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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Das Pantheon.
messer, gewiss an sich kein durchgehendes Gesetz der Kunst 1), wirkt
doch hier als geheimnissvoller Reiz mit. -- Im Einzelnen aber möchte
die Gliederung der Wand durch abwechselnd halbrunde und viereckige
Nischen fast das einzige sein, was von Agrippa's Bau noch übrig ist.
Die Säulen und Pilaster dieser Nischen tragen zwar Capitäle von grosser
Schönheit, doch nicht mehr von so vollendet reiner Bildung wie die
der Vorhalle; auch die allzureiche, neunfache Cannelirung der Pilaster
deutet wohl auf eine jener Restaurationen, deren von Domitian bis
auf Caracalla mehrere erwähnt werden. Die beiden Gesimse, das
obere und das untere, haben ihrer Einfachheit wegen noch eher An-
spruch auf die Zeit Agrippa's, obwohl der Porphyrfries Einiges zu
denken giebt. Entschieden spät, vielleicht aus der Zeit des Septimius
Severus, sind die Säulen und Giebel der Altäre, wenn auch schon ur-
sprünglich ähnliche an ihrer Stelle standen, als entsprechender Contrast
zu den Nischen, wie es der römische Bausinn verlangte. Aus welcher
Zeit die Bekleidung der untern Wandflächen mit Streifen und Rundflä-
chen verschiedenfarbiger Steine herrühren mag, lässt sich schwer ent-
scheiden; man hat sie z. B. in der Madeleine zu Paris etwas zu ver-
trauensvoll nachgeahmt. Die jetzige Bekleidung der Wandfläche des
obern Stockes ist notorisch erst aus dem vorigen Iahrhundert; die
ältern Abbildungen zeigen dort eine Pilasterreihe, als natürliche und
wohlthuende Fortsetzung des Organismus im untern Stockwerk 2). End-
lich sind die Cassetten ihres jedenfalls prächtigen Metallschmuckes
beraubt, doch auch noch in ihrer jetzigen Leere und Farblosigkeit
von grosser Wirkung. Die Verschiebung ihrer Tiefe nach oben zu
erscheint ursprünglich. Wer füllt aber das flache Rund, welches das
Fenster umgiebt, mit den wahren alten Formen aus? Hier war für
die ernste, monumentale Decoration der Anlass zur meisterlichsten
Schöpfung gegeben. -- Zum Beschluss machen wir noch auf eine Dis-
harmonie aufmerksam, welche schon dem Baumeister Agrippa's zur
Last fällt. Die Thürnische und, ihr gegenüber, die Altarnische mit
ihren runden Wölbungen schneiden in das ganze Rund auf eine üble

1) Und an gothischen Kathedralen, wo sie vorkömmt, ohne Zweifel nur Sache
des Zufalls.
2) Wo und wie die Karyatiden angebracht waren, von welchen die vaticani-
sche (im Braccio nuovo) eine sein soll, ist gänzlich unbekannt.
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Das Pantheon.
messer, gewiss an sich kein durchgehendes Gesetz der Kunst 1), wirkt
doch hier als geheimnissvoller Reiz mit. — Im Einzelnen aber möchte
die Gliederung der Wand durch abwechselnd halbrunde und viereckige
Nischen fast das einzige sein, was von Agrippa’s Bau noch übrig ist.
