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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Architektur. Tempel von Pästum.
nus, welche letztere durch eine ganz eigenthümliche Zusammenziehung
(Hohlkehle) am Oberende des Schaftes zwar erklärt, aber auch durch
das Grelle des Überganges um so viel fühlbarer wird. Diese gewal-
tige Breite des Echinus zieht dann eine verhältnissmässige Vergrös-
serung der Deckplatte nach sich. (Die Intervalle der Deckplatten sind
etwa gleich der Hälfte ihres Durchmessers.) Zu der geringern innern
Kraft der Säule passt dann ganz gut der schmalere Architrav. Statt
der Triglyphen und Metopen, welche von besserm Stein eingesetzt
waren, sieht man jetzt fast bloss deren leere Lücken. An den einst
herabgestürzten und in neuerer Zeit wieder aufgesetzten Giebeln ist das
Obergesimse mit vertieften Cassetten verziert, die das Alter zum Theil
sogar durchlöchert hat. Von der Cella ist wenig mehr erhalten, als
die Grundmauern.

Noch deutlicher erscheint die Ausartung des dorischen Styles in
ader sog. Basilica. Trotz auffallender Abweichungen, wie z. B. die
ungerade Neunzahl der Säulen an den beiden Fronten, ist diess Ge-
bäude ebenfalls ein Tempel gewesen; Gestalt, Lage, Stufen, Enge des
Raumes im Innern lassen den Gedanken an eine andere Bestimmung,
wie z. B. die der Basiliken war, gar nicht aufkommen. Wiederum
sind die Säulen stark geschwellt und von dem sehr weichen und run-
den Echinus durch eine ähnliche Hohlkehle getrennt wie am Ceres-
tempel. Von dem Gebälke ist ein schmaler Architrav ganz erhalten,
theilweise auch ein stark zurücktretender Fries, an welchem ohne
Zweifel sculpirte Triglyphen und Metopen aus besserm Stein ange-
nietet waren (oder werden sollten, denn mit der Vollendung solchen
Tempelschmuckes verhielt es sich nur zu oft wie mit dem Ausbau un-
serer gothischen Kathedralen.) -- Innen beginnt die Cella mit einer
Vorhalle von drei Säulen und zwei Mauerpfeilern (Anten), welche
letztere, als stärkstes Merkmal der Entartung, die Verjüngung sowohl
als die Anschwellung der Säulen mitmachen; auch ihr Capitäl -- eine
Hohlkehle -- ist von gefühlloser Bildung. -- Im Innern steht auffal-
lender Weise eine Säulenreihe der mittlern Axe des Gebäudes ent-
lang; drei Säulen sind ganz, von zweien die Capitäle erhalten. Welchen
Zweck und welche Bedachung man sich dabei vorzustellen habe, lässt
sich um so weniger entscheiden, da dieser Innenbau vielleicht nicht
einmal der ursprüngliche ist.


Architektur. Tempel von Pästum.
nus, welche letztere durch eine ganz eigenthümliche Zusammenziehung
(Hohlkehle) am Oberende des Schaftes zwar erklärt, aber auch durch
das Grelle des Überganges um so viel fühlbarer wird. Diese gewal-
tige Breite des Echinus zieht dann eine verhältnissmässige Vergrös-
serung der Deckplatte nach sich. (Die Intervalle der Deckplatten sind
etwa gleich der Hälfte ihres Durchmessers.) Zu der geringern innern
Kraft der Säule passt dann ganz gut der schmalere Architrav. Statt
der Triglyphen und Metopen, welche von besserm Stein eingesetzt
waren, sieht man jetzt fast bloss deren leere Lücken. An den einst
herabgestürzten und in neuerer Zeit wieder aufgesetzten Giebeln ist das
Obergesimse mit vertieften Cassetten verziert, die das Alter zum Theil
sogar durchlöchert hat. Von der Cella ist wenig mehr erhalten, als
die Grundmauern.

