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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 62. Die Thronfolge.
Franken bei Kirchenbann verbot, sich aus einem anderen als aus
Pippins Geschlecht einen König zu wählen, setzte er damit ihr Wahl-
recht als gegeben voraus. Mit Zustimmung der Franken teilte Pippin
die Herrschaft unter seine Söhne Karl und Karlmann, die nach seinem
Tode von den Grossen der Teilreiche feierlich anerkannt und auf den
Thron erhoben wurden, indem sie die königlichen Insignien empfingen 32.
Als Karlmann 771 starb, erlangte Karl consensu omnium Francorum
die Nachfolge in dessen Reichsteil mit Ausschliessung der unmündigen
Söhne Karlmanns 33. Die divisio von 806 liess Karl von den Grossen
des Reiches eidlich bekräftigen. Sie bestimmte u. a., dass, wenn einer
der Teilkönige einen Sohn hinterlasse, welchen das Volk zum Nach-
folger wählen wolle, die Oheime es nicht verhindern sollen, eine Vor-
schrift, die es einerseits von der Wahl des Volkes abhängig machte,
ob ein Sohn des verstorbenen Teilkönigs oder seine Brüder succe-
dieren sollen, und andererseits der Volkswahl anheimstellte, weitere
Teilung zu vermeiden 34. Noch kräftiger wird das Wahlprinzip in der
Thronfolgeordnung von 817 betont. Lothar sei, so sagt sie, durch
des Kaisers und des ganzen Volkes Wahl erhoben worden. Verstürbe
er, ohne echte Kinder zu hinterlassen, so solle das Volk einen seiner
Brüder zum Nachfolger wählen in der Weise, wie Lothar gewählt
worden sei. Jeder der Anteile, die den drei Söhnen Ludwigs I.
damals zugewiesen wurden, solle nicht weiter geteilt werden, sondern
die Wahl des Volkes unter den Söhnen des verstorbenen Herrschers
den Nachfolger bestimmen.

Der Vertrag von Verdun kam unter wesentlicher Teilnahme der

sein Grund, dass die Salbung später recht eigentlich die Stelle dieser vertrat, nicht
zuzutreffen. Massgebend dürfte sein, dass unter den Merowingern seit Chlodovech
die Schilderhebung nur dreimal erwähnt wird, bei Chlodovech, als ihn die Ribua-
rier wählen, bei Sigibert I., als ihn 575 die Grossen Chilperichs zu ihrem König
erheben, und bei der Empörung Gundovalds (584). Allein Fredegars Fortsetzer hebt
bei Pippins Erhöhung den alten Brauch, die Ann. Laur. heben den mos Franco-
rum hervor. Man wird Hubrich S. 59 Anm. 16 Recht geben müssen, dass unter diesem
mos nicht die längst verschollene Schilderhebung verstanden werden könne. Die
Schilderhebung war übrigens Wahlform. Der Bericht der Annales Lauriss. lässt
auf die electio die unctio, dann erst die elevatio folgen.
32 Mühlbacher 112 d.
33 Mühlbacher 139 a.
34 Cap. I 128, c. 5: quod si talis filius cuilibet istorum trium fratrum natus
fuerit, quem populus eligere velit, ut patri suo in regni hereditate succedat, volu-
mus ut hoc consentiant patrui ipsius pueri .. Die Fassung ist mit Bedacht so ge-
wählt, dass auf Karls des Grossen eigenes Vorgehen gegen die Söhne Karlmanns
kein Tadel fällt. Denn das Volk wollte nach Karlmanns Tode nicht seine Söhne,
sondern deren Oheim Karl.

§ 62. Die Thronfolge.
Franken bei Kirchenbann verbot, sich aus einem anderen als aus
Pippins Geschlecht einen König zu wählen, setzte er damit ihr Wahl-
recht als gegeben voraus. Mit Zustimmung der Franken teilte Pippin
die Herrschaft unter seine Söhne Karl und Karlmann, die nach seinem
Tode von den Groſsen der Teilreiche feierlich anerkannt und auf den
Thron erhoben wurden, indem sie die königlichen Insignien empfingen 32.
Als Karlmann 771 starb, erlangte Karl consensu omnium Francorum
die Nachfolge in dessen Reichsteil mit Ausschlieſsung der unmündigen
Söhne Karlmanns 33. Die divisio von 806 lieſs Karl von den Groſsen
des Reiches eidlich bekräftigen. Sie bestimmte u. a., daſs, wenn einer
der Teilkönige einen Sohn hinterlasse, welchen das Volk zum Nach-
folger wählen wolle, die Oheime es nicht verhindern sollen, eine Vor-
schrift, die es einerseits von der Wahl des Volkes abhängig machte,
ob ein Sohn des verstorbenen Teilkönigs oder seine Brüder succe-
dieren sollen, und andererseits der Volkswahl anheimstellte, weitere
Teilung zu vermeiden 34. Noch kräftiger wird das Wahlprinzip in der
Thronfolgeordnung von 817 betont. Lothar sei, so sagt sie, durch
des Kaisers und des ganzen Volkes Wahl erhoben worden. Verstürbe
er, ohne echte Kinder zu hinterlassen, so solle das Volk einen seiner
Brüder zum Nachfolger wählen in der Weise, wie Lothar gewählt
worden sei. Jeder der Anteile, die den drei Söhnen Ludwigs I.
damals zugewiesen wurden, solle nicht weiter geteilt werden, sondern
die Wahl des Volkes unter den Söhnen des verstorbenen Herrschers
den Nachfolger bestimmen.

