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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Bibliothek von S. Marco in Florenz, der viscontinischen3. Abschnitt.
Bibliothek von Pavia, ja selbst das Inventar von Oxford,
und fand mit Stolz, daß Urbino in der Vollständigkeit der
Schriften des einzelnen Autors jenen vielfach überlegen sei.
In der Masse wog vielleicht noch das Mittelalter und die
Theologie vor; da fand sich der ganze Thomas von Aquino,
der ganze Albertus magnus, der ganze Bonaventura etc.;
sonst war die Bibliothek sehr vielseitig und enthielt z. B.
alle irgend beizuschaffenden medicinischen Werke. Unter den
"Moderni" standen die großen Autoren des XIV. Jahr-
hunderts, z. B. Dante, Boccaccio mit ihren gesammten
Werken oben an; dann folgten 25 auserlesene Humanisten,
immer mit ihren lateinischen und italienischen Schriften
und allem was sie übersetzt hatten. Unter den griechischen
Codices überwogen sehr die Kirchenväter, doch heißt es bei
den Classikern u. a. in einem Zuge: alle Werke des So-
phokles, alle Werke des Pindar, alle Werke des Menan-
der
-- ein Codex, der offenbar frühe 1) aus Urbino ver-
schwunden sein muß, weil ihn sonst die Philologen bald
edirt haben würden.

Von der Art wie damals Handschriften und Biblio-Copisten und
Scrittori.

theken entstanden, erhalten wir auch sonst einige Rechen-
schaft. Der directe Ankauf eines ältern Manuscriptes,
welches einen raren oder allein vollständigen oder gar nur
einzig vorhandenen Text eines alten Autors enthielt, blieb
natürlich eine seltene Gabe des Glückes und kam nicht in
Rechnung. Unter den Copisten nahmen diejenigen, welche

1) Etwa bei der Einnahme von Urbino durch das Heer Cesare Borgia's?
-- Mai bezweifelt die Existenz der Handschrift, ich kann aber nicht
glauben, daß Vespasiano etwa die bloßen Gnomenexcerpte aus Me-
nander, bekanntlich nur ein paar hundert Verse, mit "tutte le
opere"
und in jener Reihe umfangreicher Codices (mochte es auch
nur unser jetziger Sophokles und Pindar sein) aufgeführt haben
würde. Es ist nicht undenkbar, daß jener Menander noch einmal
zum Vorschein kömmt.

Bibliothek von S. Marco in Florenz, der viscontiniſchen3. Abſchnitt.
Bibliothek von Pavia, ja ſelbſt das Inventar von Oxford,
und fand mit Stolz, daß Urbino in der Vollſtändigkeit der
Schriften des einzelnen Autors jenen vielfach überlegen ſei.
In der Maſſe wog vielleicht noch das Mittelalter und die
Theologie vor; da fand ſich der ganze Thomas von Aquino,
der ganze Albertus magnus, der ganze Bonaventura ꝛc.;
ſonſt war die Bibliothek ſehr vielſeitig und enthielt z. B.
alle irgend beizuſchaffenden mediciniſchen Werke. Unter den
„Moderni“ ſtanden die großen Autoren des XIV. Jahr-
hunderts, z. B. Dante, Boccaccio mit ihren geſammten
Werken oben an; dann folgten 25 auserleſene Humaniſten,
immer mit ihren lateiniſchen und italieniſchen Schriften
und allem was ſie überſetzt hatten. Unter den griechiſchen
Codices überwogen ſehr die Kirchenväter, doch heißt es bei
den Claſſikern u. a. in einem Zuge: alle Werke des So-
phokles, alle Werke des Pindar, alle Werke des Menan-
der
— ein Codex, der offenbar frühe 1) aus Urbino ver-
ſchwunden ſein muß, weil ihn ſonſt die Philologen bald
edirt haben würden.

Von der Art wie damals Handſchriften und Biblio-Copiſten und
Scrittori.

theken entſtanden, erhalten wir auch ſonſt einige Rechen-
ſchaft. Der directe Ankauf eines ältern Manuſcriptes,
welches einen raren oder allein vollſtändigen oder gar nur
einzig vorhandenen Text eines alten Autors enthielt, blieb
natürlich eine ſeltene Gabe des Glückes und kam nicht in
Rechnung. Unter den Copiſten nahmen diejenigen, welche

1) Etwa bei der Einnahme von Urbino durch das Heer Ceſare Borgia's?
— Mai bezweifelt die Exiſtenz der Handſchrift, ich kann aber nicht
glauben, daß Vespaſiano etwa die bloßen Gnomenexcerpte aus Me-
nander, bekanntlich nur ein paar hundert Verſe, mit „tutte le
opere“
und in jener Reihe umfangreicher Codices (mochte es auch
nur unſer jetziger Sophokles und Pindar ſein) aufgeführt haben
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[191/0201] Bibliothek von S. Marco in Florenz, der viscontiniſchen Bibliothek von Pavia, ja ſelbſt das Inventar von Oxford, und fand mit Stolz, daß Urbino in der Vollſtändigkeit der Schriften des einzelnen Autors jenen vielfach überlegen ſei. In der Maſſe wog vielleicht noch das Mittelalter und die Theologie vor; da fand ſich der ganze Thomas von Aquino, der ganze Albertus magnus, der ganze Bonaventura ꝛc.; ſonſt war die Bibliothek ſehr vielſeitig und enthielt z. B. alle irgend beizuſchaffenden mediciniſchen Werke. Unter den „Moderni“ ſtanden die großen Autoren des XIV. Jahr- hunderts, z. B. Dante, Boccaccio mit ihren geſammten Werken oben an; dann folgten 25 auserleſene Humaniſten, immer mit ihren lateiniſchen und italieniſchen Schriften und allem was ſie überſetzt hatten. Unter den griechiſchen Codices überwogen ſehr die Kirchenväter, doch heißt es bei den Claſſikern u. a. in einem Zuge: alle Werke des So- phokles, alle Werke des Pindar, alle Werke des Menan- der — ein Codex, der offenbar frühe 1) aus Urbino ver- ſchwunden ſein muß, weil ihn ſonſt die Philologen bald edirt haben würden. 3. Abſchnitt. Von der Art wie damals Handſchriften und Biblio- theken entſtanden, erhalten wir auch ſonſt einige Rechen- ſchaft. Der directe Ankauf eines ältern Manuſcriptes, welches einen raren oder allein vollſtändigen oder gar nur einzig vorhandenen Text eines alten Autors enthielt, blieb natürlich eine ſeltene Gabe des Glückes und kam nicht in Rechnung. Unter den Copiſten nahmen diejenigen, welche Copiſten und Scrittori. 1) Etwa bei der Einnahme von Urbino durch das Heer Ceſare Borgia's? — Mai bezweifelt die Exiſtenz der Handſchrift, ich kann aber nicht glauben, daß Vespaſiano etwa die bloßen Gnomenexcerpte aus Me- nander, bekanntlich nur ein paar hundert Verſe, mit „tutte le opere“ und in jener Reihe umfangreicher Codices (mochte es auch nur unſer jetziger Sophokles und Pindar ſein) aufgeführt haben würde. Es iſt nicht undenkbar, daß jener Menander noch einmal zum Vorſchein kömmt.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/201>, abgerufen am 18.04.2024.