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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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sich eine unerhörte Summe von Schmach 1). Wer konnte,2. Abschnitt.
schützte sich dagegen am Zweckmäßigsten durch Verachtung,
sowohl was die wahren als was die erlogenen Beschuldi-
gungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen Aufwand 2).
Zartere Gemüther aber konnten wohl in eine Art von Ver-
zweiflung fallen wenn sie tief in Schuld und noch tiefer
in üble Nachrede verstrickt waren 3). Allmälig sagte man
Jedem das Schlimmste nach und gerade die strengste Tu-
gend weckte die Bosheit am sichersten. Von dem großen
Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um seiner
Verdienste willen zum Cardinal erhob und der sich bei dem
Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch
zeigte 4), giebt Giovio zu verstehen, er habe sich die ascetischeGiovio.
Blässe durch Qualm von nassem Stroh u. dgl. conservirt.
Giovio ist bei solchen Anlässen ein echter Curiale 5); in der
Regel erzählt er sein Histörchen, fügt dann bei, er glaube
es nicht, und läßt endlich in einer allgemeinern Bemerkung
durchblicken, es möchte doch etwas dran sein. Das wahre

1) Vgl. Fedra Inghirami's Leichenrede auf Lodovico Podocataro (1505),
in den Anecdd. litt. I, p. 319. -- Der Scandalsammler Massa-
ino erwähnt bei Paul. Jov. Dialogus de viris litt. illustr.
(Tiraboschi, Tom. VII, parte IV. p.
1631.)
2) So hielt es im Ganzen Leo X. und er rechnete damit im Ganzen
richtig; so schrecklich die Pasquillanten zumal nach seinem Tode mit
ihm umgingen, sie haben die Gesammtanschauung seines Wesens nicht
dominiren können.
3) In diesem Falle war wohl Cardinal Ardicino della Porta, der 1491
seine Würde niederlegen und in ein fernes Kloster flüchten wollte.
Vgl. Infessura, bei Eccard II, Col. 2000.
4) S. dessen Leichenrede in den Anecdd. litt. IV, p. 315. Er brachte
in der südlichen Mark Ancona ein Bauernheer zusammen, das nur
durch den Verrath des Herzogs von Urbino am Handeln verhindert
wurde. -- Seine schönen hoffnungslosen Liebesmadrigale bei Trucchi,
poesie ined. III, p.
123.
5) Wie er an der Tafel Clemens VII. seine Zunge brauchte, s. bei
Giraldi, Hecatommithi, VII, Nov. 5.
11*

ſich eine unerhörte Summe von Schmach 1). Wer konnte,2. Abſchnitt.
ſchützte ſich dagegen am Zweckmäßigſten durch Verachtung,
ſowohl was die wahren als was die erlogenen Beſchuldi-
gungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen Aufwand 2).
Zartere Gemüther aber konnten wohl in eine Art von Ver-
zweiflung fallen wenn ſie tief in Schuld und noch tiefer
in üble Nachrede verſtrickt waren 3). Allmälig ſagte man
Jedem das Schlimmſte nach und gerade die ſtrengſte Tu-
gend weckte die Bosheit am ſicherſten. Von dem großen
Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um ſeiner
Verdienſte willen zum Cardinal erhob und der ſich bei dem
Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch
zeigte 4), giebt Giovio zu verſtehen, er habe ſich die ascetiſcheGiovio.
Bläſſe durch Qualm von naſſem Stroh u. dgl. conſervirt.
Giovio iſt bei ſolchen Anläſſen ein echter Curiale 5); in der
Regel erzählt er ſein Hiſtörchen, fügt dann bei, er glaube
es nicht, und läßt endlich in einer allgemeinern Bemerkung
durchblicken, es möchte doch etwas dran ſein. Das wahre

