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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Man kann sich denken, wie emsig in jenen Zeiten die3. Abschnitt.
Briefsammlungen des Cicero, Plinius u. A. studirt wurden.
Es erschien schon im XV. Jahrhundert eine ganze Reihe
von Anweisungen und Formularen zum lateinischen Brief-
schreiben, als Seitenzweig der großen grammaticalischen
und lexicographischen Arbeiten, deren Masse in den Biblio-
theken noch heute Erstaunen erregt. Je mehr Unberufene
aber mit dergleichen Hülfsmitteln sich an die Aufgabe wagten,
desto mehr nahmen sich die Virtuosen zusammen und die
Briefe Poliziano's und im Beginn des XVI. Jahrhunderts
die des Pietro Bembo erschienen dann als die irgend er-
reichbaren Meisterwerke nicht nur des lateinischen Styles
sondern der Epistolographie als solcher.

Daneben meldet sich mit dem XVI. Jahrhundert auch
ein classischer italienischer Briefstyl, wo Bembo wiederum
an der Spitze steht. Es ist eine völlig moderne, vom La-
teinischen mit Absicht fern gehaltene Schreibart, und doch
geistig total vom Alterthum durchdrungen und bestimmt.

Viel glänzender noch als der Briefschreiber tritt derDie Redner.
Redner 1) hervor, in einer Zeit und bei einem Volke, wo
das Hören als ein Genuß ersten Ranges galt und wo das
Phantasiebild des römischen Senates und seiner Redner
alle Geister beherrschte. Von der Kirche, bei welcher sie
im Mittelalter ihre Zuflucht gehabt, wird die Eloquenz
vollkommen emancipirt; sie bildet ein nothwendiges Element
und eine Zierde jedes erhöhten Daseins. Sehr viele fest-
liche Augenblicke, die gegenwärtig mit der Musik ausgefüllt
werden, gehörten damals der lateinischen oder italienischen
Rede, worüber sich jeder unserer Leser seine Gedanken
machen möge.

1) Man vgl. die Reden in den Opera des Philelphus, Sabellicus, Be-
roaldus d. ä. etc. und die Schriften und Biographien des Jan.
Mannetti, Aeneas Sylvius etc.
15*

Man kann ſich denken, wie emſig in jenen Zeiten die3. Abſchnitt.
Briefſammlungen des Cicero, Plinius u. A. ſtudirt wurden.
Es erſchien ſchon im XV. Jahrhundert eine ganze Reihe
von Anweiſungen und Formularen zum lateiniſchen Brief-
ſchreiben, als Seitenzweig der großen grammaticaliſchen
und lexicographiſchen Arbeiten, deren Maſſe in den Biblio-
theken noch heute Erſtaunen erregt. Je mehr Unberufene
aber mit dergleichen Hülfsmitteln ſich an die Aufgabe wagten,
deſto mehr nahmen ſich die Virtuoſen zuſammen und die
Briefe Poliziano's und im Beginn des XVI. Jahrhunderts
die des Pietro Bembo erſchienen dann als die irgend er-
reichbaren Meiſterwerke nicht nur des lateiniſchen Styles
ſondern der Epiſtolographie als ſolcher.

Daneben meldet ſich mit dem XVI. Jahrhundert auch
ein claſſiſcher italieniſcher Briefſtyl, wo Bembo wiederum
an der Spitze ſteht. Es iſt eine völlig moderne, vom La-
teiniſchen mit Abſicht fern gehaltene Schreibart, und doch
geiſtig total vom Alterthum durchdrungen und beſtimmt.

Viel glänzender noch als der Briefſchreiber tritt derDie Redner.
Redner 1) hervor, in einer Zeit und bei einem Volke, wo
das Hören als ein Genuß erſten Ranges galt und wo das
Phantaſiebild des römiſchen Senates und ſeiner Redner
alle Geiſter beherrſchte. Von der Kirche, bei welcher ſie
im Mittelalter ihre Zuflucht gehabt, wird die Eloquenz
vollkommen emancipirt; ſie bildet ein nothwendiges Element
und eine Zierde jedes erhöhten Daſeins. Sehr viele feſt-
liche Augenblicke, die gegenwärtig mit der Muſik ausgefüllt
werden, gehörten damals der lateiniſchen oder italieniſchen
Rede, worüber ſich jeder unſerer Leſer ſeine Gedanken
machen möge.

1) Man vgl. die Reden in den Opera des Philelphus, Sabellicus, Be-
roaldus d. ä. ꝛc. und die Schriften und Biographien des Jan.
Mannetti, Aeneas Sylvius ꝛc.
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[227/0237] Man kann ſich denken, wie emſig in jenen Zeiten die Briefſammlungen des Cicero, Plinius u. A. ſtudirt wurden. Es erſchien ſchon im XV. Jahrhundert eine ganze Reihe von Anweiſungen und Formularen zum lateiniſchen Brief- ſchreiben, als Seitenzweig der großen grammaticaliſchen und lexicographiſchen Arbeiten, deren Maſſe in den Biblio- theken noch heute Erſtaunen erregt. Je mehr Unberufene aber mit dergleichen Hülfsmitteln ſich an die Aufgabe wagten, deſto mehr nahmen ſich die Virtuoſen zuſammen und die Briefe Poliziano's und im Beginn des XVI. Jahrhunderts die des Pietro Bembo erſchienen dann als die irgend er- reichbaren Meiſterwerke nicht nur des lateiniſchen Styles ſondern der Epiſtolographie als ſolcher. 3. Abſchnitt. Daneben meldet ſich mit dem XVI. Jahrhundert auch ein claſſiſcher italieniſcher Briefſtyl, wo Bembo wiederum an der Spitze ſteht. Es iſt eine völlig moderne, vom La- teiniſchen mit Abſicht fern gehaltene Schreibart, und doch geiſtig total vom Alterthum durchdrungen und beſtimmt. Viel glänzender noch als der Briefſchreiber tritt der Redner 1) hervor, in einer Zeit und bei einem Volke, wo das Hören als ein Genuß erſten Ranges galt und wo das Phantaſiebild des römiſchen Senates und ſeiner Redner alle Geiſter beherrſchte. Von der Kirche, bei welcher ſie im Mittelalter ihre Zuflucht gehabt, wird die Eloquenz vollkommen emancipirt; ſie bildet ein nothwendiges Element und eine Zierde jedes erhöhten Daſeins. Sehr viele feſt- liche Augenblicke, die gegenwärtig mit der Muſik ausgefüllt werden, gehörten damals der lateiniſchen oder italieniſchen Rede, worüber ſich jeder unſerer Leſer ſeine Gedanken machen möge. Die Redner. 1) Man vgl. die Reden in den Opera des Philelphus, Sabellicus, Be- roaldus d. ä. ꝛc. und die Schriften und Biographien des Jan. Mannetti, Aeneas Sylvius ꝛc. 15*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/237>, abgerufen am 25.04.2024.