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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 62. Die Thronfolge.
Lebzeiten einen Mitregenten bestellte. Die Berufung zur Mitherrschaft
haben gelegentlich auch germanische, namentlich westgotische Könige 2
angewendet, um Thronstreitigkeiten vorzubeugen 3. Aber feste Praxis
wurde sie nicht, sondern blieb Ausnahme von der Regel. Als solche
behauptete sich im allgemeinen die Wahl von Seite des Volkes, welche
in den Reichen, die den Grundsatz der Teilbarkeit nicht aufkommen
liessen, schliesslich über das Erbrecht siegte. Am entschiedensten
war das im Reiche der Westgoten der Fall, wo Konzilienschlüsse des
siebenten Jahrhunderts (seit 633) ein völlig unbeschränktes Wahlrecht
voraussetzen, das im wesentlichen durch die hohe Geistlichkeit und
den gotischen Adel ausgeübt wird 4. Ähnlich war die Entwicklung
bei den Langobarden nach vorübergehenden Ansätzen zur Erblichkeit,
die 661 zu einem völlig vereinzelten Falle einer Erbteilung geführt
hatten 5. Auch das Königtum der Ostgoten ist zuletzt ein reines
Wahlkönigtum geworden.

Bei verschiedenen Stämmen hat sich die Teilbarkeit der Herr-
schergewalt durchgesetzt. Die Teilung schloss zwar die Wahl oder
Anerkennung durch das Volk nicht grundsätzlich aus, konnte sie aber
entbehrlich machen und liess daher eine soweit gehende Steigerung
des Erbprinzips zu, dass die Volkswahl nur noch ausnahmsweise, ins-
besondere bei dem Aussterben des Herrschergeschlechtes, praktisch
wurde. Die Teilbarkeit findet sich bei den Burgundern bis auf Gun-
dobad 6, bei den Thüringern 7, im alemannischen 8 und im bairischen
Herzogsgeschlechte 9, insbesondere aber bei den Franken.

Die Salier standen vor der Reichsgründung unter einer Mehrheit

2 Pflugk-Harttung, Z.2 f. RG XI 189. 198. Die Bestellung zum Mit-
regenten ist selbstverständlich von der auf germanischer Sitte beruhenden Bestellung
zum Unterkönig über einen Teil des Reiches zu unterscheiden.
3 Über die Rolle, welche die Nachahmung der römisch-byzantinischen Sitte
in den Anfängen des karolingischen Kaisertums spielt, siehe unten § 70.
4 Dahn, Könige VI 521 Anm. 4. 524.
5 Nach dem Tode Ariperts war das Reich unter seine beiden Söhne, Perhtarit
und Godepert, geteilt worden. Paulus, Hist. Langob. 4, 51.
6 Siehe oben I 332 Anm. 1.
7 Greg. Tur. Hist. Franc. III 4: tunc apud Thuringos tres fratres regnum gentis
illius retinebant. Nach einer Vermutung Seelmanns sind unter den Königen der
Heruler, Warnen und Thüringer, an welche König Theoderich schreibt (oben I 46),
die drei Söhne Bisinos, Baderich, Hermanfrid und Berthachar zu verstehen, die
das Reich ihres Vaters geteilt hatten. Weiland, Die Angeln 1889, S. 25.
8 Lex Alam. 35, 2.
9 Lex Baiuw. II 9. Vgl. II 1: si quis contra ducem suum, quem rex ordi-
navit .. aut populus sibi elegerit ducem .. Über Teilungen im Hause der Agilol-
finger siehe Riezler, Gesch. Baierns I 79.

§ 62. Die Thronfolge.
Lebzeiten einen Mitregenten bestellte. Die Berufung zur Mitherrschaft
haben gelegentlich auch germanische, namentlich westgotische Könige 2
angewendet, um Thronstreitigkeiten vorzubeugen 3. Aber feste Praxis
wurde sie nicht, sondern blieb Ausnahme von der Regel. Als solche
behauptete sich im allgemeinen die Wahl von Seite des Volkes, welche
in den Reichen, die den Grundsatz der Teilbarkeit nicht aufkommen
lieſsen, schlieſslich über das Erbrecht siegte. Am entschiedensten
war das im Reiche der Westgoten der Fall, wo Konzilienschlüsse des
siebenten Jahrhunderts (seit 633) ein völlig unbeschränktes Wahlrecht
voraussetzen, das im wesentlichen durch die hohe Geistlichkeit und
den gotischen Adel ausgeübt wird 4. Ähnlich war die Entwicklung
bei den Langobarden nach vorübergehenden Ansätzen zur Erblichkeit,
die 661 zu einem völlig vereinzelten Falle einer Erbteilung geführt
hatten 5. Auch das Königtum der Ostgoten ist zuletzt ein reines
Wahlkönigtum geworden.

Bei verschiedenen Stämmen hat sich die Teilbarkeit der Herr-
schergewalt durchgesetzt. Die Teilung schloſs zwar die Wahl oder
Anerkennung durch das Volk nicht grundsätzlich aus, konnte sie aber
entbehrlich machen und lieſs daher eine soweit gehende Steigerung
des Erbprinzips zu, daſs die Volkswahl nur noch ausnahmsweise, ins-
besondere bei dem Aussterben des Herrschergeschlechtes, praktisch
wurde. Die Teilbarkeit findet sich bei den Burgundern bis auf Gun-
dobad 6, bei den Thüringern 7, im alemannischen 8 und im bairischen
Herzogsgeschlechte 9, insbesondere aber bei den Franken.

