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Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909.

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in den Bureaus der Rechtsanwälte, im Haushalt, in der Heimarbeit,
in freien Berufen und als Beamtinnen ihren Lebensunterhalt erwerben.
Und allen denen gilt die Schrift, die selbst wohlhabend sind und in
Wohltätigkeitsvereinen, in sozialen Bestrebungen helfen möchten, das
Elend der Armen zu verringern, und die nicht sehen, daß sie die
Gesetzesvorschriften nicht ändern können, die sich wie ein Wall doch
einmal vor ihr auftürmen, wenn sie wirklich großzügige Arbeit
leisten möchten. Sie bleiben auf die kleinen Mittelchen angewiesen
in Armenpflege, Jugendfürsorge und wie die sozialen Bestrebungen
alle heißen mögen. Wollen sie größeres erreichen, so müssen sie
fortgesetzt petitionieren, bei Stadtverordneten oder Parlamentariern
ihren persönlichen Einfluß geltend zu machen versuchen - und
trotz aller Mühe erreichen sie nur wenig. Tritt die Frau erst
als Wähler auf, so ist ihren Wünschen gleich ein ganz anderer
Nachdruck gegeben. Wenn es sich darum handelt, die Stimmen
der Wählerinnen zu erhalten, so werden auch die Arbeiten, die sie
verlangen rascher gefördert werden. Alle Frauen haben aber ein
Jnteresse an höheren Arbeitslöhnen für die Frau, an einer kürzeren
Arbeitszeit für beide Geschlechter, an einer gesunden Wohnungspolitik
in der Stadt, an guten Schulen, Volksschulen wie höheren und Fort-
bildungsschulen. Die Frau wird einsehen und sie muß einsehen lernen,
welches die Gründe für unsere verteuerte Lebenshaltung sind, daß
wir unsere Handels- und Wirtschaftspolitik einer gründlichen Revision
unterziehen müssen. Sie wird sich verwundert fragen, weshalb das
deutsche Reich die Möglichkeit die Heeres- und Marinerüstungen ein-
zuschränken, die ihm geboten wurde, nicht freudig ergreift. Sie
wird mit allem Nachdruck verlangen, daß die Streitigkeiten zwischen
den verschiedenen Ländern nach Möglichkeit durch internationale
Schiedsgerichte geschlichtet werden, und damit werden die frieden-
erhaltenden Elemente des Volkes gewaltig gestärkt. Wie vermag die
Frau, die Mutter auf den Mann und den Sohn in diesem Sinne
einzuwirken, wenn sie sich erst bewußt wird, welche Kulturarbeit sie
dadurch leistet! Durch die Verminderung der Militärlasten werden
aber auch gleichzeitig die Mittel zu einer gesunden Sozialpolitik frei
und zu einer wirklich großzügigen Fürsorge für Schwache und Arme.

Arbeiten genug warten auf die Frau! Eine große Anzahl von
Frauen ist auch schon jetzt bereit zur Arbeit, und ihre Zahl wird
riesig anwachsen, wenn erst die Möglichkeit zur Mitarbeit gegeben ist.
Jn der ganzen Welt sind sich die Frauen der Pflichten, die sie zu er-
füllen und der Rechte die sie zu verlangen haben, bewußt geworden. Auch in
Deutschland beginnt die Frau zu erwachen. Aber so wie bereits eine

in den Bureaus der Rechtsanwälte, im Haushalt, in der Heimarbeit,
in freien Berufen und als Beamtinnen ihren Lebensunterhalt erwerben.
Und allen denen gilt die Schrift, die selbst wohlhabend sind und in
Wohltätigkeitsvereinen, in sozialen Bestrebungen helfen möchten, das
Elend der Armen zu verringern, und die nicht sehen, daß sie die
Gesetzesvorschriften nicht ändern können, die sich wie ein Wall doch
einmal vor ihr auftürmen, wenn sie wirklich großzügige Arbeit
leisten möchten. Sie bleiben auf die kleinen Mittelchen angewiesen
in Armenpflege, Jugendfürsorge und wie die sozialen Bestrebungen
alle heißen mögen. Wollen sie größeres erreichen, so müssen sie
fortgesetzt petitionieren, bei Stadtverordneten oder Parlamentariern
ihren persönlichen Einfluß geltend zu machen versuchen – und
trotz aller Mühe erreichen sie nur wenig. Tritt die Frau erst
als Wähler auf, so ist ihren Wünschen gleich ein ganz anderer
Nachdruck gegeben. Wenn es sich darum handelt, die Stimmen
der Wählerinnen zu erhalten, so werden auch die Arbeiten, die sie
verlangen rascher gefördert werden. Alle Frauen haben aber ein
Jnteresse an höheren Arbeitslöhnen für die Frau, an einer kürzeren
Arbeitszeit für beide Geschlechter, an einer gesunden Wohnungspolitik
in der Stadt, an guten Schulen, Volksschulen wie höheren und Fort-
bildungsschulen. Die Frau wird einsehen und sie muß einsehen lernen,
welches die Gründe für unsere verteuerte Lebenshaltung sind, daß
wir unsere Handels- und Wirtschaftspolitik einer gründlichen Revision
unterziehen müssen. Sie wird sich verwundert fragen, weshalb das
deutsche Reich die Möglichkeit die Heeres- und Marinerüstungen ein-
zuschränken, die ihm geboten wurde, nicht freudig ergreift. Sie
wird mit allem Nachdruck verlangen, daß die Streitigkeiten zwischen
den verschiedenen Ländern nach Möglichkeit durch internationale
Schiedsgerichte geschlichtet werden, und damit werden die frieden-
erhaltenden Elemente des Volkes gewaltig gestärkt. Wie vermag die
Frau, die Mutter auf den Mann und den Sohn in diesem Sinne
einzuwirken, wenn sie sich erst bewußt wird, welche Kulturarbeit sie
dadurch leistet! Durch die Verminderung der Militärlasten werden
aber auch gleichzeitig die Mittel zu einer gesunden Sozialpolitik frei
und zu einer wirklich großzügigen Fürsorge für Schwache und Arme.

