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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu sein und1. Abschnitt.
die schmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablasses that
ohne Zweifel das Uebrige um alle Augen auf Rom zu
lenken 1). Außer den heimkehrenden Pilgern kamen auch
sonderbare weiße Büßer aus Italien nach dem Norden,
darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenstaat, welche
nicht werden geschwiegen haben. Doch wer kann berechnen,
wie lange und hoch das Aergerniß des Abendlandes noch
hätte steigen müssen, ehe es für Alexander eine unmittel-
bare Gefahr erzeugte. "Er hätte, sagt Panvinio anders-
"wo, 2) auch die noch übrigen reichen Cardinäle und Prälaten
"aus der Welt geschafft um sie zu erben, wenn er nicht,
"mitten in den größten Absichten für seinen Sohn, dahin-
"gerafft worden wäre". Und was würde Cesare gethan
haben, wenn er im Augenblicke, da sein Vater starb, nicht
ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein
Conclave wäre das geworden, wenn er sich einstweilen, mit
all seinen Mitteln ausgerüstet, durch ein mit Gift zweck-
mäßig reducirtes Cardinals-Collegium zum Papst wählen
ließ, zumal in einem Augenblick da keine französische Armee
in der Nähe gewesen wäre! Die Phantasie verliert sich, so-
bald sie diese Hypothesen verfolgt, in einen Abgrund.

Statt dessen folgte das Conclave Pius III. und nachJulius II.
dessen baldigem Tode auch dasjenige Julius II. unter dem
Eindruck einer allgemeinen Reaction.

Welches auch die Privatsitten Julius II. sein mochten,
in den wesentlichen Beziehungen ist er der Retter des Papst-
thums. Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den
Pontificaten seit seinem Oheim Sixtus hatte ihm einen
tiefen Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen
des päpstlichen Ansehens gewährt, und danach richtete er

1) Anshelm, Berner Chronik, III, Seite 146 bis 156. -- Trithem.
Annales Hirsaug. Tom. II, p.
579. 584. 586.
2) Panvin. contin. Platinae, p. 341.

endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu ſein und1. Abſchnitt.
die ſchmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablaſſes that
ohne Zweifel das Uebrige um alle Augen auf Rom zu
lenken 1). Außer den heimkehrenden Pilgern kamen auch
ſonderbare weiße Büßer aus Italien nach dem Norden,
darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenſtaat, welche
nicht werden geſchwiegen haben. Doch wer kann berechnen,
wie lange und hoch das Aergerniß des Abendlandes noch
hätte ſteigen müſſen, ehe es für Alexander eine unmittel-
bare Gefahr erzeugte. „Er hätte, ſagt Panvinio anders-
„wo, 2) auch die noch übrigen reichen Cardinäle und Prälaten
„aus der Welt geſchafft um ſie zu erben, wenn er nicht,
„mitten in den größten Abſichten für ſeinen Sohn, dahin-
„gerafft worden wäre“. Und was würde Ceſare gethan
haben, wenn er im Augenblicke, da ſein Vater ſtarb, nicht
ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein
Conclave wäre das geworden, wenn er ſich einſtweilen, mit
all ſeinen Mitteln ausgerüſtet, durch ein mit Gift zweck-
mäßig reducirtes Cardinals-Collegium zum Papſt wählen
ließ, zumal in einem Augenblick da keine franzöſiſche Armee
in der Nähe geweſen wäre! Die Phantaſie verliert ſich, ſo-
bald ſie dieſe Hypotheſen verfolgt, in einen Abgrund.

Statt deſſen folgte das Conclave Pius III. und nachJulius II.
deſſen baldigem Tode auch dasjenige Julius II. unter dem
Eindruck einer allgemeinen Reaction.

Welches auch die Privatſitten Julius II. ſein mochten,
in den weſentlichen Beziehungen iſt er der Retter des Papſt-
thums. Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den
Pontificaten ſeit ſeinem Oheim Sixtus hatte ihm einen
tiefen Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen
des päpſtlichen Anſehens gewährt, und danach richtete er

1) Anshelm, Berner Chronik, III, Seite 146 bis 156. — Trithem.
Annales Hirsaug. Tom. II, p.
579. 584. 586.
2) Panvin. contin. Platinæ, p. 341.
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[119/0129] endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu ſein und die ſchmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablaſſes that ohne Zweifel das Uebrige um alle Augen auf Rom zu lenken 1). Außer den heimkehrenden Pilgern kamen auch ſonderbare weiße Büßer aus Italien nach dem Norden, darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenſtaat, welche nicht werden geſchwiegen haben. Doch wer kann berechnen, wie lange und hoch das Aergerniß des Abendlandes noch hätte ſteigen müſſen, ehe es für Alexander eine unmittel- bare Gefahr erzeugte. „Er hätte, ſagt Panvinio anders- „wo, 2) auch die noch übrigen reichen Cardinäle und Prälaten „aus der Welt geſchafft um ſie zu erben, wenn er nicht, „mitten in den größten Abſichten für ſeinen Sohn, dahin- „gerafft worden wäre“. Und was würde Ceſare gethan haben, wenn er im Augenblicke, da ſein Vater ſtarb, nicht ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein Conclave wäre das geworden, wenn er ſich einſtweilen, mit all ſeinen Mitteln ausgerüſtet, durch ein mit Gift zweck- mäßig reducirtes Cardinals-Collegium zum Papſt wählen ließ, zumal in einem Augenblick da keine franzöſiſche Armee in der Nähe geweſen wäre! Die Phantaſie verliert ſich, ſo- bald ſie dieſe Hypotheſen verfolgt, in einen Abgrund. 1. Abſchnitt. Statt deſſen folgte das Conclave Pius III. und nach deſſen baldigem Tode auch dasjenige Julius II. unter dem Eindruck einer allgemeinen Reaction. Julius II. Welches auch die Privatſitten Julius II. ſein mochten, in den weſentlichen Beziehungen iſt er der Retter des Papſt- thums. Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den Pontificaten ſeit ſeinem Oheim Sixtus hatte ihm einen tiefen Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen des päpſtlichen Anſehens gewährt, und danach richtete er 1) Anshelm, Berner Chronik, III, Seite 146 bis 156. — Trithem. Annales Hirsaug. Tom. II, p. 579. 584. 586. 2) Panvin. contin. Platinæ, p. 341.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/129>, abgerufen am 28.03.2024.