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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

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Viel solcher Cronen mit Vergnügen
Auf meinen Fenster-Bänken liegen.
Jch sah mit Lust ihr zierlichs prangen;
Jedoch gab ihre Flüchtigkeit
Zu einer Lehre mir Gelegenheit.
Sie waren ja so schnell, als andere, vergangen.
Mich deucht, es gäb' ihr flüchtigs Wesen
Die grosse Warheit mir zu lesen:

Es ist ein König und ein Bauer
Von einer Dauer.
An einigen hab' ich bald zwölf bald achtzehn Ecken
Sich von dem Mittel-Pünctgen strecken,
Und zierlich in der Ründe stehn,
Mit vielen Freuden oft gesehn.
Verschiedene sind kleinen Rosen gleich;
Sie sind an Aenderung und Unterschied so reich,
Man wird gewiß nicht fehlen,
Wenn man von ihnen sag't, daß sie gar nicht zu zälen.
Bey aller Zierlichkeit fällt mir jedennoch ein:
Wie bald ist aller Schein,
Den man an solchem Schnee nicht sonder Lust ermisst,
Wie bald ist all sein zierlich Prangen,
Zusamt der Nettigkeit der Bildungen, vergangen?
Sprich aber darum nicht, verweg'ner Atheist:
Da, was ich an dem Schnee,
So sauber und so künstlich seh,
Da das, was man daran so nett, so zierlich findet,
Nichts nützet, und so schnell verschwindet;
Wozu denn dient solch künstlich Flocken-Heer?

Zeigt

Viel ſolcher Cronen mit Vergnuͤgen
Auf meinen Fenſter-Baͤnken liegen.
Jch ſah mit Luſt ihr zierlichs prangen;
Jedoch gab ihre Fluͤchtigkeit
Zu einer Lehre mir Gelegenheit.
Sie waren ja ſo ſchnell, als andere, vergangen.
Mich deucht, es gaͤb’ ihr fluͤchtigs Weſen
Die groſſe Warheit mir zu leſen:

Es iſt ein Koͤnig und ein Bauer
Von einer Dauer.
An einigen hab’ ich bald zwoͤlf bald achtzehn Ecken
Sich von dem Mittel-Puͤnctgen ſtrecken,
Und zierlich in der Ruͤnde ſtehn,
Mit vielen Freuden oft geſehn.
Verſchiedene ſind kleinen Roſen gleich;
Sie ſind an Aenderung und Unterſchied ſo reich,
Man wird gewiß nicht fehlen,
Wenn man von ihnen ſag’t, daß ſie gar nicht zu zaͤlen.
Bey aller Zierlichkeit faͤllt mir jedennoch ein:
Wie bald iſt aller Schein,
Den man an ſolchem Schnee nicht ſonder Luſt ermiſſt,
Wie bald iſt all ſein zierlich Prangen,
Zuſamt der Nettigkeit der Bildungen, vergangen?
Sprich aber darum nicht, verweg’ner Atheiſt:
Da, was ich an dem Schnee,
So ſauber und ſo kuͤnſtlich ſeh,
Da das, was man daran ſo nett, ſo zierlich findet,
Nichts nuͤtzet, und ſo ſchnell verſchwindet;
Wozu denn dient ſolch kuͤnſtlich Flocken-Heer?

Zeigt
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[412/0448] Viel ſolcher Cronen mit Vergnuͤgen Auf meinen Fenſter-Baͤnken liegen. Jch ſah mit Luſt ihr zierlichs prangen; Jedoch gab ihre Fluͤchtigkeit Zu einer Lehre mir Gelegenheit. Sie waren ja ſo ſchnell, als andere, vergangen. Mich deucht, es gaͤb’ ihr fluͤchtigs Weſen Die groſſe Warheit mir zu leſen: Es iſt ein Koͤnig und ein Bauer Von einer Dauer. An einigen hab’ ich bald zwoͤlf bald achtzehn Ecken Sich von dem Mittel-Puͤnctgen ſtrecken, Und zierlich in der Ruͤnde ſtehn, Mit vielen Freuden oft geſehn. Verſchiedene ſind kleinen Roſen gleich; Sie ſind an Aenderung und Unterſchied ſo reich, Man wird gewiß nicht fehlen, Wenn man von ihnen ſag’t, daß ſie gar nicht zu zaͤlen. Bey aller Zierlichkeit faͤllt mir jedennoch ein: Wie bald iſt aller Schein, Den man an ſolchem Schnee nicht ſonder Luſt ermiſſt, Wie bald iſt all ſein zierlich Prangen, Zuſamt der Nettigkeit der Bildungen, vergangen? Sprich aber darum nicht, verweg’ner Atheiſt: Da, was ich an dem Schnee, So ſauber und ſo kuͤnſtlich ſeh, Da das, was man daran ſo nett, ſo zierlich findet, Nichts nuͤtzet, und ſo ſchnell verſchwindet; Wozu denn dient ſolch kuͤnſtlich Flocken-Heer? Zeigt

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/448>, abgerufen am 29.03.2024.