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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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von Belluno 1) hielt sich um Avicenna's willen lange in3. Abschnitt.
Damascus auf, lernte das Arabische und emendirte seinen
Autor; die venezianische Regierung stellte ihn dann für
dieses besondere Fach in Padua an.

Bei Pico müssen wir hier noch verweilen, ehe wir zuPico della Mi-
randola.

der Wirkung des Humanismus im Großen übergehen. Er
ist der Einzige, welcher laut und mit Nachdruck die Wissen-
schaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einseitige Her-
vorheben des classischen Alterthums verfochten hat 2). Nicht
nur Averrhoes und die jüdischen Forscher, sondern auch die
Scholastiker des Mittelalters schätzt er nach ihrem Sach-
inhalt; er glaubt sie reden zu hören: "wir werden ewig
leben, nicht in den Schulen der Sylbenstecher, sondern im
Kreis der Weisen, wo man nicht über die Mutter der
Andromache oder über die Söhne der Niobe discutirt,
sondern über die tiefern Gründe göttlicher und menschlicher
Dinge; wer da näher tritt, wird merken, daß auch die
Barbaren den Geist (Mercurium) hatten, nicht auf der
Zunge, aber im Busen". Im Besitz eines kräftigen, durch-
aus nicht unschönen Lateins und einer klaren Darstellung
verachtet er den pedantischen Purismus und die ganze
Ueberschätzung einer entlehnten Form, zumal wenn sie mit
Einseitigkeit und Einbuße der vollen großen Wahrheit in
der Sache verbunden ist. An ihm kann man inne werden,
welche erhabene Wendung die italienische Philosophie würde
genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das
ganze höhere Geistesleben gestört hätte.

1) Pierius Valerian., de infelic. lit. bei Anlaß des Mongajo. --
Ueber Ramusio, vgl. Sansovino, Venezia, Fol. 250.
2) Vorzüglich in dem wichtigen Briefe vom J. 1485 an Ermolao
Barbaro, bei Ang. Politian. epistolae, L. IX. -- Vgl. Jo. Pici
oratio de hominis dignitate.

von Belluno 1) hielt ſich um Avicenna's willen lange in3. Abſchnitt.
Damascus auf, lernte das Arabiſche und emendirte ſeinen
Autor; die venezianiſche Regierung ſtellte ihn dann für
dieſes beſondere Fach in Padua an.

Bei Pico müſſen wir hier noch verweilen, ehe wir zuPico della Mi-
randola.

der Wirkung des Humanismus im Großen übergehen. Er
iſt der Einzige, welcher laut und mit Nachdruck die Wiſſen-
ſchaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einſeitige Her-
vorheben des claſſiſchen Alterthums verfochten hat 2). Nicht
nur Averrhoes und die jüdiſchen Forſcher, ſondern auch die
Scholaſtiker des Mittelalters ſchätzt er nach ihrem Sach-
inhalt; er glaubt ſie reden zu hören: „wir werden ewig
leben, nicht in den Schulen der Sylbenſtecher, ſondern im
Kreis der Weiſen, wo man nicht über die Mutter der
Andromache oder über die Söhne der Niobe discutirt,
ſondern über die tiefern Gründe göttlicher und menſchlicher
Dinge; wer da näher tritt, wird merken, daß auch die
Barbaren den Geiſt (Mercurium) hatten, nicht auf der
Zunge, aber im Buſen“. Im Beſitz eines kräftigen, durch-
aus nicht unſchönen Lateins und einer klaren Darſtellung
verachtet er den pedantiſchen Purismus und die ganze
Ueberſchätzung einer entlehnten Form, zumal wenn ſie mit
Einſeitigkeit und Einbuße der vollen großen Wahrheit in
der Sache verbunden iſt. An ihm kann man inne werden,
welche erhabene Wendung die italieniſche Philoſophie würde
genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das
ganze höhere Geiſtesleben geſtört hätte.

1) Pierius Valerian., de infelic. lit. bei Anlaß des Mongajo. —
Ueber Ramuſio, vgl. Sansovino, Venezia, Fol. 250.
2) Vorzüglich in dem wichtigen Briefe vom J. 1485 an Ermolao
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[197/0207] von Belluno 1) hielt ſich um Avicenna's willen lange in Damascus auf, lernte das Arabiſche und emendirte ſeinen Autor; die venezianiſche Regierung ſtellte ihn dann für dieſes beſondere Fach in Padua an. 3. Abſchnitt. Bei Pico müſſen wir hier noch verweilen, ehe wir zu der Wirkung des Humanismus im Großen übergehen. Er iſt der Einzige, welcher laut und mit Nachdruck die Wiſſen- ſchaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einſeitige Her- vorheben des claſſiſchen Alterthums verfochten hat 2). Nicht nur Averrhoes und die jüdiſchen Forſcher, ſondern auch die Scholaſtiker des Mittelalters ſchätzt er nach ihrem Sach- inhalt; er glaubt ſie reden zu hören: „wir werden ewig leben, nicht in den Schulen der Sylbenſtecher, ſondern im Kreis der Weiſen, wo man nicht über die Mutter der Andromache oder über die Söhne der Niobe discutirt, ſondern über die tiefern Gründe göttlicher und menſchlicher Dinge; wer da näher tritt, wird merken, daß auch die Barbaren den Geiſt (Mercurium) hatten, nicht auf der Zunge, aber im Buſen“. Im Beſitz eines kräftigen, durch- aus nicht unſchönen Lateins und einer klaren Darſtellung verachtet er den pedantiſchen Purismus und die ganze Ueberſchätzung einer entlehnten Form, zumal wenn ſie mit Einſeitigkeit und Einbuße der vollen großen Wahrheit in der Sache verbunden iſt. An ihm kann man inne werden, welche erhabene Wendung die italieniſche Philoſophie würde genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das ganze höhere Geiſtesleben geſtört hätte. Pico della Mi- randola. 1) Pierius Valerian., de infelic. lit. bei Anlaß des Mongajo. — Ueber Ramuſio, vgl. Sansovino, Venezia, Fol. 250. 2) Vorzüglich in dem wichtigen Briefe vom J. 1485 an Ermolao Barbaro, bei Ang. Politian. epistolæ, L. IX. — Vgl. Jo. Pici oratio de hominis dignitate.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/207>, abgerufen am 29.03.2024.