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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Die "hundert alten Novellen", welche noch zu Ende2. Abschnitt.
des XIII. Jahrhunderts entstanden sein müssen, haben noch
nicht den Witz, den Sohn des Contrastes, und noch nicht
die Burla zum Inhalt 1); ihr Zweck ist nur, weise Reden
und sinnvolle Geschichten und Fabeln in einfach schönem
Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgend etwas das
hohe Alter der Sammlung beweist, so ist es dieser Mangel
an Hohn. Denn gleich mit dem XIV. Jahrhundert folgt
Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der
Welt weit hinter sich läßt und z. B. schon allein wegen
jenes großen höllischen Genrebildes von den Betrügern 2)
der höchste Meister colossaler Komik heißen muß. Mit
Petrarca beginnen 3) schon die Witzsammlungen nach dem
Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata, etc.). Was
dann während des genannten Jahrhunderts sich in FlorenzDer floren-
tinische Hohn.

von Hohn aufsammelte, davon giebt Franco Sacchetti in
seinen Novellen die bezeichnendste Auswahl. Es sind meist
keine eigentlichen Geschichten, sondern Antworten, die unter
gewissen Umständen gegeben werden, horrible Naivetäten,
womit sich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche
Weiber ausreden; das Komische liegt dann in dem schreien-
den Gegensatz dieser wahren oder scheinbaren Naivetät zu
den sonstigen Verhältnissen der Welt und zur gewöhnlichen
Moralität; die Dinge stehen auf dem Kopf. Alle Mittel
der Darstellung werden zu Hülfe genommen, auch z. B.
schon die Nachahmung bestimmter oberitalienischer Dialecte.
Oft tritt an die Stelle des Witzes die baare freche Inso-
lenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei;

1) Ausnahmsweise kommt auch schon ein insolenter Witz vor, Nov. 37.
2) Inferno XXI. XXII. Die einzige mögliche Parallele wäre Ari-
stophanes.
3) Ein schüchterner Anfang Opera p. 421 u. f., in Rerum memo-
randarum libri IV.
Anderes z. B.: p. 868, in Epp. senil. X, 2.
Der Wortwitz schmeckt bisweilen noch sehr nach seinem mittelalter-
lichen Asyl, dem Kloster.

Die „hundert alten Novellen“, welche noch zu Ende2. Abſchnitt.
des XIII. Jahrhunderts entſtanden ſein müſſen, haben noch
nicht den Witz, den Sohn des Contraſtes, und noch nicht
die Burla zum Inhalt 1); ihr Zweck iſt nur, weiſe Reden
und ſinnvolle Geſchichten und Fabeln in einfach ſchönem
Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgend etwas das
hohe Alter der Sammlung beweist, ſo iſt es dieſer Mangel
an Hohn. Denn gleich mit dem XIV. Jahrhundert folgt
Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der
Welt weit hinter ſich läßt und z. B. ſchon allein wegen
jenes großen hölliſchen Genrebildes von den Betrügern 2)
der höchſte Meiſter coloſſaler Komik heißen muß. Mit
Petrarca beginnen 3) ſchon die Witzſammlungen nach dem
Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata, ꝛc.). Was
dann während des genannten Jahrhunderts ſich in FlorenzDer floren-
tiniſche Hohn.

von Hohn aufſammelte, davon giebt Franco Sacchetti in
ſeinen Novellen die bezeichnendſte Auswahl. Es ſind meiſt
keine eigentlichen Geſchichten, ſondern Antworten, die unter
gewiſſen Umſtänden gegeben werden, horrible Naivetäten,
womit ſich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche
Weiber ausreden; das Komiſche liegt dann in dem ſchreien-
den Gegenſatz dieſer wahren oder ſcheinbaren Naivetät zu
den ſonſtigen Verhältniſſen der Welt und zur gewöhnlichen
Moralität; die Dinge ſtehen auf dem Kopf. Alle Mittel
der Darſtellung werden zu Hülfe genommen, auch z. B.
ſchon die Nachahmung beſtimmter oberitalieniſcher Dialecte.
Oft tritt an die Stelle des Witzes die baare freche Inſo-
lenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei;

1) Ausnahmsweiſe kommt auch ſchon ein inſolenter Witz vor, Nov. 37.
2) Inferno XXI. XXII. Die einzige mögliche Parallele wäre Ari-
ſtophanes.
3) Ein ſchüchterner Anfang Opera p. 421 u. f., in Rerum memo-
randarum libri IV.
Anderes z. B.: p. 868, in Epp. senil. X, 2.
Der Wortwitz ſchmeckt bisweilen noch ſehr nach ſeinem mittelalter-
lichen Aſyl, dem Kloſter.
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[155/0165] Die „hundert alten Novellen“, welche noch zu Ende des XIII. Jahrhunderts entſtanden ſein müſſen, haben noch nicht den Witz, den Sohn des Contraſtes, und noch nicht die Burla zum Inhalt 1); ihr Zweck iſt nur, weiſe Reden und ſinnvolle Geſchichten und Fabeln in einfach ſchönem Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgend etwas das hohe Alter der Sammlung beweist, ſo iſt es dieſer Mangel an Hohn. Denn gleich mit dem XIV. Jahrhundert folgt Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der Welt weit hinter ſich läßt und z. B. ſchon allein wegen jenes großen hölliſchen Genrebildes von den Betrügern 2) der höchſte Meiſter coloſſaler Komik heißen muß. Mit Petrarca beginnen 3) ſchon die Witzſammlungen nach dem Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata, ꝛc.). Was dann während des genannten Jahrhunderts ſich in Florenz von Hohn aufſammelte, davon giebt Franco Sacchetti in ſeinen Novellen die bezeichnendſte Auswahl. Es ſind meiſt keine eigentlichen Geſchichten, ſondern Antworten, die unter gewiſſen Umſtänden gegeben werden, horrible Naivetäten, womit ſich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche Weiber ausreden; das Komiſche liegt dann in dem ſchreien- den Gegenſatz dieſer wahren oder ſcheinbaren Naivetät zu den ſonſtigen Verhältniſſen der Welt und zur gewöhnlichen Moralität; die Dinge ſtehen auf dem Kopf. Alle Mittel der Darſtellung werden zu Hülfe genommen, auch z. B. ſchon die Nachahmung beſtimmter oberitalieniſcher Dialecte. Oft tritt an die Stelle des Witzes die baare freche Inſo- lenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei; 2. Abſchnitt. Der floren- tiniſche Hohn. 1) Ausnahmsweiſe kommt auch ſchon ein inſolenter Witz vor, Nov. 37. 2) Inferno XXI. XXII. Die einzige mögliche Parallele wäre Ari- ſtophanes. 3) Ein ſchüchterner Anfang Opera p. 421 u. f., in Rerum memo- randarum libri IV. Anderes z. B.: p. 868, in Epp. senil. X, 2. Der Wortwitz ſchmeckt bisweilen noch ſehr nach ſeinem mittelalter- lichen Aſyl, dem Kloſter.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/165>, abgerufen am 18.04.2024.