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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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2. Abschnitt.Berühmten unter einander. Mit letzterem haben notorisch
die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla
u. a., während z. B. die Künstler des XV. Jahrhunderts
noch in fast völlig friedlichem Wettstreit neben einander
lebten, wovon die Kunstgeschichte Act nehmen darf.

in Florenz;Der große Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie ge-
sagt, allen andern Städten eine Zeitlang voran. "Scharfe
Augen und böse Zungen" ist das Signalement der Floren-
tiner 1). Ein gelinder Hohn über Alles und Jedes mochte
der vorherrschende Alltagston sein. Macchiavelli, in dem
höchst merkwürdigen Prolog seiner Mandragola, leitet mit
Recht oder Unrecht von der allgemeinen Medisance das
sichtbare Sinken der moralischen Kraft her, droht übrigens
seinen Verkleinerern damit, daß auch er sich auf Uebelreden
in Rom.verstehe. Dann kommt der päpstliche Hof, seit lange ein
Stelldichein der allerschlimmsten und dabei geistreichsten
Zungen. Schon Poggio's Facetiae sind ja aus dem Lügen-
stübchen (bugiale) der apostolischen Schreiber datirt, und
wenn man erwägt, welche große Zahl von enttäuschten
Stellenjägern, von hoffnungsvollen Feinden und Concur-
renten der Begünstigten, von Zeitvertreibern sittenloser
Prälaten beisammen war, so kann es nicht auffallen, wenn
Rom für das wilde Pasquill wie für die beschaulichere
Satire eine wahre Heimath wurde. Rechnet man noch gar
hinzu was der allgemeine Widerwille gegen die Priester-
herrschaft und was das bekannte Pöbel-Bedürfniß, den
Mächtigen das Gräßlichste anzudichten, beifügte, so ergiebt

1) Lettere pittoriche I, 71, in einem Briefe des Vinc. Borghini
1577. -- Macchiavelli, stor. fior. L. VII. sagt von den jungen
Herrn in Florenz nach der Mitte des XV. Jahrh.: gli studei loro
erano apparire col vestire splendidi, e col parlare sagaci ed
astuti, e quello che piu destramente mordeva gli altri, era
piu savio e da piu stimato.

2. Abſchnitt.Berühmten unter einander. Mit letzterem haben notoriſch
die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla
u. a., während z. B. die Künſtler des XV. Jahrhunderts
noch in faſt völlig friedlichem Wettſtreit neben einander
lebten, wovon die Kunſtgeſchichte Act nehmen darf.

in Florenz;Der große Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie ge-
ſagt, allen andern Städten eine Zeitlang voran. „Scharfe
Augen und böſe Zungen“ iſt das Signalement der Floren-
tiner 1). Ein gelinder Hohn über Alles und Jedes mochte
der vorherrſchende Alltagston ſein. Macchiavelli, in dem
höchſt merkwürdigen Prolog ſeiner Mandragola, leitet mit
Recht oder Unrecht von der allgemeinen Mediſance das
ſichtbare Sinken der moraliſchen Kraft her, droht übrigens
ſeinen Verkleinerern damit, daß auch er ſich auf Uebelreden
in Rom.verſtehe. Dann kommt der päpſtliche Hof, ſeit lange ein
Stelldichein der allerſchlimmſten und dabei geiſtreichſten
Zungen. Schon Poggio's Facetiae ſind ja aus dem Lügen-
ſtübchen (bugiale) der apoſtoliſchen Schreiber datirt, und
wenn man erwägt, welche große Zahl von enttäuſchten
Stellenjägern, von hoffnungsvollen Feinden und Concur-
renten der Begünſtigten, von Zeitvertreibern ſittenloſer
Prälaten beiſammen war, ſo kann es nicht auffallen, wenn
Rom für das wilde Pasquill wie für die beſchaulichere
Satire eine wahre Heimath wurde. Rechnet man noch gar
hinzu was der allgemeine Widerwille gegen die Prieſter-
herrſchaft und was das bekannte Pöbel-Bedürfniß, den
Mächtigen das Gräßlichſte anzudichten, beifügte, ſo ergiebt

1) Lettere pittoriche I, 71, in einem Briefe des Vinc. Borghini
1577. — Macchiavelli, stor. fior. L. VII. ſagt von den jungen
Herrn in Florenz nach der Mitte des XV. Jahrh.: gli studî loro
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astuti, e quello che più destramente mordeva gli altri, era
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[162/0172] Berühmten unter einander. Mit letzterem haben notoriſch die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla u. a., während z. B. die Künſtler des XV. Jahrhunderts noch in faſt völlig friedlichem Wettſtreit neben einander lebten, wovon die Kunſtgeſchichte Act nehmen darf. 2. Abſchnitt. Der große Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie ge- ſagt, allen andern Städten eine Zeitlang voran. „Scharfe Augen und böſe Zungen“ iſt das Signalement der Floren- tiner 1). Ein gelinder Hohn über Alles und Jedes mochte der vorherrſchende Alltagston ſein. Macchiavelli, in dem höchſt merkwürdigen Prolog ſeiner Mandragola, leitet mit Recht oder Unrecht von der allgemeinen Mediſance das ſichtbare Sinken der moraliſchen Kraft her, droht übrigens ſeinen Verkleinerern damit, daß auch er ſich auf Uebelreden verſtehe. Dann kommt der päpſtliche Hof, ſeit lange ein Stelldichein der allerſchlimmſten und dabei geiſtreichſten Zungen. Schon Poggio's Facetiae ſind ja aus dem Lügen- ſtübchen (bugiale) der apoſtoliſchen Schreiber datirt, und wenn man erwägt, welche große Zahl von enttäuſchten Stellenjägern, von hoffnungsvollen Feinden und Concur- renten der Begünſtigten, von Zeitvertreibern ſittenloſer Prälaten beiſammen war, ſo kann es nicht auffallen, wenn Rom für das wilde Pasquill wie für die beſchaulichere Satire eine wahre Heimath wurde. Rechnet man noch gar hinzu was der allgemeine Widerwille gegen die Prieſter- herrſchaft und was das bekannte Pöbel-Bedürfniß, den Mächtigen das Gräßlichſte anzudichten, beifügte, ſo ergiebt in Florenz; in Rom. 1) Lettere pittoriche I, 71, in einem Briefe des Vinc. Borghini 1577. — Macchiavelli, stor. fior. L. VII. ſagt von den jungen Herrn in Florenz nach der Mitte des XV. Jahrh.: gli studî loro erano apparire col vestire splendidi, e col parlare sagaci ed astuti, e quello che più destramente mordeva gli altri, era più savio e da più stimato.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/172>, abgerufen am 24.04.2024.