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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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müssen. Wenn wir nun trotzdem geröthete Wangen bei den
Frauen finden, so müssen wir daraus schliessen, dass es die
Absicht des Künstlers war, nicht sowohl eine mehr oder we-
niger vergängliche Farbenwirkung darzustellen, als vielmehr
uns die Farbe der Wangen als nothwendig ihnen anhaftend,
auf ihrem eigenen Wesen beruhend zu zeigen. In dieser Auf-
fassung aber bestärken uns einige Angaben, welche Pausa-
nias mehr beiläufig bei der Beschreibung der delphischen Ge-
mälde einfliessen lässt. So macht er bei der Figur des Aias,
Sohnes des Oileus, darauf aufmerksam, dass man an dem Co-
lorit den Schiffbrüchigen erkannte, auf dessen Haut der Schmutz
des Salzwassers noch zu kleben scheine. 1) Der Dämon der
Verwesung, Eurynomos, hatte eine Farbe zwischen schwarz
und dunkelblau in der Mitte stehend, wie die Schmeissfliegen 2).
Tityos war gebildet schon ganz aufgerieben von der bestän-
digen Strafe, amudron khai oude olokhleron eidolon, ein abge-
blasstes und ganz verfallenes Schattenbild. Ebenso erschei-
nen die Fische im Acheron ganz schattenartig. 3) Alle diese
verschiedenen Angaben sind in einer Beziehung durchaus
gleicher Natur: es ist in keinem dieser Fälle auf eine eigentlich
malerische Farbenwirkung abgesehen, sondern eine einzige, von
dem Colorit der umgebenden Figuren abweichende Grundfarbe
soll der bestimmten einzelnen Gestalt ihren besondern Charakter
verleihen. Die eigenthümliche Farbe beruht auf der eigenthüm-
lichen Natur der Gestalt; sie ist nicht etwas aus der momen-
tanen Erscheinung der dargestellten Person Entspringendes,
sondern etwas ihrem bleibenden Wesen dauernd Anhaftendes.

Ziehen wir jetzt das Resultat. Eumaros von Athen hatte
Mann und Frau in der Malerei unterschieden, er hatte die
Grundverschiedenheit des Colorits beider Geschlechter festge-
stellt. Polygnot ging weiter: auch innerhalb der einzelnen
Geschlechter veränderte er die Farbe der Körper, sofern durch
dieselbe das Wesen der dargestellten Person schärfer cha-
rakterisirt werden konnte. Pausanias nimmt natürlich nur von
den hervorstechendsten Fällen Notiz; doch mögen wir daraus
weiter folgern, dass Polygnot auch minder grelle Unter-
schiede, wie z. B. die Abstufungen zwischen Knaben-, Jüng-

1) X, 31, 1.
2) X, 28, 4. Ein ähnlicher Dämon VI, 6, 4 und in ei-
nem tarquiniensischen Gemälde. Mon. ined. dell' Inst. II, 5.
3) X, 28, 1.

müssen. Wenn wir nun trotzdem geröthete Wangen bei den
Frauen finden, so müssen wir daraus schliessen, dass es die
Absicht des Künstlers war, nicht sowohl eine mehr oder we-
niger vergängliche Farbenwirkung darzustellen, als vielmehr
uns die Farbe der Wangen als nothwendig ihnen anhaftend,
auf ihrem eigenen Wesen beruhend zu zeigen. In dieser Auf-
fassung aber bestärken uns einige Angaben, welche Pausa-
nias mehr beiläufig bei der Beschreibung der delphischen Ge-
mälde einfliessen lässt. So macht er bei der Figur des Aias,
Sohnes des Oïleus, darauf aufmerksam, dass man an dem Co-
lorit den Schiffbrüchigen erkannte, auf dessen Haut der Schmutz
des Salzwassers noch zu kleben scheine. 1) Der Dämon der
Verwesung, Eurynomos, hatte eine Farbe zwischen schwarz
und dunkelblau in der Mitte stehend, wie die Schmeissfliegen 2).
Tityos war gebildet schon ganz aufgerieben von der bestän-
digen Strafe, ἀμυδϱὸν χαὶ οὐδὲ ὁλόχληϱον εἴδωλον, ein abge-
blasstes und ganz verfallenes Schattenbild. Ebenso erschei-
nen die Fische im Acheron ganz schattenartig. 3) Alle diese
verschiedenen Angaben sind in einer Beziehung durchaus
gleicher Natur: es ist in keinem dieser Fälle auf eine eigentlich
malerische Farbenwirkung abgesehen, sondern eine einzige, von
dem Colorit der umgebenden Figuren abweichende Grundfarbe
soll der bestimmten einzelnen Gestalt ihren besondern Charakter
verleihen. Die eigenthümliche Farbe beruht auf der eigenthüm-
lichen Natur der Gestalt; sie ist nicht etwas aus der momen-
tanen Erscheinung der dargestellten Person Entspringendes,
sondern etwas ihrem bleibenden Wesen dauernd Anhaftendes.

