Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 61. Titel, Ehrenzeichen und Regierungsantritt.
ad regem gesalbt, zum König konsekriert 42. Für das fränkische
Staatsrecht blieb diese biblische Ausdrucksweise ohne Bedeutung.
Auch hütete sich die Kirche zunächst, die Konsequenzen des Sprach-
gebrauchs zu ziehen, wie schon die wiederholte Salbung Pippins be-
weist. Mehr als eine kirchliche Anerkennung und Heiligung des
Königtums ist die Salbung in fränkischer Zeit nicht geworden 43.
Die Krönung durch die Geistlichkeit stellt sich in ihrer Symbolik als
eine Tradition der Krone dar, die der Gesalbte nach der Auffassung
der Zeit und nach dem Wortlaut der Krönungsgebete von Gott
empfängt 44. Trotzdem hat sie den ihrer Form entsprechenden recht-
lichen Charakter in fränkischer Zeit nicht erlangt. Um die Mitte des
neunten Jahrhunderts gilt sie gewissermassen für ein Beiwerk der Sal-
bung, auf welche das höhere Gewicht gelegt wird 45.

Dass die Erlangung der Königswürde von Salbung und Krönung
unabhängig geblieben, zeigt sich in der Thatsache, dass im neunten
Jahrhundert durchaus nicht jeder karolingische König gesalbt und
gekrönt worden ist. Von einer Salbung und Krönung Bernhards von
Italien ist uns nichts berichtet. Ludwig der Deutsche und seine Söhne
empfingen sie nicht. Das westfränkische Reich ist mit der festen
Einbürgerung jener Sitte dem ostfränkischen vorausgeeilt, zumal Karl
der Kahle auf derlei Förmlichkeiten übermässigen Wert legte. Noch
Arnulf wurde 887 König in der Form einer Thronerhebung, bei
welcher weder eine Salbung noch eine Krönung erwähnt wird 46.
Erst bei Ludwig dem Kinde taucht die Königskrönung in der ost-
fränkischen Linie der Karolinger auf 47.

Die Thronerhebung, elevatio, wie sie die merowingische Zeit der
karolingischen überliefert hatte, besass noch unter den ersten Karo-
lingern staatsrechtliche Bedeutung. Sowohl Pippin als Karl und wahr-

42 De unctione Pipp. nota a. O.: sacro chrismate in reges consecrati sunt ...
in regem .. unctus et benedictus est. Annal. Amandi et Petav. z. J. 768, MG SS
I 12. 13: ad reges uncti sunt. Oben Anm. 30. Regin. Chron. z. J. 879.
43 Vgl. Hinschius a. O. Gelegentliche Äusserungen Karls II., die aller-
dings weiter gingen, erlangten damals noch keine praktische Bedeutung.
44 Das zeigen die Krönungsformeln. Siehe oben S. 21 Anm. 39.
45 Den Tag, an welchem Karl der Kahle 848 zu Orleans gesalbt und gekrönt
worden war, feierte er nachmals als dies inunctionis. Vgl. Dümmler, Gesch. des
ostfränk. Reiches I 127 Anm. 1, II 338. Auch Karl der Einfältige liess die anni-
versaria inunctionis feiern (Böhmer 1953).
46 Die Quellen sagen: elegerunt, sine mora statuerunt ad regem extolli; in
regem elevatur; in regni solio ponunt. Mühlbacher 1717 l.
47 Regin. Chron. z. J. 900: Ludowicum .. regem super se creant et coronatum
regiisque ornamentis indutum in fastigio regni sublimant.

§ 61. Titel, Ehrenzeichen und Regierungsantritt.
ad regem gesalbt, zum König konsekriert 42. Für das fränkische
Staatsrecht blieb diese biblische Ausdrucksweise ohne Bedeutung.
Auch hütete sich die Kirche zunächst, die Konsequenzen des Sprach-
gebrauchs zu ziehen, wie schon die wiederholte Salbung Pippins be-
weist. Mehr als eine kirchliche Anerkennung und Heiligung des
Königtums ist die Salbung in fränkischer Zeit nicht geworden 43.
Die Krönung durch die Geistlichkeit stellt sich in ihrer Symbolik als
eine Tradition der Krone dar, die der Gesalbte nach der Auffassung
der Zeit und nach dem Wortlaut der Krönungsgebete von Gott
empfängt 44. Trotzdem hat sie den ihrer Form entsprechenden recht-
lichen Charakter in fränkischer Zeit nicht erlangt. Um die Mitte des
neunten Jahrhunderts gilt sie gewissermaſsen für ein Beiwerk der Sal-
bung, auf welche das höhere Gewicht gelegt wird 45.

