Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

bemächtigt hatten. Jene Colonie hatte begonnen mit Ma-3. Abschnitt.
nuel Chrysoloras und seinem Verwandten Johannes, so
wie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit
der Eroberung Constantinopels und nachher Johannes
Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der
seine Söhne Theophilos und Basilios zu tüchtigen Griechen
erzog, Andronikos Kallistos, Markos Musuros und die
Familie der Lascaris, nebst andern mehr. Seit jedoch die
Unterwerfung Griechenlands durch die Türken vollständig
war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, aus-
genommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein
paar Candioten und Cyprioten. Daß nun ungefähr mit
dem Tode Leo's X. auch der Verfall der griechischen Stu-Dessen frühe
Abnahme.

dien im Allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Theil seinen
Grund in einer Veränderung der geistigen Richtung über-
haupt 1), und in der bereits eingetretenen relativen Sätti-
gung mit dem Inhalt der classischen Literatur, gewiß ist
aber auch die Coincidenz mit dem Aussterben der gelehrten
Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechi-
schen unter den Italienern selbst erscheint, wenn man die
Zeit um 1500 zum Maßstab nimmt, gewaltig schwunghaft;
damals lernten diejenigen Leute griechisch reden, welche es
ein halbes Jahrhundert später noch als Greise konnten,
wie z. B. die Päpste Paul III. und Paul IV. 2) Gerade
diese Art von Theilnahme aber setzte den Umgang mit ge-
bornen Griechen voraus.

Außerhalb Florenz hatten Rom und Padua fast immer,
Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte
wenigstens zeitweise besoldete Lehrer des Griechischen 3).

1) Ranke, Päpste, I, 486. -- Man vgl. das Ende dieses Abschnittes.
2) Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 338. 379.
3) Georg von Trapezunt mit 150 Ducaten in Venedig 1459 als Pro-
fessor der Rhetorik besoldet, Malipiero, Arch. stor. VII, II, p. 653.
-- Ueber den griechischen Lehrstuhl in Perugia s. Arch. stor. XVI,
13*

bemächtigt hatten. Jene Colonie hatte begonnen mit Ma-3. Abſchnitt.
nuel Chryſoloras und ſeinem Verwandten Johannes, ſo
wie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit
der Eroberung Conſtantinopels und nachher Johannes
Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der
ſeine Söhne Theophilos und Baſilios zu tüchtigen Griechen
erzog, Andronikos Kalliſtos, Markos Muſuros und die
Familie der Lascaris, nebſt andern mehr. Seit jedoch die
Unterwerfung Griechenlands durch die Türken vollſtändig
war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, aus-
genommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein
paar Candioten und Cyprioten. Daß nun ungefähr mit
dem Tode Leo's X. auch der Verfall der griechiſchen Stu-Deſſen frühe
Abnahme.

dien im Allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Theil ſeinen
Grund in einer Veränderung der geiſtigen Richtung über-
haupt 1), und in der bereits eingetretenen relativen Sätti-
gung mit dem Inhalt der claſſiſchen Literatur, gewiß iſt
aber auch die Coincidenz mit dem Ausſterben der gelehrten
Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechi-
ſchen unter den Italienern ſelbſt erſcheint, wenn man die
Zeit um 1500 zum Maßſtab nimmt, gewaltig ſchwunghaft;
damals lernten diejenigen Leute griechiſch reden, welche es
ein halbes Jahrhundert ſpäter noch als Greiſe konnten,
wie z. B. die Päpſte Paul III. und Paul IV. 2) Gerade
dieſe Art von Theilnahme aber ſetzte den Umgang mit ge-
bornen Griechen voraus.

Außerhalb Florenz hatten Rom und Padua faſt immer,
Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte
wenigſtens zeitweiſe beſoldete Lehrer des Griechiſchen 3).

