Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Viehes). Aber es gab auch Wirtschaftsaufgaben, welche
nicht alle Sonderhaushalte der lokalen Gruppe gleichmäßig
berührten und doch für den Einzelnen zu schwer waren.
Es sollte ein Haus oder Schiff gebaut, ein Waldstück ge-
rodet, ein Bach abgeleitet werden; man wollte auf größere
Entfernungen hin der Jagd oder dem Fischfang obliegen,
oder es hatte auch nur die Jahreszeit ein außergewöhnliches
Arbeitsbedürfnis für dieses oder jenes Haus heraufgeführt.
In allen solchen Fällen bildeten sich freiwillig temporäre Ar-
beitsgemeinschaften, die nach Erfüllung ihrer Aufgabe wieder
verschwanden. Manches dieser Art hat sich später umge-
bildet, anderes ist erhalten. Ich erinnere an die Arbeits-
gemeinschaften der slavischen Stämme: das Artell bei den
Russen, die Tscheta oder Druzina bei den Bulgaren, die
Moba bei den Serben, an die freiwillige gegenseitige Hülfe-
leistung unserer Bauern beim Hausbau, bei der Schafschur,
dem Flachsreffen u. ä.

Wie weit solche Einrichtungen immer gehen mögen,
derjenige Teil der Bedürfnisbefriedigung, welcher durch sie
besorgt werden kann, ist ein verhältnismäßig geringer und
beeinträchtigt die wirtschaftliche Autonomie des einzelnen
Hauses ebensowenig, wie die bei unseren Landwirten fort-
dauernde Eigenproduktion der Herrschaft der Tauschwirt-
schaft heute Eintrag thut. Auch jene "Arbeitsgenossen-
schaften", wie sie Schmoller genannt hat, sind keine
Unternehmungen sondern Veranstaltungen zur unmittelbaren
Bedarfsbefriedigung. Man hilft heute diesem, morgen jenem

Viehes). Aber es gab auch Wirtſchaftsaufgaben, welche
nicht alle Sonderhaushalte der lokalen Gruppe gleichmäßig
berührten und doch für den Einzelnen zu ſchwer waren.
Es ſollte ein Haus oder Schiff gebaut, ein Waldſtück ge-
rodet, ein Bach abgeleitet werden; man wollte auf größere
Entfernungen hin der Jagd oder dem Fiſchfang obliegen,
oder es hatte auch nur die Jahreszeit ein außergewöhnliches
Arbeitsbedürfnis für dieſes oder jenes Haus heraufgeführt.
In allen ſolchen Fällen bildeten ſich freiwillig temporäre Ar-
beitsgemeinſchaften, die nach Erfüllung ihrer Aufgabe wieder
verſchwanden. Manches dieſer Art hat ſich ſpäter umge-
bildet, anderes iſt erhalten. Ich erinnere an die Arbeits-
gemeinſchaften der ſlaviſchen Stämme: das Artell bei den
Ruſſen, die Tſcheta oder Družina bei den Bulgaren, die
Moba bei den Serben, an die freiwillige gegenſeitige Hülfe-
leiſtung unſerer Bauern beim Hausbau, bei der Schafſchur,
dem Flachsreffen u. ä.