Daſs die Erlangung der Königswürde von Salbung und Krönung
unabhängig geblieben, zeigt sich in der Thatsache, dass im neunten
Jahrhundert durchaus nicht jeder karolingische König gesalbt und
gekrönt worden ist. Von einer Salbung und Krönung Bernhards von
Italien ist uns nichts berichtet. Ludwig der Deutsche und seine Söhne
empfingen sie nicht. Das westfränkische Reich ist mit der festen
Einbürgerung jener Sitte dem ostfränkischen vorausgeeilt, zumal Karl
der Kahle auf derlei Förmlichkeiten übermäſsigen Wert legte. Noch
Arnulf wurde 887 König in der Form einer Thronerhebung, bei
welcher weder eine Salbung noch eine Krönung erwähnt wird 46.
Erst bei Ludwig dem Kinde taucht die Königskrönung in der ost-
fränkischen Linie der Karolinger auf 47.

Die Thronerhebung, elevatio, wie sie die merowingische Zeit der
karolingischen überliefert hatte, besaſs noch unter den ersten Karo-
lingern staatsrechtliche Bedeutung. Sowohl Pippin als Karl und wahr-

42 De unctione Pipp. nota a. O.: sacro chrismate in reges consecrati sunt …
in regem .. unctus et benedictus est. Annal. Amandi et Petav. z. J. 768, MG SS
I 12. 13: ad reges uncti sunt. Oben Anm. 30. Regin. Chron. z. J. 879.
43 Vgl. Hinschius a. O. Gelegentliche Äuſserungen Karls II., die aller-
dings weiter gingen, erlangten damals noch keine praktische Bedeutung.
44 Das zeigen die Krönungsformeln. Siehe oben S. 21 Anm. 39.
45 Den Tag, an welchem Karl der Kahle 848 zu Orléans gesalbt und gekrönt
worden war, feierte er nachmals als dies inunctionis. Vgl. Dümmler, Gesch. des
ostfränk. Reiches I 127 Anm. 1, II 338. Auch Karl der Einfältige lieſs die anni-
versaria inunctionis feiern (Böhmer 1953).
46 Die Quellen sagen: elegerunt, sine mora statuerunt ad regem extolli; in
regem elevatur; in regni solio ponunt. Mühlbacher 1717 l.
47 Regin. Chron. z. J. 900: Ludowicum .. regem super se creant et coronatum
regiisque ornamentis indutum in fastigio regni sublimant.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0040" n="22"/><fw place="top" type="header">§ 61. Titel, Ehrenzeichen und Regierungsantritt.</fw><lb/>
ad regem gesalbt, zum König konsekriert <note place="foot" n="42">De unctione Pipp. nota a. O.: sacro chrismate in reges consecrati sunt &#x2026;<lb/>
in regem .. unctus et benedictus est. Annal. Amandi et Petav. z. J. 768, MG SS<lb/>
I 12. 13: ad reges uncti sunt. Oben Anm. 30. Regin. Chron. z. J. 879.</note>. Für das fränkische<lb/>
Staatsrecht blieb diese biblische Ausdrucksweise ohne Bedeutung.<lb/>
Auch hütete sich die Kirche zunächst, die Konsequenzen des Sprach-<lb/>
gebrauchs zu ziehen, wie schon die wiederholte Salbung Pippins be-<lb/>
weist. Mehr als eine kirchliche Anerkennung und Heiligung des<lb/>
Königtums ist die Salbung in fränkischer Zeit nicht geworden <note place="foot" n="43">Vgl. <hi rendition="#g">Hinschius</hi> a. O. Gelegentliche Äu&#x017F;serungen Karls II., die aller-<lb/>
dings weiter gingen, erlangten damals noch keine praktische Bedeutung.</note>.<lb/>
Die Krönung durch die Geistlichkeit stellt sich in ihrer Symbolik als<lb/>
eine Tradition der Krone dar, die der Gesalbte nach der Auffassung<lb/>
der Zeit und nach dem Wortlaut der Krönungsgebete von Gott<lb/>
empfängt <note place="foot" n="44">Das zeigen die Krönungsformeln. Siehe oben S. 21 Anm. 39.</note>. Trotzdem hat sie den ihrer Form entsprechenden recht-<lb/>
lichen Charakter in fränkischer Zeit nicht erlangt. Um die Mitte des<lb/>
neunten Jahrhunderts gilt sie gewisserma&#x017F;sen für ein Beiwerk der Sal-<lb/>
bung, auf welche das höhere Gewicht gelegt wird <note place="foot" n="45">Den Tag, an welchem Karl der Kahle 848 zu Orléans gesalbt und gekrönt<lb/>
worden war, feierte er nachmals als dies inunctionis. Vgl. <hi rendition="#g">Dümmler</hi>, Gesch. des<lb/>
ostfränk. Reiches I 127 Anm. 1, II 338. Auch Karl der Einfältige lie&#x017F;s die anni-<lb/>
versaria inunctionis feiern (<hi rendition="#g">Böhmer</hi> 1953).</note>.</p><lb/>
            <p>Da&#x017F;s die Erlangung der Königswürde von Salbung und Krönung<lb/>
unabhängig geblieben, zeigt sich in der Thatsache, dass im neunten<lb/>
Jahrhundert durchaus nicht jeder karolingische König gesalbt und<lb/>
gekrönt worden ist. Von einer Salbung und Krönung Bernhards von<lb/>
