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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

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Das Treib-Eis.
Wer jemals einen Strom voll Treib-Eis fliessen sehn,
Mit welch gewaltig streng- und dennoch stillem
Drange,
Jn einem ungehemmt- und Wirbel-reichen Gange
Die Flut die Schollen führt; der muß gestehn,
Daß es den Augen Lust, dem Herzen Schrecken
Zugleich vermögend zu erwecken,
Jndem es in der That
Was Majestätisches, was gräßlich-schönes hat.
Den Augen schwindelt recht, wenn sie ein flaches Feld
(Wie es von weitem scheint) geborsten, sich bewegen,
Die Erde nicht mehr ruh'n, den Boden selbst sich regen,
Und Felsen schwimmen sehn. Es reisst die Wasser-Welt,
Jn schroffen, ungeformt- und ungeheuren Stücken,
Selbst Berge mit sich fort. Ein wüstes, kaltes Grau
Deckt Wasser, Land und Strand. Verödet, wild und rauh
Jst alles, was man sieht. Der Sonne Stralen schmücken
Jedennoch manchen Ort,
Da denn bald hier, bald dort,
Zumal an den versteinten Wellen,
Manch schneller Blitz, manch heller Glanz erscheint,
So daß man fast nicht anders meint,
Als wenn an unterschied'nen Stellen,
Selbst in der kalten Flut,
Man eine bunte Gluht,
Gefärbte Flammen funkeln, sähe.
Dieß
D d 5
Das Treib-Eis.
Wer jemals einen Strom voll Treib-Eis flieſſen ſehn,
Mit welch gewaltig ſtreng- und dennoch ſtillem
Drange,
Jn einem ungehemmt- und Wirbel-reichen Gange
Die Flut die Schollen fuͤhrt; der muß geſtehn,
Daß es den Augen Luſt, dem Herzen Schrecken
Zugleich vermoͤgend zu erwecken,
Jndem es in der That
Was Majeſtaͤtiſches, was graͤßlich-ſchoͤnes hat.
Den Augen ſchwindelt recht, wenn ſie ein flaches Feld
(Wie es von weitem ſcheint) geborſten, ſich bewegen,
Die Erde nicht mehr ruh’n, den Boden ſelbſt ſich regen,
Und Felſen ſchwimmen ſehn. Es reiſſt die Waſſer-Welt,
Jn ſchroffen, ungeformt- und ungeheuren Stuͤcken,
Selbſt Berge mit ſich fort. Ein wuͤſtes, kaltes Grau
Deckt Waſſer, Land und Strand. Veroͤdet, wild und rauh
Jſt alles, was man ſieht. Der Sonne Stralen ſchmuͤcken
Jedennoch manchen Ort,
Da denn bald hier, bald dort,
Zumal an den verſteinten Wellen,
Manch ſchneller Blitz, manch heller Glanz erſcheint,
So daß man faſt nicht anders meint,
Als wenn an unterſchied’nen Stellen,
Selbſt in der kalten Flut,
Man eine bunte Gluht,
Gefaͤrbte Flammen funkeln, ſaͤhe.
Dieß
D d 5
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[425/0461] Das Treib-Eis. Wer jemals einen Strom voll Treib-Eis flieſſen ſehn, Mit welch gewaltig ſtreng- und dennoch ſtillem Drange, Jn einem ungehemmt- und Wirbel-reichen Gange Die Flut die Schollen fuͤhrt; der muß geſtehn, Daß es den Augen Luſt, dem Herzen Schrecken Zugleich vermoͤgend zu erwecken, Jndem es in der That Was Majeſtaͤtiſches, was graͤßlich-ſchoͤnes hat. Den Augen ſchwindelt recht, wenn ſie ein flaches Feld (Wie es von weitem ſcheint) geborſten, ſich bewegen, Die Erde nicht mehr ruh’n, den Boden ſelbſt ſich regen, Und Felſen ſchwimmen ſehn. Es reiſſt die Waſſer-Welt, Jn ſchroffen, ungeformt- und ungeheuren Stuͤcken, Selbſt Berge mit ſich fort. Ein wuͤſtes, kaltes Grau Deckt Waſſer, Land und Strand. Veroͤdet, wild und rauh Jſt alles, was man ſieht. Der Sonne Stralen ſchmuͤcken Jedennoch manchen Ort, Da denn bald hier, bald dort, Zumal an den verſteinten Wellen, Manch ſchneller Blitz, manch heller Glanz erſcheint, So daß man faſt nicht anders meint, Als wenn an unterſchied’nen Stellen, Selbſt in der kalten Flut, Man eine bunte Gluht, Gefaͤrbte Flammen funkeln, ſaͤhe. Dieß D d 5

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/461>, abgerufen am 20.04.2024.