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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 60. Die königliche Gewalt.
hatten 1, war vermutlich ein durch die Landesgemeinde beschränktes
Völkerschaftskönigtum mit einer in der Dauer der Kriegswirren und
unter römischen Einflüssen etwas gesteigerten Machtfülle.

Eine tiefgreifende Umwandlung erfuhr das salische Königtum
durch die Gründung des fränkischen Reiches. Im wesentlichen das
Werk seines Impulses, erhob sie den merowingischen Kleinkönig zum
König über den gesamten Stamm der Franken und schuf in den
gallischen Eroberungen eine territoriale Herrschaft, die über den
Rahmen eines fränkischen Stammeskönigtums weit hinausgriff. In
Folge der Reichsgründung trat denn auch eine erheblich grössere
Steigerung der königlichen Gewalt ein, als sie durchschnittlich mit
der Entstehung des germanischen Grosskönigtums verbunden war.
Der fränkische König gewann in der gallo-römischen Bevölkerung eine
Klasse von Unterthanen, welche den Druck der römischen Verwaltung
und ein unbeschränktes Imperium gewohnt waren. Das wirkte auf
die Stellung der Franken nicht bloss in den neuen Erwerbungen, son-
dern auch in den fränkischen Stammlanden zurück; denn die könig-
liche Gewalt gestaltete sich mehr und mehr als eine einheitliche über
sämtliche Unterthanen. Mit politischem Takte verstanden es Chlodo-
vech und seine nächsten Nachfolger sich den gallischen Klerus füg-
sam zu machen und zu erhalten und eine dem Königtum untergeordnete
fränkische Reichskirche zu organisieren. Vertrug sich mit dem Christen-
tum nicht mehr der heidnische Mythus von der sakralen Bedeutung
des Königsgeschlechtes, so machte dafür die Kirche die alttestament-
lichen Anschauungen über die Heiligkeit des von Gott eingesetzten
Königtums geltend. Aus dem römischen Steuerwesen herstammende
Abgaben, welche in Gallien erhoben wurden, füllten den königlichen
Schatz. Die gewaltige Vermehrung des Krongutes, insbesondere der
ausgedehnte Grundbesitz, den der König in Folge der Eroberungen
erwarb 2, setzte ihn in die Lage, Gefolgschaft und Beamtentum zu ver-
mehren und umfassende Landschenkungen vorzunehmen. Erheblich
fällt auch der Machtzuwachs ins Gewicht, den das Königtum erlangte,
indem es einzelne in Gallien bestehende römische Einrichtungen über-
nahm und mehr oder minder umgestaltet und den neuen Verhältnissen
angepasst zur allgemeinen Anwendung brachte. Auf solcher Ent-
lehnung und Anpassung beruhen die königliche Kanzlei, Zoll- und
Münzwesen, die Sonderstellung der königlichen Domänen und ihrer

1 Zur Zeit Chlodovechs bestanden mindestens drei salische civitates, deren
jede einen König hatte (Chlodovech, Chararich, Ragnachar).
2 Siehe oben I 203.

§ 60. Die königliche Gewalt.
hatten 1, war vermutlich ein durch die Landesgemeinde beschränktes
Völkerschaftskönigtum mit einer in der Dauer der Kriegswirren und
unter römischen Einflüssen etwas gesteigerten Machtfülle.

