Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

Bild:
<< vorherige Seite
Erweget denn, geliebte Menschen, doch,
Wie glücklich wir in diesem Stande noch,
Und wie wir GOtt dafür von Herzen danken müssen,
Daß Er, nach Seinem weisen Rat
Uns das, was noch nicht ist, verborgen hat,
Und wir vom künftigen nichts wissen!
Die Wolthat ist fürwar weit grösser, als man meynet,
Und herrlicher, als sie bey'm ersten Anblick scheinet.
Denn wüsten wir ein künftigs Glück vorher;
So würden wir in steter Unruh seyn:
Ein jeder Augenblick
Würd' uns ein Tag, ein Tag ein Jahr-lang währen.
Hingegen würd' ein künftigs Ungelück
Uns mit stets gegenwärt'ger Pein,
Durch eine schwarze Furcht, beschweren.
Von meines Kindes Fall war dieß die erste Lehre.
Die and're folget itzt: So wie das Kind die Schmerzen
Durch einen Vorwurf, der ihm lieb,
Aus seinem Hirn und Herzen,
Und folglich würklich von sich, trieb;
So mögten wir uns wol mit aller Kraft
Und allem Ernst dahin bemühen,
Uns durch die eine Leidenschaft
Der andern zu entziehen!
Ein jeder Zustand wird gebessert,
Und folglich bald erträglich seyn,
Wofern man sich nur den Verdruß, die Pein,
Nicht durch Gedanken selbst, vergrössert.
Ach daß wir uns doch ändern mögten,
Und wann es etwa widrig geht,
Mit Ernst auf etwas anders dächten,
Weil in Gedanken meist so Glück als Leid besteht!


Die
Erweget denn, geliebte Menſchen, doch,
Wie gluͤcklich wir in dieſem Stande noch,
Und wie wir GOtt dafuͤr von Herzen danken muͤſſen,
Daß Er, nach Seinem weiſen Rat
Uns das, was noch nicht iſt, verborgen hat,
Und wir vom kuͤnftigen nichts wiſſen!
Die Wolthat iſt fuͤrwar weit groͤſſer, als man meynet,
Und herrlicher, als ſie bey’m erſten Anblick ſcheinet.
Denn wuͤſten wir ein kuͤnftigs Gluͤck vorher;
So wuͤrden wir in ſteter Unruh ſeyn:
Ein jeder Augenblick
Wuͤrd’ uns ein Tag, ein Tag ein Jahr-lang waͤhren.
Hingegen wuͤrd’ ein kuͤnftigs Ungeluͤck
Uns mit ſtets gegenwaͤrt’ger Pein,
Durch eine ſchwarze Furcht, beſchweren.
Von meines Kindes Fall war dieß die erſte Lehre.
Die and’re folget itzt: So wie das Kind die Schmerzen
Durch einen Vorwurf, der ihm lieb,
Aus ſeinem Hirn und Herzen,
Und folglich wuͤrklich von ſich, trieb;
So moͤgten wir uns wol mit aller Kraft
Und allem Ernſt dahin bemuͤhen,
Uns durch die eine Leidenſchaft
Der andern zu entziehen!
Ein jeder Zuſtand wird gebeſſert,
Und folglich bald ertraͤglich ſeyn,
Wofern man ſich nur den Verdruß, die Pein,
Nicht durch Gedanken ſelbſt, vergroͤſſert.
Ach daß wir uns doch aͤndern moͤgten,
Und wann es etwa widrig geht,
Mit Ernſt auf etwas anders daͤchten,
Weil in Gedanken meiſt ſo Gluͤck als Leid beſteht!


Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0226" n="190"/>
          <lg n="2">
            <l>Erweget denn, geliebte Men&#x017F;chen, doch,</l><lb/>
            <l>Wie glu&#x0364;cklich wir in die&#x017F;em Stande noch,</l><lb/>
            <l>Und wie wir GOtt dafu&#x0364;r von Herzen danken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Daß Er, nach Seinem wei&#x017F;en Rat</l><lb/>
            <l>Uns das, was noch nicht i&#x017F;t, verborgen hat,</l><lb/>
            <l>Und wir vom ku&#x0364;nftigen nichts wi&#x017F;&#x017F;en!</l><lb/>
            <l>Die Wolthat i&#x017F;t fu&#x0364;rwar weit gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, als man meynet,</l><lb/>
            <l>Und herrlicher, als &#x017F;ie bey&#x2019;m er&#x017F;ten Anblick &#x017F;cheinet.</l><lb/>
            <l>Denn wu&#x0364;&#x017F;ten wir ein ku&#x0364;nftigs Glu&#x0364;ck vorher;</l><lb/>
            <l>So wu&#x0364;rden wir in &#x017F;teter Unruh &#x017F;eyn:</l><lb/>
            <l>Ein jeder Augenblick</l><lb/>
            <l>Wu&#x0364;rd&#x2019; uns ein Tag, ein Tag ein Jahr-lang wa&#x0364;hren.</l><lb/>
            <l>Hingegen wu&#x0364;rd&#x2019; ein ku&#x0364;nftigs Ungelu&#x0364;ck</l><lb/>
            <l>Uns mit &#x017F;tets gegenwa&#x0364;rt&#x2019;ger Pein,</l><lb/>
            <l>Durch eine &#x017F;chwarze Furcht, be&#x017F;chweren.</l><lb/>
            <l>Von meines Kindes Fall war dieß die er&#x017F;te Lehre.</l><lb/>
            <l>Die and&#x2019;re folget itzt: So wie das Kind die Schmerzen</l><lb/>
            <l>Durch einen Vorwurf, der ihm lieb,</l><lb/>
            <l>Aus &#x017F;einem Hirn und Herzen,</l><lb/>
            <l>Und folglich wu&#x0364;rklich von &#x017F;ich, trieb;</l><lb/>
            <l>So mo&#x0364;gten wir uns wol mit aller Kraft</l><lb/>
            <l>Und allem Ern&#x017F;t dahin bemu&#x0364;hen,</l><lb/>
            <l>Uns durch die eine Leiden&#x017F;chaft</l><lb/>
            <l>Der andern zu entziehen!</l><lb/>
            <l>Ein jeder Zu&#x017F;tand wird gebe&#x017F;&#x017F;ert,</l><lb/>
            <l>Und folglich bald ertra&#x0364;glich &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Wofern man &#x017F;ich nur den Verdruß, die Pein,</l><lb/>
            <l>Nicht durch Gedanken &#x017F;elb&#x017F;t, vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ert.</l><lb/>
            <l>Ach daß wir uns doch a&#x0364;ndern mo&#x0364;gten,</l><lb/>
            <l>Und wann es etwa widrig geht,</l><lb/>
            <l>Mit Ern&#x017F;t auf etwas anders da&#x0364;chten,</l><lb/>
            <l>Weil in Gedanken mei&#x017F;t &#x017F;o Glu&#x0364;ck als Leid be&#x017F;teht!</l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Die</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0226] Erweget denn, geliebte Menſchen, doch, Wie gluͤcklich wir in dieſem Stande noch, Und wie wir GOtt dafuͤr von Herzen danken muͤſſen, Daß Er, nach Seinem weiſen Rat Uns das, was noch nicht iſt, verborgen hat, Und wir vom kuͤnftigen nichts wiſſen! Die Wolthat iſt fuͤrwar weit groͤſſer, als man meynet, Und herrlicher, als ſie bey’m erſten Anblick ſcheinet. Denn wuͤſten wir ein kuͤnftigs Gluͤck vorher; So wuͤrden wir in ſteter Unruh ſeyn: Ein jeder Augenblick Wuͤrd’ uns ein Tag, ein Tag ein Jahr-lang waͤhren. Hingegen wuͤrd’ ein kuͤnftigs Ungeluͤck Uns mit ſtets gegenwaͤrt’ger Pein, Durch eine ſchwarze Furcht, beſchweren. Von meines Kindes Fall war dieß die erſte Lehre. Die and’re folget itzt: So wie das Kind die Schmerzen Durch einen Vorwurf, der ihm lieb, Aus ſeinem Hirn und Herzen, Und folglich wuͤrklich von ſich, trieb; So moͤgten wir uns wol mit aller Kraft Und allem Ernſt dahin bemuͤhen, Uns durch die eine Leidenſchaft Der andern zu entziehen! Ein jeder Zuſtand wird gebeſſert, Und folglich bald ertraͤglich ſeyn, Wofern man ſich nur den Verdruß, die Pein, Nicht durch Gedanken ſelbſt, vergroͤſſert. Ach daß wir uns doch aͤndern moͤgten, Und wann es etwa widrig geht, Mit Ernſt auf etwas anders daͤchten, Weil in Gedanken meiſt ſo Gluͤck als Leid beſteht! Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/226
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/226>, abgerufen am 28.03.2024.