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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Der Kasper lief zu seinem Vater mit einer entsetzlichen Angst. Er stieg hinten über den Gartenzaun, er hörte die Pumpe gehen, er hörte im Stalle wiehern, das fuhr ihm durch die Seele; er stand still. Er sah im Mondscheine, daß zwei Männer sich wuschen, es wollte ihm das Herz brechen. Der Eine sprach: Das verfluchte Zeug geht nicht herunter; da sagte der Andere: Komm erst in den Stall, dem Gaul den Schwanz abzuschlagen und die Mähnen zu verschneiden. Hast du das Felleisen auch tief genug unter'm Mist begraben? -- Ja, sagte der Andere. Da gingen sie nach dem Stall, und Kasper, vor Jammer wie ein Rasender, sprang hervor und schloß die Stallthür hinter ihnen und schrie: Im Namen des Herzogs! Ergebt euch; wer sich widersetzt, den schieße ich nieder! -- Ach, da hatte er seinen Vater und seinen Stiefbruder als die Räuber seines Pferdes gefangen. Meine Ehre, meine Ehre ist verloren! schrie er, ich bin der Sohn eines ehrlosen Diebes. Als die Beiden im Stalle diese Worte hörten, ist ihnen bös zu Muthe geworden; sie schrieen: Kasper, lieber Kasper, um Gotteswillen, bringe uns nicht ins Elend. Kasper, du sollst ja Alles wieder haben, um deiner seligen Mutter willen, deren Sterbetag heute ist, erbarme dich deines Vaters und Bruders. Kasper aber war wie verzweifelt, er schrie nur immer: Meine Ehre, meine Pflicht! Und da sie nun mit Gewalt die Thüre erbrechen wollten und ein Fach in der Lehmwand einstießen, um zu entkommen, schoß er ein Pistol in die

Der Kasper lief zu seinem Vater mit einer entsetzlichen Angst. Er stieg hinten über den Gartenzaun, er hörte die Pumpe gehen, er hörte im Stalle wiehern, das fuhr ihm durch die Seele; er stand still. Er sah im Mondscheine, daß zwei Männer sich wuschen, es wollte ihm das Herz brechen. Der Eine sprach: Das verfluchte Zeug geht nicht herunter; da sagte der Andere: Komm erst in den Stall, dem Gaul den Schwanz abzuschlagen und die Mähnen zu verschneiden. Hast du das Felleisen auch tief genug unter'm Mist begraben? — Ja, sagte der Andere. Da gingen sie nach dem Stall, und Kasper, vor Jammer wie ein Rasender, sprang hervor und schloß die Stallthür hinter ihnen und schrie: Im Namen des Herzogs! Ergebt euch; wer sich widersetzt, den schieße ich nieder! — Ach, da hatte er seinen Vater und seinen Stiefbruder als die Räuber seines Pferdes gefangen. Meine Ehre, meine Ehre ist verloren! schrie er, ich bin der Sohn eines ehrlosen Diebes. Als die Beiden im Stalle diese Worte hörten, ist ihnen bös zu Muthe geworden; sie schrieen: Kasper, lieber Kasper, um Gotteswillen, bringe uns nicht ins Elend. Kasper, du sollst ja Alles wieder haben, um deiner seligen Mutter willen, deren Sterbetag heute ist, erbarme dich deines Vaters und Bruders. Kasper aber war wie verzweifelt, er schrie nur immer: Meine Ehre, meine Pflicht! Und da sie nun mit Gewalt die Thüre erbrechen wollten und ein Fach in der Lehmwand einstießen, um zu entkommen, schoß er ein Pistol in die

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[0033] Der Kasper lief zu seinem Vater mit einer entsetzlichen Angst. Er stieg hinten über den Gartenzaun, er hörte die Pumpe gehen, er hörte im Stalle wiehern, das fuhr ihm durch die Seele; er stand still. Er sah im Mondscheine, daß zwei Männer sich wuschen, es wollte ihm das Herz brechen. Der Eine sprach: Das verfluchte Zeug geht nicht herunter; da sagte der Andere: Komm erst in den Stall, dem Gaul den Schwanz abzuschlagen und die Mähnen zu verschneiden. Hast du das Felleisen auch tief genug unter'm Mist begraben? — Ja, sagte der Andere. Da gingen sie nach dem Stall, und Kasper, vor Jammer wie ein Rasender, sprang hervor und schloß die Stallthür hinter ihnen und schrie: Im Namen des Herzogs! Ergebt euch; wer sich widersetzt, den schieße ich nieder! — Ach, da hatte er seinen Vater und seinen Stiefbruder als die Räuber seines Pferdes gefangen. Meine Ehre, meine Ehre ist verloren! schrie er, ich bin der Sohn eines ehrlosen Diebes. Als die Beiden im Stalle diese Worte hörten, ist ihnen bös zu Muthe geworden; sie schrieen: Kasper, lieber Kasper, um Gotteswillen, bringe uns nicht ins Elend. Kasper, du sollst ja Alles wieder haben, um deiner seligen Mutter willen, deren Sterbetag heute ist, erbarme dich deines Vaters und Bruders. Kasper aber war wie verzweifelt, er schrie nur immer: Meine Ehre, meine Pflicht! Und da sie nun mit Gewalt die Thüre erbrechen wollten und ein Fach in der Lehmwand einstießen, um zu entkommen, schoß er ein Pistol in die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:27:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:27:19Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/33>, abgerufen am 20.04.2024.