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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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Alle Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Güterzirku-
lation, in welche auch die Güterverteilung einbegriffen wird.

Daß es einmal einen Zustand ohne Verkehr gegeben
haben könne, kommt ihnen nicht in den Sinn; wo sie einen
solchen als methodischen Behelf gebrauchen, greifen sie zu
der von den Neueren so viel verspotteten Fiktion der Ro-
binsonade. Gewöhnlich aber leiten sie selbst die kompli-
ziertesten Verkehrsvorgänge direkt aus dem Urzustande ab 1).
Adam Smith läßt dem Menschen von Natur eine Nei-
gung zum Tausche angeboren sein und betrachtet selbst die
Arbeitsteilung erst als deren Folge 2). Ricardo be-
handelt an verschiedenen Stellen den Jäger und Fischer
der Urzeit wie zwei kapitalistische Unternehmer. Er läßt
sie Arbeitslohn zahlen und Kapitalprofit machen; er erörtert
das Steigen und Fallen ihrer Produktionskosten und des
Preises ihrer Produkte. Um auch einen hervorragenden
Deutschen dieser Richtung zu nennen, so geht Thünen
bei seiner Konstruktion des isolierten Staates ganz von den
Voraussetzungen der Verkehrswirtschaft aus. Selbst die
entfernteste Zone, welche noch nicht die Stufe des Ackerbaus
erreicht hat, wirtschaftet lediglich mit Rücksicht auf den Ab-
satz ihrer Produkte in der Zentralstadt.

Wie weit derartige rationalistische Konstruktionen von
den thatsächlichen Wirtschaftsverhältnissen primitiver Völker
abweichen, hätte die historische und ethnographische Forschung

1) Aehnlich freilich schon die Physiokraten. Vgl. Turgot, Re-
flexions
§ 2 ff.
2) Buch I, Kap. 2.

Alle Aufmerkſamkeit konzentriert ſich auf die Güterzirku-
lation, in welche auch die Güterverteilung einbegriffen wird.

Daß es einmal einen Zuſtand ohne Verkehr gegeben
haben könne, kommt ihnen nicht in den Sinn; wo ſie einen
ſolchen als methodiſchen Behelf gebrauchen, greifen ſie zu
der von den Neueren ſo viel verſpotteten Fiktion der Ro-
binſonade. Gewöhnlich aber leiten ſie ſelbſt die kompli-
zierteſten Verkehrsvorgänge direkt aus dem Urzuſtande ab 1).
Adam Smith läßt dem Menſchen von Natur eine Nei-
gung zum Tauſche angeboren ſein und betrachtet ſelbſt die
Arbeitsteilung erſt als deren Folge 2). Ricardo be-
handelt an verſchiedenen Stellen den Jäger und Fiſcher
der Urzeit wie zwei kapitaliſtiſche Unternehmer. Er läßt
ſie Arbeitslohn zahlen und Kapitalprofit machen; er erörtert
das Steigen und Fallen ihrer Produktionskoſten und des
Preiſes ihrer Produkte. Um auch einen hervorragenden
Deutſchen dieſer Richtung zu nennen, ſo geht Thünen
bei ſeiner Konſtruktion des iſolierten Staates ganz von den
Vorausſetzungen der Verkehrswirtſchaft aus. Selbſt die
entfernteſte Zone, welche noch nicht die Stufe des Ackerbaus
erreicht hat, wirtſchaftet lediglich mit Rückſicht auf den Ab-
ſatz ihrer Produkte in der Zentralſtadt.

Wie weit derartige rationaliſtiſche Konſtruktionen von
den thatſächlichen Wirtſchaftsverhältniſſen primitiver Völker
abweichen, hätte die hiſtoriſche und ethnographiſche Forſchung

1) Aehnlich freilich ſchon die Phyſiokraten. Vgl. Turgot, Ré-
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§ 2 ff.
2) Buch I, Kap. 2.
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[13/0027] Alle Aufmerkſamkeit konzentriert ſich auf die Güterzirku- lation, in welche auch die Güterverteilung einbegriffen wird. Daß es einmal einen Zuſtand ohne Verkehr gegeben haben könne, kommt ihnen nicht in den Sinn; wo ſie einen ſolchen als methodiſchen Behelf gebrauchen, greifen ſie zu der von den Neueren ſo viel verſpotteten Fiktion der Ro- binſonade. Gewöhnlich aber leiten ſie ſelbſt die kompli- zierteſten Verkehrsvorgänge direkt aus dem Urzuſtande ab 1). Adam Smith läßt dem Menſchen von Natur eine Nei- gung zum Tauſche angeboren ſein und betrachtet ſelbſt die Arbeitsteilung erſt als deren Folge 2). Ricardo be- handelt an verſchiedenen Stellen den Jäger und Fiſcher der Urzeit wie zwei kapitaliſtiſche Unternehmer. Er läßt ſie Arbeitslohn zahlen und Kapitalprofit machen; er erörtert das Steigen und Fallen ihrer Produktionskoſten und des Preiſes ihrer Produkte. Um auch einen hervorragenden Deutſchen dieſer Richtung zu nennen, ſo geht Thünen bei ſeiner Konſtruktion des iſolierten Staates ganz von den Vorausſetzungen der Verkehrswirtſchaft aus. Selbſt die entfernteſte Zone, welche noch nicht die Stufe des Ackerbaus erreicht hat, wirtſchaftet lediglich mit Rückſicht auf den Ab- ſatz ihrer Produkte in der Zentralſtadt. Wie weit derartige rationaliſtiſche Konſtruktionen von den thatſächlichen Wirtſchaftsverhältniſſen primitiver Völker abweichen, hätte die hiſtoriſche und ethnographiſche Forſchung 1) Aehnlich freilich ſchon die Phyſiokraten. Vgl. Turgot, Ré- flexions § 2 ff. 2) Buch I, Kap. 2.

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/27>, abgerufen am 23.04.2024.