Noch deutlicher erscheint die Ausartung des dorischen Styles in
ader sog. Basilica. Trotz auffallender Abweichungen, wie z. B. die
ungerade Neunzahl der Säulen an den beiden Fronten, ist diess Ge-
bäude ebenfalls ein Tempel gewesen; Gestalt, Lage, Stufen, Enge des
Raumes im Innern lassen den Gedanken an eine andere Bestimmung,
wie z. B. die der Basiliken war, gar nicht aufkommen. Wiederum
sind die Säulen stark geschwellt und von dem sehr weichen und run-
den Echinus durch eine ähnliche Hohlkehle getrennt wie am Ceres-
tempel. Von dem Gebälke ist ein schmaler Architrav ganz erhalten,
theilweise auch ein stark zurücktretender Fries, an welchem ohne
Zweifel sculpirte Triglyphen und Metopen aus besserm Stein ange-
nietet waren (oder werden sollten, denn mit der Vollendung solchen
Tempelschmuckes verhielt es sich nur zu oft wie mit dem Ausbau un-
serer gothischen Kathedralen.) — Innen beginnt die Cella mit einer
Vorhalle von drei Säulen und zwei Mauerpfeilern (Anten), welche
letztere, als stärkstes Merkmal der Entartung, die Verjüngung sowohl
als die Anschwellung der Säulen mitmachen; auch ihr Capitäl — eine
Hohlkehle — ist von gefühlloser Bildung. — Im Innern steht auffal-
lender Weise eine Säulenreihe der mittlern Axe des Gebäudes ent-
lang; drei Säulen sind ganz, von zweien die Capitäle erhalten. Welchen
Zweck und welche Bedachung man sich dabei vorzustellen habe, lässt
sich um so weniger entscheiden, da dieser Innenbau vielleicht nicht
einmal der ursprüngliche ist.


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[6/0028] Architektur. Tempel von Pästum. nus, welche letztere durch eine ganz eigenthümliche Zusammenziehung (Hohlkehle) am Oberende des Schaftes zwar erklärt, aber auch durch das Grelle des Überganges um so viel fühlbarer wird. Diese gewal- tige Breite des Echinus zieht dann eine verhältnissmässige Vergrös- serung der Deckplatte nach sich. (Die Intervalle der Deckplatten sind etwa gleich der Hälfte ihres Durchmessers.) Zu der geringern innern Kraft der Säule passt dann ganz gut der schmalere Architrav. Statt der Triglyphen und Metopen, welche von besserm Stein eingesetzt waren, sieht man jetzt fast bloss deren leere Lücken. An den einst herabgestürzten und in neuerer Zeit wieder aufgesetzten Giebeln ist das Obergesimse mit vertieften Cassetten verziert, die das Alter zum Theil sogar durchlöchert hat. Von der Cella ist wenig mehr erhalten, als die Grundmauern. Noch deutlicher erscheint die Ausartung des dorischen Styles in der sog. Basilica. Trotz auffallender Abweichungen, wie z. B. die ungerade Neunzahl der Säulen an den beiden Fronten, ist diess Ge- bäude ebenfalls ein Tempel gewesen; Gestalt, Lage, Stufen, Enge des Raumes im Innern lassen den Gedanken an eine andere Bestimmung, wie z. B. die der Basiliken war, gar nicht aufkommen. Wiederum sind die Säulen stark geschwellt und von dem sehr weichen und run- den Echinus durch eine ähnliche Hohlkehle getrennt wie am Ceres- tempel. Von dem Gebälke ist ein schmaler Architrav ganz erhalten, theilweise auch ein stark zurücktretender Fries, an welchem ohne Zweifel sculpirte Triglyphen und Metopen aus besserm Stein ange- nietet waren (oder werden sollten, denn mit der Vollendung solchen Tempelschmuckes verhielt es sich nur zu oft wie mit dem Ausbau un- serer gothischen Kathedralen.) — Innen beginnt die Cella mit einer Vorhalle von drei Säulen und zwei Mauerpfeilern (Anten), welche letztere, als stärkstes Merkmal der Entartung, die Verjüngung sowohl als die Anschwellung der Säulen mitmachen; auch ihr Capitäl — eine Hohlkehle — ist von gefühlloser Bildung. — Im Innern steht auffal- lender Weise eine Säulenreihe der mittlern Axe des Gebäudes ent- lang; drei Säulen sind ganz, von zweien die Capitäle erhalten. Welchen Zweck und welche Bedachung man sich dabei vorzustellen habe, lässt sich um so weniger entscheiden, da dieser Innenbau vielleicht nicht einmal der ursprüngliche ist. a

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/28>, abgerufen am 19.04.2024.