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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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pflicht, nicht tragen konnte, weil Kriegs- und Hungersnöte
ihn in die Schuldknechtschaft und ins Elend trieben. Im
germanisch-romanischen Mittelalter stellte er aus dem gleichen
Grunde seine Landstelle unter den großen Grundherrn und
empfieng von diesem Schutz und Unterstützung in der Zeit
der Not.

Man wird die mittelalterliche Fronhofsverfassung am
besten verstehen, wenn man sich die Wirtschaft eines ganzen
Dorfes als eine Einheit vorstellt, deren Mittelpunkt durch
den Herrenhof gebildet wird 1). In demselben waltet der

1) Wenn es auch zahlreiche Dörfer gab, deren Bauern verschie-
denen Grundherren verpflichtet waren und zahlreiche Fronhöfe, zu
welchen Bauernstellen aus verschiedenen Dörfern geschlagen waren, so
muß doch der im Texte angenommene Fall als der normale ange-
sehen werden. Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß das meiste Quellen-
material, das wir über diese Dinge besitzen, sich auf den Streubesitz
der Klöster bezieht, für welchen die Fronhöfe die Krystallisationspunkte
abgaben, während wir für die Gutshöfe der großen und namentlich
der kleinen weltlichen Grundherren aus älterer Zeit fast kein Material
haben. Bei diesen aber ist unser Fall als der regelmäßige anzusehen,
soweit die Dörfer durch Ansetzung von Kolonisten um einen Einzelhof
entstanden waren. Für den Zweck unserer Darstellung dürfen wir
auch die mancherlei Unterschiede in der rechtlichen Stellung der Zins-
und Dienstpflichtigen, namentlich den Unterschied von Hof- und Mark-
hörigen bei Seite lassen. Auch die letzteren waren durch das Ober-
eigentum des Herrn an der Allmende in den Wirtschaftsorganismus
des Fronhofes hineingezogen. Endlich verkenne ich zwar nicht den
Unterschied zwischen der Villenverfassung Karls d. Gr. und der späteren
Verwaltungsorganisation der großen Grundherren, meine aber, daß
derselbe die Wirtschaft des einzelnen Gutshofes nur an der Oberfläche
berührt. Für alles Weitere muß auf Maurer, Gesch. der Fron-

pflicht, nicht tragen konnte, weil Kriegs- und Hungersnöte
ihn in die Schuldknechtſchaft und ins Elend trieben. Im
germaniſch-romaniſchen Mittelalter ſtellte er aus dem gleichen
Grunde ſeine Landſtelle unter den großen Grundherrn und
empfieng von dieſem Schutz und Unterſtützung in der Zeit
der Not.

Man wird die mittelalterliche Fronhofsverfaſſung am
beſten verſtehen, wenn man ſich die Wirtſchaft eines ganzen
Dorfes als eine Einheit vorſtellt, deren Mittelpunkt durch
den Herrenhof gebildet wird 1). In demſelben waltet der

1) Wenn es auch zahlreiche Dörfer gab, deren Bauern verſchie-
denen Grundherren verpflichtet waren und zahlreiche Fronhöfe, zu
welchen Bauernſtellen aus verſchiedenen Dörfern geſchlagen waren, ſo
muß doch der im Texte angenommene Fall als der normale ange-
ſehen werden. Wir dürfen dabei nicht vergeſſen, daß das meiſte Quellen-
material, das wir über dieſe Dinge beſitzen, ſich auf den Streubeſitz
der Klöſter bezieht, für welchen die Fronhöfe die Kryſtalliſationspunkte
abgaben, während wir für die Gutshöfe der großen und namentlich
der kleinen weltlichen Grundherren aus älterer Zeit faſt kein Material
haben. Bei dieſen aber iſt unſer Fall als der regelmäßige anzuſehen,
ſoweit die Dörfer durch Anſetzung von Koloniſten um einen Einzelhof
entſtanden waren. Für den Zweck unſerer Darſtellung dürfen wir
auch die mancherlei Unterſchiede in der rechtlichen Stellung der Zins-
und Dienſtpflichtigen, namentlich den Unterſchied von Hof- und Mark-
hörigen bei Seite laſſen. Auch die letzteren waren durch das Ober-
eigentum des Herrn an der Allmende in den Wirtſchaftsorganismus
des Fronhofes hineingezogen. Endlich verkenne ich zwar nicht den
Unterſchied zwiſchen der Villenverfaſſung Karls d. Gr. und der ſpäteren
Verwaltungsorganiſation der großen Grundherren, meine aber, daß
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[30/0044] pflicht, nicht tragen konnte, weil Kriegs- und Hungersnöte ihn in die Schuldknechtſchaft und ins Elend trieben. Im germaniſch-romaniſchen Mittelalter ſtellte er aus dem gleichen Grunde ſeine Landſtelle unter den großen Grundherrn und empfieng von dieſem Schutz und Unterſtützung in der Zeit der Not. Man wird die mittelalterliche Fronhofsverfaſſung am beſten verſtehen, wenn man ſich die Wirtſchaft eines ganzen Dorfes als eine Einheit vorſtellt, deren Mittelpunkt durch den Herrenhof gebildet wird 1). In demſelben waltet der 1) Wenn es auch zahlreiche Dörfer gab, deren Bauern verſchie- denen Grundherren verpflichtet waren und zahlreiche Fronhöfe, zu welchen Bauernſtellen aus verſchiedenen Dörfern geſchlagen waren, ſo muß doch der im Texte angenommene Fall als der normale ange- ſehen werden. Wir dürfen dabei nicht vergeſſen, daß das meiſte Quellen- material, das wir über dieſe Dinge beſitzen, ſich auf den Streubeſitz der Klöſter bezieht, für welchen die Fronhöfe die Kryſtalliſationspunkte abgaben, während wir für die Gutshöfe der großen und namentlich der kleinen weltlichen Grundherren aus älterer Zeit faſt kein Material haben. Bei dieſen aber iſt unſer Fall als der regelmäßige anzuſehen, ſoweit die Dörfer durch Anſetzung von Koloniſten um einen Einzelhof entſtanden waren. Für den Zweck unſerer Darſtellung dürfen wir auch die mancherlei Unterſchiede in der rechtlichen Stellung der Zins- und Dienſtpflichtigen, namentlich den Unterſchied von Hof- und Mark- hörigen bei Seite laſſen. Auch die letzteren waren durch das Ober- eigentum des Herrn an der Allmende in den Wirtſchaftsorganismus des Fronhofes hineingezogen. Endlich verkenne ich zwar nicht den Unterſchied zwiſchen der Villenverfaſſung Karls d. Gr. und der ſpäteren Verwaltungsorganiſation der großen Grundherren, meine aber, daß derſelbe die Wirtſchaft des einzelnen Gutshofes nur an der Oberfläche berührt. Für alles Weitere muß auf Maurer, Geſch. der Fron-

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/44>, abgerufen am 29.03.2024.