Italien ist uns nichts berichtet. Ludwig der Deutsche und seine Söhne<lb/>
empfingen sie nicht. Das westfränkische Reich ist mit der festen<lb/>
Einbürgerung jener Sitte dem ostfränkischen vorausgeeilt, zumal Karl<lb/>
der Kahle auf derlei Förmlichkeiten übermä&#x017F;sigen Wert legte. Noch<lb/>
Arnulf wurde 887 König in der Form einer Thronerhebung, bei<lb/>
welcher weder eine Salbung noch eine Krönung erwähnt wird <note place="foot" n="46">Die Quellen sagen: elegerunt, sine mora statuerunt ad regem extolli; in<lb/>
regem elevatur; in regni solio ponunt. <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi> 1717 l.</note>.<lb/>
Erst bei Ludwig dem Kinde taucht die Königskrönung in der ost-<lb/>
fränkischen Linie der Karolinger auf <note place="foot" n="47">Regin. Chron. z. J. 900: Ludowicum .. regem super se creant et coronatum<lb/>
regiisque ornamentis indutum in fastigio regni sublimant.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Thronerhebung, elevatio, wie sie die merowingische Zeit der<lb/>
karolingischen überliefert hatte, besa&#x017F;s noch unter den ersten Karo-<lb/>
lingern staatsrechtliche Bedeutung. Sowohl Pippin als Karl und wahr-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0040] § 61. Titel, Ehrenzeichen und Regierungsantritt. ad regem gesalbt, zum König konsekriert 42. Für das fränkische Staatsrecht blieb diese biblische Ausdrucksweise ohne Bedeutung. Auch hütete sich die Kirche zunächst, die Konsequenzen des Sprach- gebrauchs zu ziehen, wie schon die wiederholte Salbung Pippins be- weist. Mehr als eine kirchliche Anerkennung und Heiligung des Königtums ist die Salbung in fränkischer Zeit nicht geworden 43. Die Krönung durch die Geistlichkeit stellt sich in ihrer Symbolik als eine Tradition der Krone dar, die der Gesalbte nach der Auffassung der Zeit und nach dem Wortlaut der Krönungsgebete von Gott empfängt 44. Trotzdem hat sie den ihrer Form entsprechenden recht- lichen Charakter in fränkischer Zeit nicht erlangt. Um die Mitte des neunten Jahrhunderts gilt sie gewissermaſsen für ein Beiwerk der Sal- bung, auf welche das höhere Gewicht gelegt wird 45. Daſs die Erlangung der Königswürde von Salbung und Krönung unabhängig geblieben, zeigt sich in der Thatsache, dass im neunten Jahrhundert durchaus nicht jeder karolingische König gesalbt und gekrönt worden ist. Von einer Salbung und Krönung Bernhards von Italien ist uns nichts berichtet. Ludwig der Deutsche und seine Söhne empfingen sie nicht. Das westfränkische Reich ist mit der festen Einbürgerung jener Sitte dem ostfränkischen vorausgeeilt, zumal Karl der Kahle auf derlei Förmlichkeiten übermäſsigen Wert legte. Noch Arnulf wurde 887 König in der Form einer Thronerhebung, bei welcher weder eine Salbung noch eine Krönung erwähnt wird 46. Erst bei Ludwig dem Kinde taucht die Königskrönung in der ost- fränkischen Linie der Karolinger auf 47. Die Thronerhebung, elevatio, wie sie die merowingische Zeit der karolingischen überliefert hatte, besaſs noch unter den ersten Karo- lingern staatsrechtliche Bedeutung. Sowohl Pippin als Karl und wahr- 42 De unctione Pipp. nota a. O.: sacro chrismate in reges consecrati sunt … in regem .. unctus et benedictus est. Annal. Amandi et Petav. z. J. 768, MG SS I 12. 13: ad reges uncti sunt. Oben Anm. 30. Regin. Chron. z. J. 879. 43 Vgl. Hinschius a. O. Gelegentliche Äuſserungen Karls II., die aller- dings weiter gingen, erlangten damals noch keine praktische Bedeutung. 44 Das zeigen die Krönungsformeln. Siehe oben S. 21 Anm. 39. 45 Den Tag, an welchem Karl der Kahle 848 zu Orléans gesalbt und gekrönt worden war, feierte er nachmals als dies inunctionis. Vgl. Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reiches I 127 Anm. 1, II 338. Auch Karl der Einfältige lieſs die anni- versaria inunctionis feiern (Böhmer 1953). 46 Die Quellen sagen: elegerunt, sine mora statuerunt ad regem extolli; in regem elevatur; in regni solio ponunt. Mühlbacher 1717 l. 47 Regin. Chron. z. J. 900: Ludowicum .. regem super se creant et coronatum regiisque ornamentis indutum in fastigio regni sublimant.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/40
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/40>, abgerufen am 28.03.2024.