Die Säulen und Pilaster dieser Nischen tragen zwar Capitäle von grosser
Schönheit, doch nicht mehr von so vollendet reiner Bildung wie die
der Vorhalle; auch die allzureiche, neunfache Cannelirung der Pilaster
deutet wohl auf eine jener Restaurationen, deren von Domitian bis
auf Caracalla mehrere erwähnt werden. Die beiden Gesimse, das
obere und das untere, haben ihrer Einfachheit wegen noch eher An-
spruch auf die Zeit Agrippa’s, obwohl der Porphyrfries Einiges zu
denken giebt. Entschieden spät, vielleicht aus der Zeit des Septimius
Severus, sind die Säulen und Giebel der Altäre, wenn auch schon ur-
sprünglich ähnliche an ihrer Stelle standen, als entsprechender Contrast
zu den Nischen, wie es der römische Bausinn verlangte. Aus welcher
Zeit die Bekleidung der untern Wandflächen mit Streifen und Rundflä-
chen verschiedenfarbiger Steine herrühren mag, lässt sich schwer ent-
scheiden; man hat sie z. B. in der Madeleine zu Paris etwas zu ver-
trauensvoll nachgeahmt. Die jetzige Bekleidung der Wandfläche des
obern Stockes ist notorisch erst aus dem vorigen Iahrhundert; die
ältern Abbildungen zeigen dort eine Pilasterreihe, als natürliche und
wohlthuende Fortsetzung des Organismus im untern Stockwerk 2). End-
lich sind die Cassetten ihres jedenfalls prächtigen Metallschmuckes
beraubt, doch auch noch in ihrer jetzigen Leere und Farblosigkeit
von grosser Wirkung. Die Verschiebung ihrer Tiefe nach oben zu
erscheint ursprünglich. Wer füllt aber das flache Rund, welches das
Fenster umgiebt, mit den wahren alten Formen aus? Hier war für
die ernste, monumentale Decoration der Anlass zur meisterlichsten
Schöpfung gegeben. — Zum Beschluss machen wir noch auf eine Dis-
harmonie aufmerksam, welche schon dem Baumeister Agrippa’s zur
Last fällt. Die Thürnische und, ihr gegenüber, die Altarnische mit
ihren runden Wölbungen schneiden in das ganze Rund auf eine üble

1) Und an gothischen Kathedralen, wo sie vorkömmt, ohne Zweifel nur Sache
des Zufalls.
2) Wo und wie die Karyatiden angebracht waren, von welchen die vaticani-
sche (im Braccio nuovo) eine sein soll, ist gänzlich unbekannt.
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[19/0041] Das Pantheon. messer, gewiss an sich kein durchgehendes Gesetz der Kunst 1), wirkt doch hier als geheimnissvoller Reiz mit. — Im Einzelnen aber möchte die Gliederung der Wand durch abwechselnd halbrunde und viereckige Nischen fast das einzige sein, was von Agrippa’s Bau noch übrig ist. Die Säulen und Pilaster dieser Nischen tragen zwar Capitäle von grosser Schönheit, doch nicht mehr von so vollendet reiner Bildung wie die der Vorhalle; auch die allzureiche, neunfache Cannelirung der Pilaster deutet wohl auf eine jener Restaurationen, deren von Domitian bis auf Caracalla mehrere erwähnt werden. Die beiden Gesimse, das obere und das untere, haben ihrer Einfachheit wegen noch eher An- spruch auf die Zeit Agrippa’s, obwohl der Porphyrfries Einiges zu denken giebt. Entschieden spät, vielleicht aus der Zeit des Septimius Severus, sind die Säulen und Giebel der Altäre, wenn auch schon ur- sprünglich ähnliche an ihrer Stelle standen, als entsprechender Contrast zu den Nischen, wie es der römische Bausinn verlangte. Aus welcher Zeit die Bekleidung der untern Wandflächen mit Streifen und Rundflä- chen verschiedenfarbiger Steine herrühren mag, lässt sich schwer ent- scheiden; man hat sie z. B. in der Madeleine zu Paris etwas zu ver- trauensvoll nachgeahmt. Die jetzige Bekleidung der Wandfläche des obern Stockes ist notorisch erst aus dem vorigen Iahrhundert; die ältern Abbildungen zeigen dort eine Pilasterreihe, als natürliche und wohlthuende Fortsetzung des Organismus im untern Stockwerk 2). End- lich sind die Cassetten ihres jedenfalls prächtigen Metallschmuckes beraubt, doch auch noch in ihrer jetzigen Leere und Farblosigkeit von grosser Wirkung. Die Verschiebung ihrer Tiefe nach oben zu erscheint ursprünglich. Wer füllt aber das flache Rund, welches das Fenster umgiebt, mit den wahren alten Formen aus? Hier war für die ernste, monumentale Decoration der Anlass zur meisterlichsten Schöpfung gegeben. — Zum Beschluss machen wir noch auf eine Dis- harmonie aufmerksam, welche schon dem Baumeister Agrippa’s zur Last fällt. Die Thürnische und, ihr gegenüber, die Altarnische mit ihren runden Wölbungen schneiden in das ganze Rund auf eine üble 1) Und an gothischen Kathedralen, wo sie vorkömmt, ohne Zweifel nur Sache des Zufalls. 2) Wo und wie die Karyatiden angebracht waren, von welchen die vaticani- sche (im Braccio nuovo) eine sein soll, ist gänzlich unbekannt. 2*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/41>, abgerufen am 20.04.2024.