Arbeiten genug warten auf die Frau! Eine große Anzahl von
Frauen ist auch schon jetzt bereit zur Arbeit, und ihre Zahl wird
riesig anwachsen, wenn erst die Möglichkeit zur Mitarbeit gegeben ist.
Jn der ganzen Welt sind sich die Frauen der Pflichten, die sie zu er-
füllen und der Rechte die sie zu verlangen haben, bewußt geworden. Auch in
Deutschland beginnt die Frau zu erwachen. Aber so wie bereits eine

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[13/0015] in den Bureaus der Rechtsanwälte, im Haushalt, in der Heimarbeit, in freien Berufen und als Beamtinnen ihren Lebensunterhalt erwerben. Und allen denen gilt die Schrift, die selbst wohlhabend sind und in Wohltätigkeitsvereinen, in sozialen Bestrebungen helfen möchten, das Elend der Armen zu verringern, und die nicht sehen, daß sie die Gesetzesvorschriften nicht ändern können, die sich wie ein Wall doch einmal vor ihr auftürmen, wenn sie wirklich großzügige Arbeit leisten möchten. Sie bleiben auf die kleinen Mittelchen angewiesen in Armenpflege, Jugendfürsorge und wie die sozialen Bestrebungen alle heißen mögen. Wollen sie größeres erreichen, so müssen sie fortgesetzt petitionieren, bei Stadtverordneten oder Parlamentariern ihren persönlichen Einfluß geltend zu machen versuchen – und trotz aller Mühe erreichen sie nur wenig. Tritt die Frau erst als Wähler auf, so ist ihren Wünschen gleich ein ganz anderer Nachdruck gegeben. Wenn es sich darum handelt, die Stimmen der Wählerinnen zu erhalten, so werden auch die Arbeiten, die sie verlangen rascher gefördert werden. Alle Frauen haben aber ein Jnteresse an höheren Arbeitslöhnen für die Frau, an einer kürzeren Arbeitszeit für beide Geschlechter, an einer gesunden Wohnungspolitik in der Stadt, an guten Schulen, Volksschulen wie höheren und Fort- bildungsschulen. Die Frau wird einsehen und sie muß einsehen lernen, welches die Gründe für unsere verteuerte Lebenshaltung sind, daß wir unsere Handels- und Wirtschaftspolitik einer gründlichen Revision unterziehen müssen. Sie wird sich verwundert fragen, weshalb das deutsche Reich die Möglichkeit die Heeres- und Marinerüstungen ein- zuschränken, die ihm geboten wurde, nicht freudig ergreift. Sie wird mit allem Nachdruck verlangen, daß die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Ländern nach Möglichkeit durch internationale Schiedsgerichte geschlichtet werden, und damit werden die frieden- erhaltenden Elemente des Volkes gewaltig gestärkt. Wie vermag die Frau, die Mutter auf den Mann und den Sohn in diesem Sinne einzuwirken, wenn sie sich erst bewußt wird, welche Kulturarbeit sie dadurch leistet! Durch die Verminderung der Militärlasten werden aber auch gleichzeitig die Mittel zu einer gesunden Sozialpolitik frei und zu einer wirklich großzügigen Fürsorge für Schwache und Arme. Arbeiten genug warten auf die Frau! Eine große Anzahl von Frauen ist auch schon jetzt bereit zur Arbeit, und ihre Zahl wird riesig anwachsen, wenn erst die Möglichkeit zur Mitarbeit gegeben ist. Jn der ganzen Welt sind sich die Frauen der Pflichten, die sie zu er- füllen und der Rechte die sie zu verlangen haben, bewußt geworden. Auch in Deutschland beginnt die Frau zu erwachen. Aber so wie bereits eine

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-19T09:11:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-10-19T09:11:18Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/breitscheid_notwendigkeit_1909/15>, abgerufen am 28.03.2024.