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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schrift machen, wenn Ihr mir nicht sagt, was ich hineinschreiben soll?

Das muß ich Ihm sagen? erwiderte sie, dann ist es freilich keine Kunst, und wundre ich mich nicht mehr, daß Er sich einen Schreiber zu nennen schämte, wenn man Ihm Alles sagen soll. Nun, ich will mein Mögliches thun. Setz' Er in die Bittschrift, daß zwei Liebende bei einander ruhen sollen, und daß sie Einen nicht auf die Anatomie bringen sollen, damit man seine Glieder beisammen hat, wenn es heißt: Ihr Todten, ihr Todten sollt auferstehn, ihr sollt vor das jüngste Gerichte gehn. Da fing sie wieder bitterlich an zu weinen.

Ich ahnte, ein schweres Leid müsse auf ihr lasten, aber sie fühle bei der Bürde ihrer Jahre nur in einzelnen Momenten sich schmerzlich gerührt. Sie weinte, ohne zu klagen, ihre Worte waren immer gleich ruhig und kalt. Ich bat sie nochmals, mir die ganze Veranlassung zu ihrer Reise in die Stadt zu erzählen, und sie sprach:

Mein Enkel, der Uhlane, von dem ich Ihm erzählte, hatte doch mein Pathchen sehr lieb, wie ich Ihm vorher sagte, und sprach der schönen Annerl, wie die Leute sie ihres glatten Spiegels wegen nannten, immer von der Ehre vor, und sagte ihr immer: sie solle auf ihre Ehre halten und auch auf seine Ehre. Da kriegte dann das Mädchen etwas ganz Apartes in ihr Gesicht und ihre Kleidung von der Ehre. Sie war feiner und manierlicher, als alle andere Dirnen. Alles saß ihr knapper

schrift machen, wenn Ihr mir nicht sagt, was ich hineinschreiben soll?

Das muß ich Ihm sagen? erwiderte sie, dann ist es freilich keine Kunst, und wundre ich mich nicht mehr, daß Er sich einen Schreiber zu nennen schämte, wenn man Ihm Alles sagen soll. Nun, ich will mein Mögliches thun. Setz' Er in die Bittschrift, daß zwei Liebende bei einander ruhen sollen, und daß sie Einen nicht auf die Anatomie bringen sollen, damit man seine Glieder beisammen hat, wenn es heißt: Ihr Todten, ihr Todten sollt auferstehn, ihr sollt vor das jüngste Gerichte gehn. Da fing sie wieder bitterlich an zu weinen.

Ich ahnte, ein schweres Leid müsse auf ihr lasten, aber sie fühle bei der Bürde ihrer Jahre nur in einzelnen Momenten sich schmerzlich gerührt. Sie weinte, ohne zu klagen, ihre Worte waren immer gleich ruhig und kalt. Ich bat sie nochmals, mir die ganze Veranlassung zu ihrer Reise in die Stadt zu erzählen, und sie sprach:

Mein Enkel, der Uhlane, von dem ich Ihm erzählte, hatte doch mein Pathchen sehr lieb, wie ich Ihm vorher sagte, und sprach der schönen Annerl, wie die Leute sie ihres glatten Spiegels wegen nannten, immer von der Ehre vor, und sagte ihr immer: sie solle auf ihre Ehre halten und auch auf seine Ehre. Da kriegte dann das Mädchen etwas ganz Apartes in ihr Gesicht und ihre Kleidung von der Ehre. Sie war feiner und manierlicher, als alle andere Dirnen. Alles saß ihr knapper

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[0024] schrift machen, wenn Ihr mir nicht sagt, was ich hineinschreiben soll? Das muß ich Ihm sagen? erwiderte sie, dann ist es freilich keine Kunst, und wundre ich mich nicht mehr, daß Er sich einen Schreiber zu nennen schämte, wenn man Ihm Alles sagen soll. Nun, ich will mein Mögliches thun. Setz' Er in die Bittschrift, daß zwei Liebende bei einander ruhen sollen, und daß sie Einen nicht auf die Anatomie bringen sollen, damit man seine Glieder beisammen hat, wenn es heißt: Ihr Todten, ihr Todten sollt auferstehn, ihr sollt vor das jüngste Gerichte gehn. Da fing sie wieder bitterlich an zu weinen. Ich ahnte, ein schweres Leid müsse auf ihr lasten, aber sie fühle bei der Bürde ihrer Jahre nur in einzelnen Momenten sich schmerzlich gerührt. Sie weinte, ohne zu klagen, ihre Worte waren immer gleich ruhig und kalt. Ich bat sie nochmals, mir die ganze Veranlassung zu ihrer Reise in die Stadt zu erzählen, und sie sprach: Mein Enkel, der Uhlane, von dem ich Ihm erzählte, hatte doch mein Pathchen sehr lieb, wie ich Ihm vorher sagte, und sprach der schönen Annerl, wie die Leute sie ihres glatten Spiegels wegen nannten, immer von der Ehre vor, und sagte ihr immer: sie solle auf ihre Ehre halten und auch auf seine Ehre. Da kriegte dann das Mädchen etwas ganz Apartes in ihr Gesicht und ihre Kleidung von der Ehre. Sie war feiner und manierlicher, als alle andere Dirnen. Alles saß ihr knapper

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:27:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:27:19Z)

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/24>, abgerufen am 24.04.2024.