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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.Urkunden eine Erkenntlichkeit die man in Ferrara etwas
stark fand. 1) Was Herzog Borso dabei dachte, als sein
kaiserlicher Gönner dergestalt urkundete und der ganze kleine
Hof sich mit Titeln versah, wird nicht gemeldet. Die Hu-
manisten, welche damals das große Wort führten, waren
je nach den Interessen getheilt. Während die einen 2) den
Kaiser mit dem conventionellen Jubel der Dichter des kaiser-
lichen Roms feiern, weiß Poggio 3) gar nicht mehr, was
die Krönung eigentlich sagen solle; bei den Alten sei ja
nur ein siegreicher Imperator gekrönt worden und zwar
mit Lorbeer.

Das Kaiser-
thum und die
Intervention.
Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiser-
liche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der
allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang --
die Belehnung des Lodovico Moro mit Beseitigung seines
unglücklichen Neffen -- war nicht von der Art, welche
Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie
darf, wenn Zweie ein Land zerreißen wollen, auch ein
Dritter kommen und mithalten, und so konnte auch das
Kaiserthum sein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl.
mußte man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. 1502 in
Genua erwartet wurde, als man den großen Reichsadler
von der Fronte des Hauptsaales im Dogenpalast wegtilgte
und alles mit Lilien bemalte, frug der Geschichtschreiber
Senarega 4) überall herum, was jener bei so vielen Revo-
lutionen stets geschonte Adler eigentlich bedeute und was
für Ansprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wußte
etwas anderes als die alte Rede: Genua sei eine camera
imperii.
Niemand wußte überhaupt in Italien irgend
welchen sichern Bescheid über solche Fragen. Erst als Carl V.

1) Haveria voluto scortigare la brigata.
2) Annales Estenses, bei Murat. XX, Col. 41.
3) Poggii Hist. Florent. pop., L. VII, bei Murat. XX, Col. 381.
4) Senarega, de reb. Genuens., bei Murat. XXIV, Col. 575.

1. Abſchnitt.Urkunden eine Erkenntlichkeit die man in Ferrara etwas
ſtark fand. 1) Was Herzog Borſo dabei dachte, als ſein
kaiſerlicher Gönner dergeſtalt urkundete und der ganze kleine
Hof ſich mit Titeln verſah, wird nicht gemeldet. Die Hu-
maniſten, welche damals das große Wort führten, waren
je nach den Intereſſen getheilt. Während die einen 2) den
Kaiſer mit dem conventionellen Jubel der Dichter des kaiſer-
lichen Roms feiern, weiß Poggio 3) gar nicht mehr, was
die Krönung eigentlich ſagen ſolle; bei den Alten ſei ja
nur ein ſiegreicher Imperator gekrönt worden und zwar
mit Lorbeer.

Das Kaiſer-
thum und die
Intervention.
Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiſer-
liche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der
allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang —
die Belehnung des Lodovico Moro mit Beſeitigung ſeines
unglücklichen Neffen — war nicht von der Art, welche
Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie
darf, wenn Zweie ein Land zerreißen wollen, auch ein
Dritter kommen und mithalten, und ſo konnte auch das
Kaiſerthum ſein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl.
mußte man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. 1502 in
Genua erwartet wurde, als man den großen Reichsadler
von der Fronte des Hauptſaales im Dogenpalaſt wegtilgte
und alles mit Lilien bemalte, frug der Geſchichtſchreiber
Senarega 4) überall herum, was jener bei ſo vielen Revo-
lutionen ſtets geſchonte Adler eigentlich bedeute und was
für Anſprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wußte
etwas anderes als die alte Rede: Genua ſei eine camera
imperii.
Niemand wußte überhaupt in Italien irgend
welchen ſichern Beſcheid über ſolche Fragen. Erſt als Carl V.

1) Haveria voluto scortigare la brigata.
2) Annales Estenses, bei Murat. XX, Col. 41.
3) Poggii Hist. Florent. pop., L. VII, bei Murat. XX, Col. 381.
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[18/0028] Urkunden eine Erkenntlichkeit die man in Ferrara etwas ſtark fand. 1) Was Herzog Borſo dabei dachte, als ſein kaiſerlicher Gönner dergeſtalt urkundete und der ganze kleine Hof ſich mit Titeln verſah, wird nicht gemeldet. Die Hu- maniſten, welche damals das große Wort führten, waren je nach den Intereſſen getheilt. Während die einen 2) den Kaiſer mit dem conventionellen Jubel der Dichter des kaiſer- lichen Roms feiern, weiß Poggio 3) gar nicht mehr, was die Krönung eigentlich ſagen ſolle; bei den Alten ſei ja nur ein ſiegreicher Imperator gekrönt worden und zwar mit Lorbeer. 1. Abſchnitt. Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiſer- liche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang — die Belehnung des Lodovico Moro mit Beſeitigung ſeines unglücklichen Neffen — war nicht von der Art, welche Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie darf, wenn Zweie ein Land zerreißen wollen, auch ein Dritter kommen und mithalten, und ſo konnte auch das Kaiſerthum ſein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl. mußte man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. 1502 in Genua erwartet wurde, als man den großen Reichsadler von der Fronte des Hauptſaales im Dogenpalaſt wegtilgte und alles mit Lilien bemalte, frug der Geſchichtſchreiber Senarega 4) überall herum, was jener bei ſo vielen Revo- lutionen ſtets geſchonte Adler eigentlich bedeute und was für Anſprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wußte etwas anderes als die alte Rede: Genua ſei eine camera imperii. Niemand wußte überhaupt in Italien irgend welchen ſichern Beſcheid über ſolche Fragen. Erſt als Carl V. Das Kaiſer- thum und die Intervention. 1) Haveria voluto scortigare la brigata. 2) Annales Estenses, bei Murat. XX, Col. 41. 3) Poggii Hist. Florent. pop., L. VII, bei Murat. XX, Col. 381. 4) Senarega, de reb. Genuens., bei Murat. XXIV, Col. 575.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/28>, abgerufen am 28.03.2024.