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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.Poeten in zahllosen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermo-
nen jenen fröhlichen, glänzenden Geist der leonischen Zeit,
welchen die Biographie des Jovius athmet, auf bildliche
Weise darstellten 1). Vielleicht ist in der ganzen abend-
ländischen Geschichte kein Fürst, welchen man im Verhältniß
zu den wenigen darstellbaren Ereignissen seines Lebens so
vielseitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die
Dichter hauptsächlich um Mittag, wann die Saitenvirtuosen
aufgehört hatten 2); aber einer der Besten aus der ganzen
Schaar 3) giebt zu verstehen, daß sie ihm auch sonst auf
Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innersten Ge-
mächern des Palastes beizukommen suchten, und wer ihn
da nicht erreichte versuchte es mit einem Bettelbrief in Form
einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam4). Denn
Leo, der kein Geld beisammen sehen konnte und lauter
heitere Mienen zu erblicken wünschte, schenkte auf eine
Weise, deren Andenken sich in den folgenden knappen Zeiten
rasch zum Mythus verklärte 5). Von seiner Reorganisation
der Sapienza ist bereits (S. 207) die Rede gewesen. Um
Leo's wahre
Bedeutung.
Leo's Einfluß auf den Humanismus nicht zu gering zu
taxiren, muß man den Blick frei halten von den vielen
Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf sich nicht irre
machen lassen durch die bedenklich scheinende Ironie (S. 158),
womit er selbst diese Dinge bisweilen behandelt; das Urtheil

1) Das Beste in den Deliciae poetarum italorum und in den Bei-
lagen zu den verschiedenen Ausgaben von Roscoe, Leo X.
2) Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Guido Posthumus.
3) Pierio Valeriano in seiner "Simia".
4) S. die Elegie des Joh. Aurelius Mutius, in den Deliciae poet. ital.
5) Die bekannte Geschichte von der purpursammtnen Börse mit Gold-
päckchen verschiedener Größe, in welche Leo blindlings hineingreift,
bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 8. Dafür wurden Leo's
lateinische Tafelimprovisatoren, wenn sie gar zu hinkende Verse mach-
ten, mit Peitschen geschlagen. Lil. Greg. Gyraldus, de poetis
nostri temp.

3. Abſchnitt.Poeten in zahlloſen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermo-
nen jenen fröhlichen, glänzenden Geiſt der leoniſchen Zeit,
welchen die Biographie des Jovius athmet, auf bildliche
Weiſe darſtellten 1). Vielleicht iſt in der ganzen abend-
ländiſchen Geſchichte kein Fürſt, welchen man im Verhältniß
zu den wenigen darſtellbaren Ereigniſſen ſeines Lebens ſo
vielſeitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die
Dichter hauptſächlich um Mittag, wann die Saitenvirtuoſen
aufgehört hatten 2); aber einer der Beſten aus der ganzen
Schaar 3) giebt zu verſtehen, daß ſie ihm auch ſonſt auf
Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innerſten Ge-
mächern des Palaſtes beizukommen ſuchten, und wer ihn
da nicht erreichte verſuchte es mit einem Bettelbrief in Form
einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam4). Denn
Leo, der kein Geld beiſammen ſehen konnte und lauter
heitere Mienen zu erblicken wünſchte, ſchenkte auf eine
Weiſe, deren Andenken ſich in den folgenden knappen Zeiten
raſch zum Mythus verklärte 5). Von ſeiner Reorganiſation
der Sapienza iſt bereits (S. 207) die Rede geweſen. Um
Leo's wahre
Bedeutung.
Leo's Einfluß auf den Humanismus nicht zu gering zu
taxiren, muß man den Blick frei halten von den vielen
Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf ſich nicht irre
machen laſſen durch die bedenklich ſcheinende Ironie (S. 158),
womit er ſelbſt dieſe Dinge bisweilen behandelt; das Urtheil

1) Das Beſte in den Deliciæ poetarum italorum und in den Bei-
lagen zu den verſchiedenen Ausgaben von Roscoe, Leo X.
2) Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Guido Poſthumus.
3) Pierio Valeriano in ſeiner „Simia“.
4) S. die Elegie des Joh. Aurelius Mutius, in den Deliciæ poet. ital.
5) Die bekannte Geſchichte von der purpurſammtnen Börſe mit Gold-
päckchen verſchiedener Größe, in welche Leo blindlings hineingreift,
bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 8. Dafür wurden Leo's
lateiniſche Tafelimproviſatoren, wenn ſie gar zu hinkende Verſe mach-
ten, mit Peitſchen geſchlagen. Lil. Greg. Gyraldus, de poetis
nostri temp.
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[218/0228] Poeten in zahlloſen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermo- nen jenen fröhlichen, glänzenden Geiſt der leoniſchen Zeit, welchen die Biographie des Jovius athmet, auf bildliche Weiſe darſtellten 1). Vielleicht iſt in der ganzen abend- ländiſchen Geſchichte kein Fürſt, welchen man im Verhältniß zu den wenigen darſtellbaren Ereigniſſen ſeines Lebens ſo vielſeitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die Dichter hauptſächlich um Mittag, wann die Saitenvirtuoſen aufgehört hatten 2); aber einer der Beſten aus der ganzen Schaar 3) giebt zu verſtehen, daß ſie ihm auch ſonſt auf Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innerſten Ge- mächern des Palaſtes beizukommen ſuchten, und wer ihn da nicht erreichte verſuchte es mit einem Bettelbrief in Form einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam 4). Denn Leo, der kein Geld beiſammen ſehen konnte und lauter heitere Mienen zu erblicken wünſchte, ſchenkte auf eine Weiſe, deren Andenken ſich in den folgenden knappen Zeiten raſch zum Mythus verklärte 5). Von ſeiner Reorganiſation der Sapienza iſt bereits (S. 207) die Rede geweſen. Um Leo's Einfluß auf den Humanismus nicht zu gering zu taxiren, muß man den Blick frei halten von den vielen Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf ſich nicht irre machen laſſen durch die bedenklich ſcheinende Ironie (S. 158), womit er ſelbſt dieſe Dinge bisweilen behandelt; das Urtheil 3. Abſchnitt. Leo's wahre Bedeutung. 1) Das Beſte in den Deliciæ poetarum italorum und in den Bei- lagen zu den verſchiedenen Ausgaben von Roscoe, Leo X. 2) Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Guido Poſthumus. 3) Pierio Valeriano in ſeiner „Simia“. 4) S. die Elegie des Joh. Aurelius Mutius, in den Deliciæ poet. ital. 5) Die bekannte Geſchichte von der purpurſammtnen Börſe mit Gold- päckchen verſchiedener Größe, in welche Leo blindlings hineingreift, bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 8. Dafür wurden Leo's lateiniſche Tafelimproviſatoren, wenn ſie gar zu hinkende Verſe mach- ten, mit Peitſchen geſchlagen. Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/228>, abgerufen am 28.03.2024.