Ziehen wir jetzt das Resultat. Eumaros von Athen hatte
Mann und Frau in der Malerei unterschieden, er hatte die
Grundverschiedenheit des Colorits beider Geschlechter festge-
stellt. Polygnot ging weiter: auch innerhalb der einzelnen
Geschlechter veränderte er die Farbe der Körper, sofern durch
dieselbe das Wesen der dargestellten Person schärfer cha-
rakterisirt werden konnte. Pausanias nimmt natürlich nur von
den hervorstechendsten Fällen Notiz; doch mögen wir daraus
weiter folgern, dass Polygnot auch minder grelle Unter-
schiede, wie z. B. die Abstufungen zwischen Knaben-, Jüng-

1) X, 31, 1.
2) X, 28, 4. Ein ähnlicher Dämon VI, 6, 4 und in ei-
nem tarquiniensischen Gemälde. Mon. ined. dell’ Inst. II, 5.
3) X, 28, 1.
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[32/0040] müssen. Wenn wir nun trotzdem geröthete Wangen bei den Frauen finden, so müssen wir daraus schliessen, dass es die Absicht des Künstlers war, nicht sowohl eine mehr oder we- niger vergängliche Farbenwirkung darzustellen, als vielmehr uns die Farbe der Wangen als nothwendig ihnen anhaftend, auf ihrem eigenen Wesen beruhend zu zeigen. In dieser Auf- fassung aber bestärken uns einige Angaben, welche Pausa- nias mehr beiläufig bei der Beschreibung der delphischen Ge- mälde einfliessen lässt. So macht er bei der Figur des Aias, Sohnes des Oïleus, darauf aufmerksam, dass man an dem Co- lorit den Schiffbrüchigen erkannte, auf dessen Haut der Schmutz des Salzwassers noch zu kleben scheine. 1) Der Dämon der Verwesung, Eurynomos, hatte eine Farbe zwischen schwarz und dunkelblau in der Mitte stehend, wie die Schmeissfliegen 2). Tityos war gebildet schon ganz aufgerieben von der bestän- digen Strafe, ἀμυδϱὸν χαὶ οὐδὲ ὁλόχληϱον εἴδωλον, ein abge- blasstes und ganz verfallenes Schattenbild. Ebenso erschei- nen die Fische im Acheron ganz schattenartig. 3) Alle diese verschiedenen Angaben sind in einer Beziehung durchaus gleicher Natur: es ist in keinem dieser Fälle auf eine eigentlich malerische Farbenwirkung abgesehen, sondern eine einzige, von dem Colorit der umgebenden Figuren abweichende Grundfarbe soll der bestimmten einzelnen Gestalt ihren besondern Charakter verleihen. Die eigenthümliche Farbe beruht auf der eigenthüm- lichen Natur der Gestalt; sie ist nicht etwas aus der momen- tanen Erscheinung der dargestellten Person Entspringendes, sondern etwas ihrem bleibenden Wesen dauernd Anhaftendes. Ziehen wir jetzt das Resultat. Eumaros von Athen hatte Mann und Frau in der Malerei unterschieden, er hatte die Grundverschiedenheit des Colorits beider Geschlechter festge- stellt. Polygnot ging weiter: auch innerhalb der einzelnen Geschlechter veränderte er die Farbe der Körper, sofern durch dieselbe das Wesen der dargestellten Person schärfer cha- rakterisirt werden konnte. Pausanias nimmt natürlich nur von den hervorstechendsten Fällen Notiz; doch mögen wir daraus weiter folgern, dass Polygnot auch minder grelle Unter- schiede, wie z. B. die Abstufungen zwischen Knaben-, Jüng- 1) X, 31, 1. 2) X, 28, 4. Ein ähnlicher Dämon VI, 6, 4 und in ei- nem tarquiniensischen Gemälde. Mon. ined. dell’ Inst. II, 5. 3) X, 28, 1.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/40>, abgerufen am 28.03.2024.