Wie weit ſolche Einrichtungen immer gehen mögen,
derjenige Teil der Bedürfnisbefriedigung, welcher durch ſie
beſorgt werden kann, iſt ein verhältnismäßig geringer und
beeinträchtigt die wirtſchaftliche Autonomie des einzelnen
Hauſes ebenſowenig, wie die bei unſeren Landwirten fort-
dauernde Eigenproduktion der Herrſchaft der Tauſchwirt-
ſchaft heute Eintrag thut. Auch jene „Arbeitsgenoſſen-
ſchaften“, wie ſie Schmoller genannt hat, ſind keine
Unternehmungen ſondern Veranſtaltungen zur unmittelbaren
Bedarfsbefriedigung. Man hilft heute dieſem, morgen jenem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="21"/>
Viehes). Aber es gab auch Wirt&#x017F;chaftsaufgaben, welche<lb/>
nicht alle Sonderhaushalte der lokalen Gruppe gleichmäßig<lb/>
berührten und doch für den Einzelnen zu &#x017F;chwer waren.<lb/>
Es &#x017F;ollte ein Haus oder Schiff gebaut, ein Wald&#x017F;tück ge-<lb/>
rodet, ein Bach abgeleitet werden; man wollte auf größere<lb/>
Entfernungen hin der Jagd oder dem Fi&#x017F;chfang obliegen,<lb/>
oder es hatte auch nur die Jahreszeit ein außergewöhnliches<lb/>
Arbeitsbedürfnis für die&#x017F;es oder jenes Haus heraufgeführt.<lb/>
In allen &#x017F;olchen Fällen bildeten &#x017F;ich freiwillig temporäre Ar-<lb/>
beitsgemein&#x017F;chaften, die nach Erfüllung ihrer Aufgabe wieder<lb/>
ver&#x017F;chwanden. Manches die&#x017F;er Art hat &#x017F;ich &#x017F;päter umge-<lb/>
bildet, anderes i&#x017F;t erhalten. Ich erinnere an die Arbeits-<lb/>
gemein&#x017F;chaften der &#x017F;lavi&#x017F;chen Stämme: das Artell bei den<lb/>
Ru&#x017F;&#x017F;en, die T&#x017F;cheta oder Dru&#x017E;ina bei den Bulgaren, die<lb/>
Moba bei den Serben, an die freiwillige gegen&#x017F;eitige Hülfe-<lb/>
lei&#x017F;tung un&#x017F;erer Bauern beim Hausbau, bei der Schaf&#x017F;chur,<lb/>
dem Flachsreffen u. ä.</p><lb/>
          <p>Wie weit &#x017F;olche Einrichtungen immer gehen mögen,<lb/>
derjenige Teil der Bedürfnisbefriedigung, welcher durch &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;orgt werden kann, i&#x017F;t ein verhältnismäßig geringer und<lb/>
beeinträchtigt die wirt&#x017F;chaftliche Autonomie des einzelnen<lb/>
Hau&#x017F;es eben&#x017F;owenig, wie die bei un&#x017F;eren Landwirten fort-<lb/>
dauernde Eigenproduktion der Herr&#x017F;chaft der Tau&#x017F;chwirt-<lb/>
&#x017F;chaft heute Eintrag thut. Auch jene &#x201E;Arbeitsgeno&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften&#x201C;, wie &#x017F;ie <hi rendition="#g">Schmoller</hi> genannt hat, &#x017F;ind keine<lb/>
Unternehmungen &#x017F;ondern Veran&#x017F;taltungen zur unmittelbaren<lb/>
Bedarfsbefriedigung. Man hilft heute die&#x017F;em, morgen jenem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0035] Viehes). Aber es gab auch Wirtſchaftsaufgaben, welche nicht alle Sonderhaushalte der lokalen Gruppe gleichmäßig berührten und doch für den Einzelnen zu ſchwer waren. Es ſollte ein Haus oder Schiff gebaut, ein Waldſtück ge- rodet, ein Bach abgeleitet werden; man wollte auf größere Entfernungen hin der Jagd oder dem Fiſchfang obliegen, oder es hatte auch nur die Jahreszeit ein außergewöhnliches Arbeitsbedürfnis für dieſes oder jenes Haus heraufgeführt. In allen ſolchen Fällen bildeten ſich freiwillig temporäre Ar- beitsgemeinſchaften, die nach Erfüllung ihrer Aufgabe wieder verſchwanden. Manches dieſer Art hat ſich ſpäter umge- bildet, anderes iſt erhalten. Ich erinnere an die Arbeits- gemeinſchaften der ſlaviſchen Stämme: das Artell bei den Ruſſen, die Tſcheta oder Družina bei den Bulgaren, die Moba bei den Serben, an die freiwillige gegenſeitige Hülfe- leiſtung unſerer Bauern beim Hausbau, bei der Schafſchur, dem Flachsreffen u. ä. Wie weit ſolche Einrichtungen immer gehen mögen, derjenige Teil der Bedürfnisbefriedigung, welcher durch ſie beſorgt werden kann, iſt ein verhältnismäßig geringer und beeinträchtigt die wirtſchaftliche Autonomie des einzelnen Hauſes ebenſowenig, wie die bei unſeren Landwirten fort- dauernde Eigenproduktion der Herrſchaft der Tauſchwirt- ſchaft heute Eintrag thut. Auch jene „Arbeitsgenoſſen- ſchaften“, wie ſie Schmoller genannt hat, ſind keine Unternehmungen ſondern Veranſtaltungen zur unmittelbaren Bedarfsbefriedigung. Man hilft heute dieſem, morgen jenem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/35
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/35>, abgerufen am 25.04.2024.