Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Architektur. Tempel der Venus und Roma.
Anschwellung und Ausbauchung römischer Ordnungen. Der Unterbau
muss sehr hoch gewesen sein, da er noch jetzt aus dem Boden ragt.)

a

Von dem Wunderwerk Hadrian's, dem Tempel der Venus
und Roma
, sind nur Stücke der beiden mit dem Rücken anein-
ander gelehnten Cellen erhalten, nebst einem Theil der ungeheuern
Unterbauten und Treppenrampen und einer Anzahl von Säulenfrag-
menten. Man frägt sich nur wo der Rest hingekommen? Was wurde
aus der 500 Fuss langen und 300 Fuss breiten Halle von Granitsäu-
len, welche den Tempelhof umgab? was aus den 56 cannelirten Säu-
len von griechischem Marmor (jede sechs Fuss dick), welche, zehn
vorn und zwanzig auf jeder Seite (die Ecksäulen beidemale gerechnet),
das Tempeldach trugen, wozu noch acht innerhalb der vordern und
der hintern Vorhalle kamen? wie konnte das Gebälk bis auf ein ein-
ziges, jetzt auf der Seite gegen das Colosseum eingemauertes Stück
gänzlich verschwinden? -- Wenn irgendwo, so äussert sich hier die
dämonische Zerstörungskraft des mittelalterlichen Roms, von welcher
sich das jetzige Rom so wenig mehr einen Begriff machen kann, dass
es beharrlich die nordischen "Barbaren" ob all der gräulichen Ver-
wüstungen anklagt. Wenn auch die 51/2 Fuss dicke Marmormauer
(denn hier waren es keine blossen Platten), welche die Ziegelmauer
umgab, wenn die porphyrne Säulenstellung im Innern der beiden
Cellen mit sammt dem Schmuck aller Nischen und der Bodenbeklei-
dung geraubt wurde, so ist dies noch eher zu begreifen, weil es eine
leichtere Aufgabe war. -- Hadrian hatte bekanntlich den Tempel sel-
ber componirt und dabei auf einen höhern Totaleffekt des so wunder-
lich in zwei Hälften getheilten Innern aus irgendwelchen Gründen
verzichtet. Wenn aber der Tempel selbst 333 Fuss lang und 160 Fuss
breit war, so blieb, bei der oben angegebenen Ausdehnung der Halle
des Tempelhofes auch für die Wirkung von aussen nur ein verhält-
nissmässig schmaler Raum übrig; der Beschauer konnte sich vorn oder
hinten kaum 80 Fuss von einer Fassade entfernen, die vielleicht dop-
pelt so hoch war (nämlich etwa so hoch als breit). Für den Anblick
aus der Ferne war diess wohl gleichgültig, indem der Tempel mit
seiner enormen Masse Alles überragte. -- Welcher Ordnung seine
Capitäle gewesen, ist unbekannt; der Wahrscheinlichkeit nach wird er
hier bei den korinthischen aufgezählt. Die Halbkuppeln der beiden Ni-

Architektur. Tempel der Venus und Roma.
Anschwellung und Ausbauchung römischer Ordnungen. Der Unterbau
muss sehr hoch gewesen sein, da er noch jetzt aus dem Boden ragt.)