Eine tiefgreifende Umwandlung erfuhr das salische Königtum
durch die Gründung des fränkischen Reiches. Im wesentlichen das
Werk seines Impulses, erhob sie den merowingischen Kleinkönig zum
König über den gesamten Stamm der Franken und schuf in den
gallischen Eroberungen eine territoriale Herrschaft, die über den
Rahmen eines fränkischen Stammeskönigtums weit hinausgriff. In
Folge der Reichsgründung trat denn auch eine erheblich gröſsere
Steigerung der königlichen Gewalt ein, als sie durchschnittlich mit
der Entstehung des germanischen Groſskönigtums verbunden war.
Der fränkische König gewann in der gallo-römischen Bevölkerung eine
Klasse von Unterthanen, welche den Druck der römischen Verwaltung
und ein unbeschränktes Imperium gewohnt waren. Das wirkte auf
die Stellung der Franken nicht bloſs in den neuen Erwerbungen, son-
dern auch in den fränkischen Stammlanden zurück; denn die könig-
liche Gewalt gestaltete sich mehr und mehr als eine einheitliche über
sämtliche Unterthanen. Mit politischem Takte verstanden es Chlodo-
vech und seine nächsten Nachfolger sich den gallischen Klerus füg-
sam zu machen und zu erhalten und eine dem Königtum untergeordnete
fränkische Reichskirche zu organisieren. Vertrug sich mit dem Christen-
tum nicht mehr der heidnische Mythus von der sakralen Bedeutung
des Königsgeschlechtes, so machte dafür die Kirche die alttestament-
lichen Anschauungen über die Heiligkeit des von Gott eingesetzten
Königtums geltend. Aus dem römischen Steuerwesen herstammende
Abgaben, welche in Gallien erhoben wurden, füllten den königlichen
Schatz. Die gewaltige Vermehrung des Krongutes, insbesondere der
ausgedehnte Grundbesitz, den der König in Folge der Eroberungen
erwarb 2, setzte ihn in die Lage, Gefolgschaft und Beamtentum zu ver-
mehren und umfassende Landschenkungen vorzunehmen. Erheblich
fällt auch der Machtzuwachs ins Gewicht, den das Königtum erlangte,
indem es einzelne in Gallien bestehende römische Einrichtungen über-
nahm und mehr oder minder umgestaltet und den neuen Verhältnissen
angepaſst zur allgemeinen Anwendung brachte. Auf solcher Ent-
lehnung und Anpassung beruhen die königliche Kanzlei, Zoll- und
Münzwesen, die Sonderstellung der königlichen Domänen und ihrer

1 Zur Zeit Chlodovechs bestanden mindestens drei salische civitates, deren
jede einen König hatte (Chlodovech, Chararich, Ragnachar).
2 Siehe oben I 203.
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[8/0026] § 60. Die königliche Gewalt. hatten 1, war vermutlich ein durch die Landesgemeinde beschränktes Völkerschaftskönigtum mit einer in der Dauer der Kriegswirren und unter römischen Einflüssen etwas gesteigerten Machtfülle. Eine tiefgreifende Umwandlung erfuhr das salische Königtum durch die Gründung des fränkischen Reiches. Im wesentlichen das Werk seines Impulses, erhob sie den merowingischen Kleinkönig zum König über den gesamten Stamm der Franken und schuf in den gallischen Eroberungen eine territoriale Herrschaft, die über den Rahmen eines fränkischen Stammeskönigtums weit hinausgriff. In Folge der Reichsgründung trat denn auch eine erheblich gröſsere Steigerung der königlichen Gewalt ein, als sie durchschnittlich mit der Entstehung des germanischen Groſskönigtums verbunden war. Der fränkische König gewann in der gallo-römischen Bevölkerung eine Klasse von Unterthanen, welche den Druck der römischen Verwaltung und ein unbeschränktes Imperium gewohnt waren. Das wirkte auf die Stellung der Franken nicht bloſs in den neuen Erwerbungen, son- dern auch in den fränkischen Stammlanden zurück; denn die könig- liche Gewalt gestaltete sich mehr und mehr als eine einheitliche über sämtliche Unterthanen. Mit politischem Takte verstanden es Chlodo- vech und seine nächsten Nachfolger sich den gallischen Klerus füg- sam zu machen und zu erhalten und eine dem Königtum untergeordnete fränkische Reichskirche zu organisieren. Vertrug sich mit dem Christen- tum nicht mehr der heidnische Mythus von der sakralen Bedeutung des Königsgeschlechtes, so machte dafür die Kirche die alttestament- lichen Anschauungen über die Heiligkeit des von Gott eingesetzten Königtums geltend. Aus dem römischen Steuerwesen herstammende Abgaben, welche in Gallien erhoben wurden, füllten den königlichen Schatz. Die gewaltige Vermehrung des Krongutes, insbesondere der ausgedehnte Grundbesitz, den der König in Folge der Eroberungen erwarb 2, setzte ihn in die Lage, Gefolgschaft und Beamtentum zu ver- mehren und umfassende Landschenkungen vorzunehmen. Erheblich fällt auch der Machtzuwachs ins Gewicht, den das Königtum erlangte, indem es einzelne in Gallien bestehende römische Einrichtungen über- nahm und mehr oder minder umgestaltet und den neuen Verhältnissen angepaſst zur allgemeinen Anwendung brachte. Auf solcher Ent- lehnung und Anpassung beruhen die königliche Kanzlei, Zoll- und Münzwesen, die Sonderstellung der königlichen Domänen und ihrer 1 Zur Zeit Chlodovechs bestanden mindestens drei salische civitates, deren jede einen König hatte (Chlodovech, Chararich, Ragnachar). 2 Siehe oben I 203.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/26>, abgerufen am 29.03.2024.