Der Vertrag von Verdun kam unter wesentlicher Teilnahme der

sein Grund, daſs die Salbung später recht eigentlich die Stelle dieser vertrat, nicht
zuzutreffen. Maſsgebend dürfte sein, daſs unter den Merowingern seit Chlodovech
die Schilderhebung nur dreimal erwähnt wird, bei Chlodovech, als ihn die Ribua-
rier wählen, bei Sigibert I., als ihn 575 die Groſsen Chilperichs zu ihrem König
erheben, und bei der Empörung Gundovalds (584). Allein Fredegars Fortsetzer hebt
bei Pippins Erhöhung den alten Brauch, die Ann. Laur. heben den mos Franco-
rum hervor. Man wird Hubrich S. 59 Anm. 16 Recht geben müssen, daſs unter diesem
mos nicht die längst verschollene Schilderhebung verstanden werden könne. Die
Schilderhebung war übrigens Wahlform. Der Bericht der Annales Lauriss. läſst
auf die electio die unctio, dann erst die elevatio folgen.
32 Mühlbacher 112 d.
33 Mühlbacher 139 a.
34 Cap. I 128, c. 5: quod si talis filius cuilibet istorum trium fratrum natus
fuerit, quem populus eligere velit, ut patri suo in regni hereditate succedat, volu-
mus ut hoc consentiant patrui ipsius pueri .. Die Fassung ist mit Bedacht so ge-
wählt, daſs auf Karls des Groſsen eigenes Vorgehen gegen die Söhne Karlmanns
kein Tadel fällt. Denn das Volk wollte nach Karlmanns Tode nicht seine Söhne,
sondern deren Oheim Karl.
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[30/0048] § 62. Die Thronfolge. Franken bei Kirchenbann verbot, sich aus einem anderen als aus Pippins Geschlecht einen König zu wählen, setzte er damit ihr Wahl- recht als gegeben voraus. Mit Zustimmung der Franken teilte Pippin die Herrschaft unter seine Söhne Karl und Karlmann, die nach seinem Tode von den Groſsen der Teilreiche feierlich anerkannt und auf den Thron erhoben wurden, indem sie die königlichen Insignien empfingen 32. Als Karlmann 771 starb, erlangte Karl consensu omnium Francorum die Nachfolge in dessen Reichsteil mit Ausschlieſsung der unmündigen Söhne Karlmanns 33. Die divisio von 806 lieſs Karl von den Groſsen des Reiches eidlich bekräftigen. Sie bestimmte u. a., daſs, wenn einer der Teilkönige einen Sohn hinterlasse, welchen das Volk zum Nach- folger wählen wolle, die Oheime es nicht verhindern sollen, eine Vor- schrift, die es einerseits von der Wahl des Volkes abhängig machte, ob ein Sohn des verstorbenen Teilkönigs oder seine Brüder succe- dieren sollen, und andererseits der Volkswahl anheimstellte, weitere Teilung zu vermeiden 34. Noch kräftiger wird das Wahlprinzip in der Thronfolgeordnung von 817 betont. Lothar sei, so sagt sie, durch des Kaisers und des ganzen Volkes Wahl erhoben worden. Verstürbe er, ohne echte Kinder zu hinterlassen, so solle das Volk einen seiner Brüder zum Nachfolger wählen in der Weise, wie Lothar gewählt worden sei. Jeder der Anteile, die den drei Söhnen Ludwigs I. damals zugewiesen wurden, solle nicht weiter geteilt werden, sondern die Wahl des Volkes unter den Söhnen des verstorbenen Herrschers den Nachfolger bestimmen. Der Vertrag von Verdun kam unter wesentlicher Teilnahme der 31 32 Mühlbacher 112 d. 33 Mühlbacher 139 a. 34 Cap. I 128, c. 5: quod si talis filius cuilibet istorum trium fratrum natus fuerit, quem populus eligere velit, ut patri suo in regni hereditate succedat, volu- mus ut hoc consentiant patrui ipsius pueri .. Die Fassung ist mit Bedacht so ge- wählt, daſs auf Karls des Groſsen eigenes Vorgehen gegen die Söhne Karlmanns kein Tadel fällt. Denn das Volk wollte nach Karlmanns Tode nicht seine Söhne, sondern deren Oheim Karl. 31 sein Grund, daſs die Salbung später recht eigentlich die Stelle dieser vertrat, nicht zuzutreffen. Maſsgebend dürfte sein, daſs unter den Merowingern seit Chlodovech die Schilderhebung nur dreimal erwähnt wird, bei Chlodovech, als ihn die Ribua- rier wählen, bei Sigibert I., als ihn 575 die Groſsen Chilperichs zu ihrem König erheben, und bei der Empörung Gundovalds (584). Allein Fredegars Fortsetzer hebt bei Pippins Erhöhung den alten Brauch, die Ann. Laur. heben den mos Franco- rum hervor. Man wird Hubrich S. 59 Anm. 16 Recht geben müssen, daſs unter diesem mos nicht die längst verschollene Schilderhebung verstanden werden könne. Die Schilderhebung war übrigens Wahlform. Der Bericht der Annales Lauriss. läſst auf die electio die unctio, dann erst die elevatio folgen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/48>, abgerufen am 19.04.2024.