a

Von dem Wunderwerk Hadrian’s, dem Tempel der Venus
und Roma
, sind nur Stücke der beiden mit dem Rücken anein-
ander gelehnten Cellen erhalten, nebst einem Theil der ungeheuern
Unterbauten und Treppenrampen und einer Anzahl von Säulenfrag-
menten. Man frägt sich nur wo der Rest hingekommen? Was wurde
aus der 500 Fuss langen und 300 Fuss breiten Halle von Granitsäu-
len, welche den Tempelhof umgab? was aus den 56 cannelirten Säu-
len von griechischem Marmor (jede sechs Fuss dick), welche, zehn
vorn und zwanzig auf jeder Seite (die Ecksäulen beidemale gerechnet),
das Tempeldach trugen, wozu noch acht innerhalb der vordern und
der hintern Vorhalle kamen? wie konnte das Gebälk bis auf ein ein-
ziges, jetzt auf der Seite gegen das Colosseum eingemauertes Stück
gänzlich verschwinden? — Wenn irgendwo, so äussert sich hier die
dämonische Zerstörungskraft des mittelalterlichen Roms, von welcher
sich das jetzige Rom so wenig mehr einen Begriff machen kann, dass
es beharrlich die nordischen „Barbaren“ ob all der gräulichen Ver-
wüstungen anklagt. Wenn auch die 5½ Fuss dicke Marmormauer
(denn hier waren es keine blossen Platten), welche die Ziegelmauer
umgab, wenn die porphyrne Säulenstellung im Innern der beiden
Cellen mit sammt dem Schmuck aller Nischen und der Bodenbeklei-
dung geraubt wurde, so ist dies noch eher zu begreifen, weil es eine
leichtere Aufgabe war. — Hadrian hatte bekanntlich den Tempel sel-
ber componirt und dabei auf einen höhern Totaleffekt des so wunder-
lich in zwei Hälften getheilten Innern aus irgendwelchen Gründen
verzichtet. Wenn aber der Tempel selbst 333 Fuss lang und 160 Fuss
breit war, so blieb, bei der oben angegebenen Ausdehnung der Halle
des Tempelhofes auch für die Wirkung von aussen nur ein verhält-
nissmässig schmaler Raum übrig; der Beschauer konnte sich vorn oder
hinten kaum 80 Fuss von einer Fassade entfernen, die vielleicht dop-
pelt so hoch war (nämlich etwa so hoch als breit). Für den Anblick
aus der Ferne war diess wohl gleichgültig, indem der Tempel mit
seiner enormen Masse Alles überragte. — Welcher Ordnung seine
Capitäle gewesen, ist unbekannt; der Wahrscheinlichkeit nach wird er
hier bei den korinthischen aufgezählt. Die Halbkuppeln der beiden Ni-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="22"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Architektur. Tempel der Venus und Roma.</hi></fw><lb/>
Anschwellung und Ausbauchung römischer Ordnungen. Der Unterbau<lb/>
muss sehr hoch gewesen sein, da er noch jetzt aus dem Boden ragt.)</p><lb/>
        <note place="left">a</note>
        <p>Von dem Wunderwerk Hadrian&#x2019;s, dem <hi rendition="#g">Tempel der Venus<lb/>
und Roma</hi>, sind nur Stücke der beiden mit dem Rücken anein-<lb/>
ander gelehnten Cellen erhalten, nebst einem Theil der ungeheuern<lb/>
Unterbauten und Treppenrampen und einer Anzahl von Säulenfrag-<lb/>
menten. Man frägt sich nur wo der Rest hingekommen? Was wurde<lb/>
aus der 500 Fuss langen und 300 Fuss breiten Halle von Granitsäu-<lb/>
len, welche den Tempelhof umgab? was aus den 56 cannelirten Säu-<lb/>
len von griechischem Marmor (jede sechs Fuss dick), welche, zehn<lb/>
vorn und zwanzig auf jeder Seite (die Ecksäulen beidemale gerechnet),<lb/>
das Tempeldach trugen, wozu noch acht innerhalb der vordern und<lb/>
der hintern Vorhalle kamen? wie konnte das Gebälk bis auf ein ein-<lb/>
ziges, jetzt auf der Seite gegen das Colosseum eingemauertes Stück<lb/>
gänzlich verschwinden? &#x2014; Wenn irgendwo, so äussert sich hier die<lb/>
dämonische Zerstörungskraft des mittelalterlichen Roms, von welcher<lb/>
sich das jetzige Rom so wenig mehr einen Begriff machen kann, dass<lb/>
es beharrlich die nordischen &#x201E;Barbaren&#x201C; ob all der gräulichen Ver-<lb/>
wüstungen anklagt. Wenn auch die 5½ Fuss dicke Marmormauer<lb/>