1) Vgl. Fedra Inghirami's Leichenrede auf Lodovico Podocataro (1505),
in den Anecdd. litt. I, p. 319. — Der Scandalſammler Maſſa-
ino erwähnt bei Paul. Jov. Dialogus de viris litt. illustr.
(Tiraboschi, Tom. VII, parte IV. p.
1631.)
2) So hielt es im Ganzen Leo X. und er rechnete damit im Ganzen
richtig; ſo ſchrecklich die Pasquillanten zumal nach ſeinem Tode mit
ihm umgingen, ſie haben die Geſammtanſchauung ſeines Weſens nicht
dominiren können.
3) In dieſem Falle war wohl Cardinal Ardicino della Porta, der 1491
ſeine Würde niederlegen und in ein fernes Kloſter flüchten wollte.
Vgl. Infessura, bei Eccard II, Col. 2000.
4) S. deſſen Leichenrede in den Anecdd. litt. IV, p. 315. Er brachte
in der ſüdlichen Mark Ancona ein Bauernheer zuſammen, das nur
durch den Verrath des Herzogs von Urbino am Handeln verhindert
wurde. — Seine ſchönen hoffnungsloſen Liebesmadrigale bei Trucchi,
poesie ined. III, p.
123.
5) Wie er an der Tafel Clemens VII. ſeine Zunge brauchte, ſ. bei
Giraldi, Hecatommithi, VII, Nov. 5.
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[163/0173] ſich eine unerhörte Summe von Schmach 1). Wer konnte, ſchützte ſich dagegen am Zweckmäßigſten durch Verachtung, ſowohl was die wahren als was die erlogenen Beſchuldi- gungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen Aufwand 2). Zartere Gemüther aber konnten wohl in eine Art von Ver- zweiflung fallen wenn ſie tief in Schuld und noch tiefer in üble Nachrede verſtrickt waren 3). Allmälig ſagte man Jedem das Schlimmſte nach und gerade die ſtrengſte Tu- gend weckte die Bosheit am ſicherſten. Von dem großen Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um ſeiner Verdienſte willen zum Cardinal erhob und der ſich bei dem Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch zeigte 4), giebt Giovio zu verſtehen, er habe ſich die ascetiſche Bläſſe durch Qualm von naſſem Stroh u. dgl. conſervirt. Giovio iſt bei ſolchen Anläſſen ein echter Curiale 5); in der Regel erzählt er ſein Hiſtörchen, fügt dann bei, er glaube es nicht, und läßt endlich in einer allgemeinern Bemerkung durchblicken, es möchte doch etwas dran ſein. Das wahre 2. Abſchnitt. Giovio. 1) Vgl. Fedra Inghirami's Leichenrede auf Lodovico Podocataro (1505), in den Anecdd. litt. I, p. 319. — Der Scandalſammler Maſſa- ino erwähnt bei Paul. Jov. Dialogus de viris litt. illustr. (Tiraboschi, Tom. VII, parte IV. p. 1631.) 2) So hielt es im Ganzen Leo X. und er rechnete damit im Ganzen richtig; ſo ſchrecklich die Pasquillanten zumal nach ſeinem Tode mit ihm umgingen, ſie haben die Geſammtanſchauung ſeines Weſens nicht dominiren können. 3) In dieſem Falle war wohl Cardinal Ardicino della Porta, der 1491 ſeine Würde niederlegen und in ein fernes Kloſter flüchten wollte. Vgl. Infessura, bei Eccard II, Col. 2000. 4) S. deſſen Leichenrede in den Anecdd. litt. IV, p. 315. Er brachte in der ſüdlichen Mark Ancona ein Bauernheer zuſammen, das nur durch den Verrath des Herzogs von Urbino am Handeln verhindert wurde. — Seine ſchönen hoffnungsloſen Liebesmadrigale bei Trucchi, poesie ined. III, p. 123. 5) Wie er an der Tafel Clemens VII. ſeine Zunge brauchte, ſ. bei Giraldi, Hecatommithi, VII, Nov. 5. 11*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/173>, abgerufen am 20.04.2024.