1) Ranke, Päpſte, I, 486. — Man vgl. das Ende dieſes Abſchnittes.
2) Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 338. 379.
3) Georg von Trapezunt mit 150 Ducaten in Venedig 1459 als Pro-
feſſor der Rhetorik beſoldet, Malipiero, Arch. stor. VII, II, p. 653.
— Ueber den griechiſchen Lehrſtuhl in Perugia ſ. Arch. stor. XVI,
13*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0205" n="195"/>
bemächtigt hatten. Jene Colonie hatte begonnen mit Ma-<note place="right"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">3. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note><lb/>
nuel Chry&#x017F;oloras und &#x017F;einem Verwandten Johannes, &#x017F;o<lb/>
wie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit<lb/>
der Eroberung Con&#x017F;tantinopels und nachher Johannes<lb/>
Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der<lb/>
&#x017F;eine Söhne Theophilos und Ba&#x017F;ilios zu tüchtigen Griechen<lb/>
erzog, Andronikos Kalli&#x017F;tos, Markos Mu&#x017F;uros und die<lb/>
Familie der Lascaris, neb&#x017F;t andern mehr. Seit jedoch die<lb/>
Unterwerfung Griechenlands durch die Türken voll&#x017F;tändig<lb/>
war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, aus-<lb/>
genommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein<lb/>
paar Candioten und Cyprioten. Daß nun ungefähr mit<lb/>
dem Tode Leo's <hi rendition="#aq">X.</hi> auch der Verfall der griechi&#x017F;chen Stu-<note place="right">De&#x017F;&#x017F;en frühe<lb/>
Abnahme.</note><lb/>
dien im Allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Theil &#x017F;einen<lb/>
Grund in einer Veränderung der gei&#x017F;tigen Richtung über-<lb/>
haupt <note place="foot" n="1)">Ranke, Päp&#x017F;te, <hi rendition="#aq">I, 486.</hi> &#x2014; Man vgl. das Ende die&#x017F;es Ab&#x017F;chnittes.</note>, und in der bereits eingetretenen relativen Sätti-<lb/>
gung mit dem Inhalt der cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Literatur, gewiß i&#x017F;t<lb/>
aber auch die Coincidenz mit dem Aus&#x017F;terben der gelehrten<lb/>
Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechi-<lb/>
&#x017F;chen unter den Italienern &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;cheint, wenn man die<lb/>
Zeit um 1500 zum Maß&#x017F;tab nimmt, gewaltig &#x017F;chwunghaft;<lb/>
damals lernten diejenigen Leute griechi&#x017F;ch reden, welche es<lb/>
ein halbes Jahrhundert &#x017F;päter noch als Grei&#x017F;e konnten,<lb/>
wie z. B. die Päp&#x017F;te Paul <hi rendition="#aq">III.</hi> und Paul <hi rendition="#aq">IV.</hi> <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 338. 379.</hi></note> Gerade<lb/>
die&#x017F;e Art von Theilnahme aber &#x017F;etzte den Umgang mit ge-<lb/>
bornen Griechen voraus.</p><lb/>
        <p>Außerhalb Florenz hatten Rom und Padua fa&#x017F;t immer,<lb/>
Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte<lb/>
wenig&#x017F;tens zeitwei&#x017F;e be&#x017F;oldete Lehrer des Griechi&#x017F;chen <note xml:id="seg2pn_13_1" next="#seg2pn_13_2" place="foot" n="3)">Georg von Trapezunt mit 150 Ducaten in Venedig 1459 als Pro-<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;or der Rhetorik be&#x017F;oldet, <hi rendition="#aq">Malipiero, Arch. stor. VII, II, p. 653.</hi><lb/>
&#x2014; Ueber den griechi&#x017F;chen Lehr&#x017F;tuhl in Perugia &#x017F;. <hi rendition="#aq">Arch. stor. XVI,</hi></note>.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0205] bemächtigt hatten. Jene Colonie hatte begonnen mit Ma- nuel Chryſoloras und ſeinem Verwandten Johannes, ſo wie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit der Eroberung Conſtantinopels und nachher Johannes Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der ſeine Söhne Theophilos und Baſilios zu tüchtigen Griechen erzog, Andronikos Kalliſtos, Markos Muſuros und die Familie der Lascaris, nebſt andern mehr. Seit jedoch die Unterwerfung Griechenlands durch die Türken vollſtändig war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, aus- genommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein paar Candioten und Cyprioten. Daß nun ungefähr mit dem Tode Leo's X. auch der Verfall der griechiſchen Stu- dien im Allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Theil ſeinen Grund in einer Veränderung der geiſtigen Richtung über- haupt 1), und in der bereits eingetretenen relativen Sätti- gung mit dem Inhalt der claſſiſchen Literatur, gewiß iſt aber auch die Coincidenz mit dem Ausſterben der gelehrten Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechi- ſchen unter den Italienern ſelbſt erſcheint, wenn man die Zeit um 1500 zum Maßſtab nimmt, gewaltig ſchwunghaft; damals lernten diejenigen Leute griechiſch reden, welche es ein halbes Jahrhundert ſpäter noch als Greiſe konnten, wie z. B. die Päpſte Paul III. und Paul IV. 2) Gerade dieſe Art von Theilnahme aber ſetzte den Umgang mit ge- bornen Griechen voraus. 3. Abſchnitt. Deſſen frühe Abnahme. Außerhalb Florenz hatten Rom und Padua faſt immer, Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte wenigſtens zeitweiſe beſoldete Lehrer des Griechiſchen 3). 1) Ranke, Päpſte, I, 486. — Man vgl. das Ende dieſes Abſchnittes. 2) Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 338. 379. 3) Georg von Trapezunt mit 150 Ducaten in Venedig 1459 als Pro- feſſor der Rhetorik beſoldet, Malipiero, Arch. stor. VII, II, p. 653. — Ueber den griechiſchen Lehrſtuhl in Perugia ſ. Arch. stor. XVI, 13*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/205
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/205>, abgerufen am 19.04.2024.