Die Salier standen vor der Reichsgründung unter einer Mehrheit

2 Pflugk-Harttung, Z.2 f. RG XI 189. 198. Die Bestellung zum Mit-
regenten ist selbstverständlich von der auf germanischer Sitte beruhenden Bestellung
zum Unterkönig über einen Teil des Reiches zu unterscheiden.
3 Über die Rolle, welche die Nachahmung der römisch-byzantinischen Sitte
in den Anfängen des karolingischen Kaisertums spielt, siehe unten § 70.
4 Dahn, Könige VI 521 Anm. 4. 524.
5 Nach dem Tode Ariperts war das Reich unter seine beiden Söhne, Perhtarit
und Godepert, geteilt worden. Paulus, Hist. Langob. 4, 51.
6 Siehe oben I 332 Anm. 1.
7 Greg. Tur. Hist. Franc. III 4: tunc apud Thuringos tres fratres regnum gentis
illius retinebant. Nach einer Vermutung Seelmanns sind unter den Königen der
Heruler, Warnen und Thüringer, an welche König Theoderich schreibt (oben I 46),
die drei Söhne Bisinos, Baderich, Hermanfrid und Berthachar zu verstehen, die
das Reich ihres Vaters geteilt hatten. Weiland, Die Angeln 1889, S. 25.
8 Lex Alam. 35, 2.
9 Lex Baiuw. II 9. Vgl. II 1: si quis contra ducem suum, quem rex ordi-
navit .. aut populus sibi elegerit ducem .. Über Teilungen im Hause der Agilol-
finger siehe Riezler, Gesch. Baierns I 79.
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[24/0042] § 62. Die Thronfolge. Lebzeiten einen Mitregenten bestellte. Die Berufung zur Mitherrschaft haben gelegentlich auch germanische, namentlich westgotische Könige 2 angewendet, um Thronstreitigkeiten vorzubeugen 3. Aber feste Praxis wurde sie nicht, sondern blieb Ausnahme von der Regel. Als solche behauptete sich im allgemeinen die Wahl von Seite des Volkes, welche in den Reichen, die den Grundsatz der Teilbarkeit nicht aufkommen lieſsen, schlieſslich über das Erbrecht siegte. Am entschiedensten war das im Reiche der Westgoten der Fall, wo Konzilienschlüsse des siebenten Jahrhunderts (seit 633) ein völlig unbeschränktes Wahlrecht voraussetzen, das im wesentlichen durch die hohe Geistlichkeit und den gotischen Adel ausgeübt wird 4. Ähnlich war die Entwicklung bei den Langobarden nach vorübergehenden Ansätzen zur Erblichkeit, die 661 zu einem völlig vereinzelten Falle einer Erbteilung geführt hatten 5. Auch das Königtum der Ostgoten ist zuletzt ein reines Wahlkönigtum geworden. Bei verschiedenen Stämmen hat sich die Teilbarkeit der Herr- schergewalt durchgesetzt. Die Teilung schloſs zwar die Wahl oder Anerkennung durch das Volk nicht grundsätzlich aus, konnte sie aber entbehrlich machen und lieſs daher eine soweit gehende Steigerung des Erbprinzips zu, daſs die Volkswahl nur noch ausnahmsweise, ins- besondere bei dem Aussterben des Herrschergeschlechtes, praktisch wurde. Die Teilbarkeit findet sich bei den Burgundern bis auf Gun- dobad 6, bei den Thüringern 7, im alemannischen 8 und im bairischen Herzogsgeschlechte 9, insbesondere aber bei den Franken. Die Salier standen vor der Reichsgründung unter einer Mehrheit 2 Pflugk-Harttung, Z.2 f. RG XI 189. 198. Die Bestellung zum Mit- regenten ist selbstverständlich von der auf germanischer Sitte beruhenden Bestellung zum Unterkönig über einen Teil des Reiches zu unterscheiden. 3 Über die Rolle, welche die Nachahmung der römisch-byzantinischen Sitte in den Anfängen des karolingischen Kaisertums spielt, siehe unten § 70. 4 Dahn, Könige VI 521 Anm. 4. 524. 5 Nach dem Tode Ariperts war das Reich unter seine beiden Söhne, Perhtarit und Godepert, geteilt worden. Paulus, Hist. Langob. 4, 51. 6 Siehe oben I 332 Anm. 1. 7 Greg. Tur. Hist. Franc. III 4: tunc apud Thuringos tres fratres regnum gentis illius retinebant. Nach einer Vermutung Seelmanns sind unter den Königen der Heruler, Warnen und Thüringer, an welche König Theoderich schreibt (oben I 46), die drei Söhne Bisinos, Baderich, Hermanfrid und Berthachar zu verstehen, die das Reich ihres Vaters geteilt hatten. Weiland, Die Angeln 1889, S. 25. 8 Lex Alam. 35, 2. 9 Lex Baiuw. II 9. Vgl. II 1: si quis contra ducem suum, quem rex ordi- navit .. aut populus sibi elegerit ducem .. Über Teilungen im Hause der Agilol- finger siehe Riezler, Gesch. Baierns I 79.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/42>, abgerufen am 20.04.2024.