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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Vor Allem genießt die Ruinenstadt Rom selber jetzt3. Abschnitt.
eine andere Art von Pietät als zu der Zeit da die Mira-Die Ruinen von
Rom.

bilia Romae und das Sammelwerk des Wilhelm von Mal-
mesbury verfaßt wurden. Die Phantasie des frommen
Pilgers wie die des Zaubergläubigen und des Schatzgräbers
tritt in den Aufzeichnungen zurück neben der des Historikers
und Patrioten. In diesem Sinne wollen Dante's Worte 1)
verstanden sein: Die Steine der Mauern von Rom ver-
dienten Ehrfurcht, und der Boden worauf die Stadt ge-
baut ist, sei würdiger als die Menschen sagen. Die colossale
Frequenz der Jubileen läßt in der eigentlichen Literatur
doch kaum eine andächtige Erinnerung zurück; als besten
Gewinn vom Jubileum des Jahres 1300 bringt Giovanni
Villani (S. 74) seinen Entschluß zur Geschichtschreibung
mit nach Hause, welchen der Anblick der Ruinen von Rom
in ihm geweckt. Petrarca giebt uns noch Kunde von einer
zwischen classischem und christlichem Alterthum getheilten
Stimmung; er erzählt, wie er oftmals mit Giovanni Co-
lonna auf die riesigen Gewölbe der Diocletiansthermen
hinaufgestiegen 2); hier, in der reinen Luft, in tiefer Stille,
mitten in der weiten Rundsicht redeten sie zusammen, nicht
von Geschäften, Hauswesen und Politik, sondern, mit dem
Blick auf die Trümmer ringsum, von der Geschichte, wobei
Petrarca mehr das Alterthum, Giovanni mehr die christliche
Zeit vertrat; dann auch von der Philosophie und von den
Erfindern der Künste. Wie oft seitdem bis auf Gibbon
und Niebuhr hat diese Ruinenwelt die geschichtliche Con-
templation geweckt.

Dieselbe getheilte Empfindung offenbart auch nochUberti.
Fazio degli Uberti in seinem um 1360 verfaßten Ditta-
mondo, einer fingirten visionären Reisebeschreibung, wobei

1) Dante, Convito, Tratt. IV, Cap. 5.
2) Epp. familiares VI, 2 (pag. 657); Aeußerungen über Rom, bevor
er es gesehen ibid. II, 9 (p. 600); vgl. II, 14.
Cultur der Renaissance. 12

Vor Allem genießt die Ruinenſtadt Rom ſelber jetzt3. Abſchnitt.
eine andere Art von Pietät als zu der Zeit da die Mira-Die Ruinen von
Rom.

bilia Romae und das Sammelwerk des Wilhelm von Mal-
mesbury verfaßt wurden. Die Phantaſie des frommen
Pilgers wie die des Zaubergläubigen und des Schatzgräbers
tritt in den Aufzeichnungen zurück neben der des Hiſtorikers
und Patrioten. In dieſem Sinne wollen Dante's Worte 1)
verſtanden ſein: Die Steine der Mauern von Rom ver-
dienten Ehrfurcht, und der Boden worauf die Stadt ge-
baut iſt, ſei würdiger als die Menſchen ſagen. Die coloſſale
Frequenz der Jubileen läßt in der eigentlichen Literatur
doch kaum eine andächtige Erinnerung zurück; als beſten
Gewinn vom Jubileum des Jahres 1300 bringt Giovanni
Villani (S. 74) ſeinen Entſchluß zur Geſchichtſchreibung
mit nach Hauſe, welchen der Anblick der Ruinen von Rom
in ihm geweckt. Petrarca giebt uns noch Kunde von einer
zwiſchen claſſiſchem und chriſtlichem Alterthum getheilten
Stimmung; er erzählt, wie er oftmals mit Giovanni Co-
lonna auf die rieſigen Gewölbe der Diocletiansthermen
hinaufgeſtiegen 2); hier, in der reinen Luft, in tiefer Stille,
mitten in der weiten Rundſicht redeten ſie zuſammen, nicht
von Geſchäften, Hausweſen und Politik, ſondern, mit dem
Blick auf die Trümmer ringsum, von der Geſchichte, wobei
Petrarca mehr das Alterthum, Giovanni mehr die chriſtliche
Zeit vertrat; dann auch von der Philoſophie und von den
Erfindern der Künſte. Wie oft ſeitdem bis auf Gibbon
und Niebuhr hat dieſe Ruinenwelt die geſchichtliche Con-
templation geweckt.

Dieſelbe getheilte Empfindung offenbart auch nochUberti.
Fazio degli Uberti in ſeinem um 1360 verfaßten Ditta-
mondo, einer fingirten viſionären Reiſebeſchreibung, wobei

1) Dante, Convito, Tratt. IV, Cap. 5.
2) Epp. familiares VI, 2 (pag. 657); Aeußerungen über Rom, bevor
er es geſehen ibid. II, 9 (p. 600); vgl. II, 14.
Cultur der Renaiſſance. 12
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[177/0187] Vor Allem genießt die Ruinenſtadt Rom ſelber jetzt eine andere Art von Pietät als zu der Zeit da die Mira- bilia Romae und das Sammelwerk des Wilhelm von Mal- mesbury verfaßt wurden. Die Phantaſie des frommen Pilgers wie die des Zaubergläubigen und des Schatzgräbers tritt in den Aufzeichnungen zurück neben der des Hiſtorikers und Patrioten. In dieſem Sinne wollen Dante's Worte 1) verſtanden ſein: Die Steine der Mauern von Rom ver- dienten Ehrfurcht, und der Boden worauf die Stadt ge- baut iſt, ſei würdiger als die Menſchen ſagen. Die coloſſale Frequenz der Jubileen läßt in der eigentlichen Literatur doch kaum eine andächtige Erinnerung zurück; als beſten Gewinn vom Jubileum des Jahres 1300 bringt Giovanni Villani (S. 74) ſeinen Entſchluß zur Geſchichtſchreibung mit nach Hauſe, welchen der Anblick der Ruinen von Rom in ihm geweckt. Petrarca giebt uns noch Kunde von einer zwiſchen claſſiſchem und chriſtlichem Alterthum getheilten Stimmung; er erzählt, wie er oftmals mit Giovanni Co- lonna auf die rieſigen Gewölbe der Diocletiansthermen hinaufgeſtiegen 2); hier, in der reinen Luft, in tiefer Stille, mitten in der weiten Rundſicht redeten ſie zuſammen, nicht von Geſchäften, Hausweſen und Politik, ſondern, mit dem Blick auf die Trümmer ringsum, von der Geſchichte, wobei Petrarca mehr das Alterthum, Giovanni mehr die chriſtliche Zeit vertrat; dann auch von der Philoſophie und von den Erfindern der Künſte. Wie oft ſeitdem bis auf Gibbon und Niebuhr hat dieſe Ruinenwelt die geſchichtliche Con- templation geweckt. 3. Abſchnitt. Die Ruinen von Rom. Dieſelbe getheilte Empfindung offenbart auch noch Fazio degli Uberti in ſeinem um 1360 verfaßten Ditta- mondo, einer fingirten viſionären Reiſebeſchreibung, wobei Uberti. 1) Dante, Convito, Tratt. IV, Cap. 5. 2) Epp. familiares VI, 2 (pag. 657); Aeußerungen über Rom, bevor er es geſehen ibid. II, 9 (p. 600); vgl. II, 14. Cultur der Renaiſſance. 12

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/187>, abgerufen am 28.03.2024.