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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.nicht an; seit ihm aber vermehren die päpstlichen Nepoten
Der Nepot als
Fürst.
die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem großen
Fürstenthum. Früher war es etwa vorgekommen, daß die
Päpste ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zu Gunsten
ihrer Verwandten geltend machen wollten 1); seit Calixt III.
aber war hieran nicht mehr so leicht zu denken und Giro-
lamo Riario mußte, nachdem die Ueberwältigung von
Florenz (und wer weiß wie mancher andere Plan) miß-
lungen war, sich mit Gründung einer Herrschaft auf Grund
und Boden des Kirchenstaates selber begnügen. Man
mochte dieß damit rechtfertigen, daß die Romagna mit ihren
Fürsten und Stadt-Tyrannen der päpstlichen Oberherrschaft
völlig zu entwachsen drohte, oder daß sie in Kurzem die
Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn
Rom nicht auf diese Weise eingriff. Allein wer garantirte
in jenen Zeiten und Verhältnissen den dauernden Gehorsam
solcher souverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen
gegen Päpste, die sie weiter nichts mehr angingen? Selbst
der noch lebende Papst war nicht immer seines eigenen
Sohnes oder Neffen sicher, und vollends lag die Versuchung
nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu
verdrängen. Die Rückwirkungen dieses ganzen Verhält-
nisses auf das Papstthum selbst waren von der bedenklich-
sten Art; alle, auch die geistlichen Zwangsmittel wurden
ohne irgend welche Scheu an den zweideutigsten Zweck ge-
wandt, welchem sich die andern Zwecke des Stuhles Petri
unterordnen mußten, und wenn das Ziel unter heftigen
Erschütterungen und allgemeinem Haß erreicht war, so hatte
man eine Dynastie geschaffen, welche das größte Interesse
am Untergang des Papstthums hatte.

Als Sixtus starb, konnte sich Girolamo nur mit äu-
ßerster Mühe und nur durch den Schutz des Hauses Sforza

1) Schon Honorius II. wollte nach dem Tode Wilhelms I. 1127 Apu-
lien einziehen, als "dem h. Petrus heimgefallen".

1. Abſchnitt.nicht an; ſeit ihm aber vermehren die päpſtlichen Nepoten
Der Nepot als
Fürſt.
die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem großen
Fürſtenthum. Früher war es etwa vorgekommen, daß die
Päpſte ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zu Gunſten
ihrer Verwandten geltend machen wollten 1); ſeit Calixt III.
aber war hieran nicht mehr ſo leicht zu denken und Giro-
lamo Riario mußte, nachdem die Ueberwältigung von
Florenz (und wer weiß wie mancher andere Plan) miß-
lungen war, ſich mit Gründung einer Herrſchaft auf Grund
und Boden des Kirchenſtaates ſelber begnügen. Man
mochte dieß damit rechtfertigen, daß die Romagna mit ihren
Fürſten und Stadt-Tyrannen der päpſtlichen Oberherrſchaft
völlig zu entwachſen drohte, oder daß ſie in Kurzem die
Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn
Rom nicht auf dieſe Weiſe eingriff. Allein wer garantirte
in jenen Zeiten und Verhältniſſen den dauernden Gehorſam
ſolcher ſouverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen
gegen Päpſte, die ſie weiter nichts mehr angingen? Selbſt
der noch lebende Papſt war nicht immer ſeines eigenen
Sohnes oder Neffen ſicher, und vollends lag die Verſuchung
nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu
verdrängen. Die Rückwirkungen dieſes ganzen Verhält-
niſſes auf das Papſtthum ſelbſt waren von der bedenklich-
ſten Art; alle, auch die geiſtlichen Zwangsmittel wurden
ohne irgend welche Scheu an den zweideutigſten Zweck ge-
wandt, welchem ſich die andern Zwecke des Stuhles Petri
unterordnen mußten, und wenn das Ziel unter heftigen
Erſchütterungen und allgemeinem Haß erreicht war, ſo hatte
man eine Dynaſtie geſchaffen, welche das größte Intereſſe
am Untergang des Papſtthums hatte.

Als Sixtus ſtarb, konnte ſich Girolamo nur mit äu-
ßerſter Mühe und nur durch den Schutz des Hauſes Sforza

1) Schon Honorius II. wollte nach dem Tode Wilhelms I. 1127 Apu-
lien einziehen, als „dem h. Petrus heimgefallen“.
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[108/0118] nicht an; ſeit ihm aber vermehren die päpſtlichen Nepoten die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem großen Fürſtenthum. Früher war es etwa vorgekommen, daß die Päpſte ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zu Gunſten ihrer Verwandten geltend machen wollten 1); ſeit Calixt III. aber war hieran nicht mehr ſo leicht zu denken und Giro- lamo Riario mußte, nachdem die Ueberwältigung von Florenz (und wer weiß wie mancher andere Plan) miß- lungen war, ſich mit Gründung einer Herrſchaft auf Grund und Boden des Kirchenſtaates ſelber begnügen. Man mochte dieß damit rechtfertigen, daß die Romagna mit ihren Fürſten und Stadt-Tyrannen der päpſtlichen Oberherrſchaft völlig zu entwachſen drohte, oder daß ſie in Kurzem die Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn Rom nicht auf dieſe Weiſe eingriff. Allein wer garantirte in jenen Zeiten und Verhältniſſen den dauernden Gehorſam ſolcher ſouverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen gegen Päpſte, die ſie weiter nichts mehr angingen? Selbſt der noch lebende Papſt war nicht immer ſeines eigenen Sohnes oder Neffen ſicher, und vollends lag die Verſuchung nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu verdrängen. Die Rückwirkungen dieſes ganzen Verhält- niſſes auf das Papſtthum ſelbſt waren von der bedenklich- ſten Art; alle, auch die geiſtlichen Zwangsmittel wurden ohne irgend welche Scheu an den zweideutigſten Zweck ge- wandt, welchem ſich die andern Zwecke des Stuhles Petri unterordnen mußten, und wenn das Ziel unter heftigen Erſchütterungen und allgemeinem Haß erreicht war, ſo hatte man eine Dynaſtie geſchaffen, welche das größte Intereſſe am Untergang des Papſtthums hatte. 1. Abſchnitt. Der Nepot als Fürſt. Als Sixtus ſtarb, konnte ſich Girolamo nur mit äu- ßerſter Mühe und nur durch den Schutz des Hauſes Sforza 1) Schon Honorius II. wollte nach dem Tode Wilhelms I. 1127 Apu- lien einziehen, als „dem h. Petrus heimgefallen“.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/118>, abgerufen am 19.04.2024.