(denn hier waren es keine blossen Platten), welche die Ziegelmauer<lb/>
umgab, wenn die porphyrne Säulenstellung im Innern der beiden<lb/>
Cellen mit sammt dem Schmuck aller Nischen und der Bodenbeklei-<lb/>
dung geraubt wurde, so ist dies noch eher zu begreifen, weil es eine<lb/>
leichtere Aufgabe war. &#x2014; Hadrian hatte bekanntlich den Tempel sel-<lb/>
ber componirt und dabei auf einen höhern Totaleffekt des so wunder-<lb/>
lich in zwei Hälften getheilten Innern aus irgendwelchen Gründen<lb/>
verzichtet. Wenn aber der Tempel selbst 333 Fuss lang und 160 Fuss<lb/>
breit war, so blieb, bei der oben angegebenen Ausdehnung der Halle<lb/>
des Tempelhofes auch für die Wirkung von aussen nur ein verhält-<lb/>
nissmässig schmaler Raum übrig; der Beschauer konnte sich vorn oder<lb/>
hinten kaum 80 Fuss von einer Fassade entfernen, die vielleicht dop-<lb/>
pelt so hoch war (nämlich etwa so hoch als breit). Für den Anblick<lb/>
aus der Ferne war diess wohl gleichgültig, indem der Tempel mit<lb/>
seiner enormen Masse Alles überragte. &#x2014; Welcher Ordnung seine<lb/>
Capitäle gewesen, ist unbekannt; der Wahrscheinlichkeit nach wird er<lb/>
hier bei den korinthischen aufgezählt. Die Halbkuppeln der beiden Ni-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0044] Architektur. Tempel der Venus und Roma. Anschwellung und Ausbauchung römischer Ordnungen. Der Unterbau muss sehr hoch gewesen sein, da er noch jetzt aus dem Boden ragt.) Von dem Wunderwerk Hadrian’s, dem Tempel der Venus und Roma, sind nur Stücke der beiden mit dem Rücken anein- ander gelehnten Cellen erhalten, nebst einem Theil der ungeheuern Unterbauten und Treppenrampen und einer Anzahl von Säulenfrag- menten. Man frägt sich nur wo der Rest hingekommen? Was wurde aus der 500 Fuss langen und 300 Fuss breiten Halle von Granitsäu- len, welche den Tempelhof umgab? was aus den 56 cannelirten Säu- len von griechischem Marmor (jede sechs Fuss dick), welche, zehn vorn und zwanzig auf jeder Seite (die Ecksäulen beidemale gerechnet), das Tempeldach trugen, wozu noch acht innerhalb der vordern und der hintern Vorhalle kamen? wie konnte das Gebälk bis auf ein ein- ziges, jetzt auf der Seite gegen das Colosseum eingemauertes Stück gänzlich verschwinden? — Wenn irgendwo, so äussert sich hier die dämonische Zerstörungskraft des mittelalterlichen Roms, von welcher sich das jetzige Rom so wenig mehr einen Begriff machen kann, dass es beharrlich die nordischen „Barbaren“ ob all der gräulichen Ver- wüstungen anklagt. Wenn auch die 5½ Fuss dicke Marmormauer (denn hier waren es keine blossen Platten), welche die Ziegelmauer umgab, wenn die porphyrne Säulenstellung im Innern der beiden Cellen mit sammt dem Schmuck aller Nischen und der Bodenbeklei- dung geraubt wurde, so ist dies noch eher zu begreifen, weil es eine leichtere Aufgabe war. — Hadrian hatte bekanntlich den Tempel sel- ber componirt und dabei auf einen höhern Totaleffekt des so wunder- lich in zwei Hälften getheilten Innern aus irgendwelchen Gründen verzichtet. Wenn aber der Tempel selbst 333 Fuss lang und 160 Fuss breit war, so blieb, bei der oben angegebenen Ausdehnung der Halle des Tempelhofes auch für die Wirkung von aussen nur ein verhält- nissmässig schmaler Raum übrig; der Beschauer konnte sich vorn oder hinten kaum 80 Fuss von einer Fassade entfernen, die vielleicht dop- pelt so hoch war (nämlich etwa so hoch als breit). Für den Anblick aus der Ferne war diess wohl gleichgültig, indem der Tempel mit seiner enormen Masse Alles überragte. — Welcher Ordnung seine Capitäle gewesen, ist unbekannt; der Wahrscheinlichkeit nach wird er hier bei den korinthischen aufgezählt. Die Halbkuppeln der beiden Ni-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/44
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/44>, abgerufen am 29.03.2024.