unberührt. Allein daneben geht das eigenthümliche Intereſſe des gebildeten italieniſchen Auges für die Land- ſchaft ſeinen eigenen Weg. Wie in der wiſſenſchaftlichen Cosmographik ſo iſt auch hier Aeneas Sylvius eine der wichtigſten Stimmen der Zeit. Man könnte den Menſchen Aeneas völlig Preis ge- ben und müßte gleichwohl dabei geſtehen, daß in wenigen Andern das Bild der Zeit und ihrer Geiſtescultur ſich ſo vollſtändig und lebendig ſpiegelte, daß wenige Andere dem Normalmenſchen der Frührenaiſſance ſo nahe kommen. Uebrigens wird man ihn auch in moraliſcher Beziehung, beiläufig geſagt, nicht ganz billig beurtheilen, wenn man Aen. Sylvius und die Land- ſchaft. 1) Dittamondo, III, cap. 21. IV, cap. 4. — Papencordt, Geſch. der Stadt Rom, S. 426, ſagt, daß Kaiſer Carl IV. vielen Sinn für ſchöne Gegenden gehabt habe und citirt hiezu Pelzel, Carl IV, S. 456. (Die beiden andern Citate, die er anführt, ſagen dieß nicht) Es wäre möglich, daß dergleichen dem Kaiſer durch ſeinen Umgang mit den Humaniſten angeflogen wäre.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/308>, abgerufen am 28.03.2024.