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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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"wollte Gott, es fiele den französischen Königen niemals1. Abschnitt.
"ein, ihre Kräfte in diesem Lande zu versuchen! wenn es
"dazu kömmt, so ist Italien verloren." 1) Für andere Für-
sten dagegen ist der König von Frankreich abwechselnd
Mittel oder Gegenstand des Schreckens und sie drohen mit
ihm sobald sie aus irgend einer Verlegenheit keinen beque-
mern Ausweg wissen. Vollends glaubten die Päpste, ohne
alle eigene Gefahr mit Frankreich operiren zu dürfen, und
Innocenz VIII. meinte noch, er könne schmollend sich nach
dem Norden zurückziehen, um von da mit einem französi-
schen Herr als Eroberer nach Italien zurückzukehren 2).

Denkende Menschen sahen also die fremde EroberungDie Aera der
Interven-
tionen.

schon lange vor dem Zuge Carls VIII. voraus 3). Und
als Carl wieder über die Alpen zurück war, lag es erst
recht klar vor aller Augen, daß nunmehr eine Aera der
Interventionen begonnen habe. Fortan verflicht sich Un-
glück mit Unglück, man wird zu spät inne, daß Frankreich
und Spanien, die beiden Hauptintervenienten, inzwischen
moderne Großmächte geworden sind, daß sie sich nicht mehr
mit oberflächlichen Huldigungen begnügen können, sondern
um Einfluß und Besitz in Italien auf den Tod kämpfen
müssen. Sie haben angefangen, den centralisirten italie-
nischen Staaten zu gleichen, ja dieselben nachzuahmen, nur
in colossalem Maßstab. Die Absichten auf Länderraub und
Ländertausch nehmen eine Zeitlang einen Flug ins Unbe-
dingte hinaus. Das Ende aber war bekanntlich ein totales
Uebergewicht Spaniens, welches als Schwert und Schild
der Gegenreformation auch das Papstthum in eine lange
Abhängigkeit brachte. Die traurige Reflexion der Philo-
sophen bestand dann einzig darin, nachzuweisen wie alle

1) Nicolo Valori, Vita di Lorenzo.
2) Fabroni: Laurentius magnificus, Adnot. 205, s.
3) Z. B. Jovian. Pontanus in seinem Charon. Am Ende erwartet
er einen Einheitsstaat.

„wollte Gott, es fiele den franzöſiſchen Königen niemals1. Abſchnitt.
„ein, ihre Kräfte in dieſem Lande zu verſuchen! wenn es
„dazu kömmt, ſo iſt Italien verloren.“ 1) Für andere Für-
ſten dagegen iſt der König von Frankreich abwechſelnd
Mittel oder Gegenſtand des Schreckens und ſie drohen mit
ihm ſobald ſie aus irgend einer Verlegenheit keinen beque-
mern Ausweg wiſſen. Vollends glaubten die Päpſte, ohne
alle eigene Gefahr mit Frankreich operiren zu dürfen, und
Innocenz VIII. meinte noch, er könne ſchmollend ſich nach
dem Norden zurückziehen, um von da mit einem franzöſi-
ſchen Herr als Eroberer nach Italien zurückzukehren 2).

Denkende Menſchen ſahen alſo die fremde EroberungDie Aera der
Interven-
tionen.

ſchon lange vor dem Zuge Carls VIII. voraus 3). Und
als Carl wieder über die Alpen zurück war, lag es erſt
recht klar vor aller Augen, daß nunmehr eine Aera der
Interventionen begonnen habe. Fortan verflicht ſich Un-
glück mit Unglück, man wird zu ſpät inne, daß Frankreich
und Spanien, die beiden Hauptintervenienten, inzwiſchen
moderne Großmächte geworden ſind, daß ſie ſich nicht mehr
mit oberflächlichen Huldigungen begnügen können, ſondern
um Einfluß und Beſitz in Italien auf den Tod kämpfen
müſſen. Sie haben angefangen, den centraliſirten italie-
niſchen Staaten zu gleichen, ja dieſelben nachzuahmen, nur
in coloſſalem Maßſtab. Die Abſichten auf Länderraub und
Ländertauſch nehmen eine Zeitlang einen Flug ins Unbe-
dingte hinaus. Das Ende aber war bekanntlich ein totales
Uebergewicht Spaniens, welches als Schwert und Schild
der Gegenreformation auch das Papſtthum in eine lange
Abhängigkeit brachte. Die traurige Reflexion der Philo-
ſophen beſtand dann einzig darin, nachzuweiſen wie alle

1) Nicolò Valori, Vita di Lorenzo.
2) Fabroni: Laurentius magnificus, Adnot. 205, s.
3) Z. B. Jovian. Pontanus in ſeinem Charon. Am Ende erwartet
er einen Einheitsſtaat.
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[93/0103] „wollte Gott, es fiele den franzöſiſchen Königen niemals „ein, ihre Kräfte in dieſem Lande zu verſuchen! wenn es „dazu kömmt, ſo iſt Italien verloren.“ 1) Für andere Für- ſten dagegen iſt der König von Frankreich abwechſelnd Mittel oder Gegenſtand des Schreckens und ſie drohen mit ihm ſobald ſie aus irgend einer Verlegenheit keinen beque- mern Ausweg wiſſen. Vollends glaubten die Päpſte, ohne alle eigene Gefahr mit Frankreich operiren zu dürfen, und Innocenz VIII. meinte noch, er könne ſchmollend ſich nach dem Norden zurückziehen, um von da mit einem franzöſi- ſchen Herr als Eroberer nach Italien zurückzukehren 2). 1. Abſchnitt. Denkende Menſchen ſahen alſo die fremde Eroberung ſchon lange vor dem Zuge Carls VIII. voraus 3). Und als Carl wieder über die Alpen zurück war, lag es erſt recht klar vor aller Augen, daß nunmehr eine Aera der Interventionen begonnen habe. Fortan verflicht ſich Un- glück mit Unglück, man wird zu ſpät inne, daß Frankreich und Spanien, die beiden Hauptintervenienten, inzwiſchen moderne Großmächte geworden ſind, daß ſie ſich nicht mehr mit oberflächlichen Huldigungen begnügen können, ſondern um Einfluß und Beſitz in Italien auf den Tod kämpfen müſſen. Sie haben angefangen, den centraliſirten italie- niſchen Staaten zu gleichen, ja dieſelben nachzuahmen, nur in coloſſalem Maßſtab. Die Abſichten auf Länderraub und Ländertauſch nehmen eine Zeitlang einen Flug ins Unbe- dingte hinaus. Das Ende aber war bekanntlich ein totales Uebergewicht Spaniens, welches als Schwert und Schild der Gegenreformation auch das Papſtthum in eine lange Abhängigkeit brachte. Die traurige Reflexion der Philo- ſophen beſtand dann einzig darin, nachzuweiſen wie alle Die Aera der Interven- tionen. 1) Nicolò Valori, Vita di Lorenzo. 2) Fabroni: Laurentius magnificus, Adnot. 205, s. 3) Z. B. Jovian. Pontanus in ſeinem Charon. Am Ende erwartet er einen Einheitsſtaat.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/103>, abgerufen am 29.03.2024.