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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Allgemeines.
und unser Naturforscher muß, wie der Jäger auf dem Anstande, jede Bewegung, jedes Geräusch ver-
meiden. Da sieht er endlich hier, dort ein Köpfchen aus dem klaren Wasserspiegel hervortauchen;
lebhaft glänzen die beiden klugen, schwarzen Aeuglein, und langsam rudert das Thier, fast ohne das
Wasser zu kräuseln, ans Land heran und eben auf die Stelle zu, wo sein eifriger Beobachter sitzt;
denn alle seelisch niedrig stehenden Thiere erkennen die Gegenwart eines Menschen oder eines anderen
belebten Wesens nur an dessen Bewegungen. Eine Schildkröte würde im Freien vom Wasser aus
ebenso leicht auf die dargebotene Hand steigen, als auf den Stein oder die Erde daneben, voraus-
gesetzt, daß man sich vollkommen ruhig hält. Soll der Forscher zugreifen? Gewiß; denn ein etwaiger
Biß kann nicht viel schaden. Freudig hält er das zappelnde Thierchen in seiner Hand, eilt auch bald
mit seiner Beute nach Haus und zeigt dem ersten amerikanischen Freunde, dem er begegnet, seinen
glücklichen Fund. Wenn Dich Dies befriedigen kann, sagt der Yankee lächelnd, so kannst Du
tausende haben."

Jn der That, Amerika ist das Land der Schildkröten; es erzeugt ihrer, soviel uns bis jetzt
bekannt, mehr als alle übrigen Erdtheile zusammengenommen. Aber auch Asien ist reich an ihnen
und Afrika wenigstens nicht arm. Da, wo es in warmen Ländern Wasser gibt, fehlen sie nicht.

Alle Sumpfschildkröten leben nur in feuchteren Gegenden, die meisten im Wasser der langsam
fließenden Flüsse, Teiche und Seen. Jhre Bewegung auf dem Lande ist unbeholfen und langsam,
obschon bedeutend schneller als die der eigentlichen Landschildkröten, ihr Schwimmen im Wasser
dagegen ungemein rasch und auffallend gewandt. Man sieht sie ruhig auf der Oberfläche des Wassers
liegen und umherschwimmen, beim geringsten, verdächtig erscheinenden Geräusche aber blitzschnell in
die Tiefe tauchen, um in demselben Augenblicke sich im Schlamme oder unter Wurzeln zu verbergen.
"Sie scheinen es", sagt C. Müller", eingelernt zu haben, sich unsichtbar zu machen. Manchmal fand
ich die Ufer von Bächen oder Teichen, wie auch die geringste Hervorragung in denselben sozusagen
mit den gemeineren amerikanischen Schildkröten bedeckt, und sie schienen sich sorglos zu sonnen; sobald
man sich aber so nah geschlichen hatte, um danach zu greifen, verschwanden sie lautlos, und nur bei
ganz klarem Wasser mit lichtem schlammigen Grunde konnte man sie dann noch erhaschen; denn in
der Regel gruben sie sich im Augenblicke ein, und thaten Dies, Dank der Kraft und Geschicklichkeit ihrer
Beine, mit großer Leichtigkeit." Bei ihrer Jagd entfalten sie eine Schwimmfähigkeit, welche wirklich
in Erstaunen setzt. Sie nähren sich hauptsächlich von thierischen Stoffen und zwar von kleineren
Säugethieren, Vögeln, Kriechthieren, Lurchen, Fischen und wirbellosen Thieren, nehmen wahrscheinlich
auch, so lange sie diese Nahrung nicht haben, Pflanzenstoffe nicht an, ziehen wenigstens in der
Gefangenschaft Fleisch im weitesten Sinne den Kartoffeln oder Brot, welches sie allerdings nicht
gänzlich verschmähen, entschieden vor. Mehrere Arten sind wahrhaft gefährliche Raubthiere, welche
sich nicht blos auf kleinere Beute beschränken, sondern selbst an Vögel von der Größe einer Hausente
wagen und, gereizt, ohne Bedenken sogar den Menschen angreifen.

Mit ihrer Beweglichkeit und Raubsucht steht, wie leicht erklärlich, ihr geistiges Wesen im Ein-
klange. Jhre Sinnesfähigkeiten scheinen weit schärfer entwickelt zu sein, als es bei den Landschild-
kröten der Fall, ihr Verstand den der letztgenannten in jeder Hinsicht zu übertreffen. Sie merken es
sehr wohl, wenn sie beunruhigt werden, und einzelne offenbaren eine List und Vorsicht, welche man
ihnen gewiß nicht zutrauen möchte, wählen sich die am günstigsten gelegenen Schlupfwinkel und
beachten klüglich gesammelte Erfahrungen. Jn der Gefangenschaft werden sie eher zahm als alle
übrigen Schildkröten und lernen ihren Pfleger wirklich, wenn auch nur bis zu einem gewissen
Grade kennen: sie gewöhnen sich an den Umgang mit dem Menschen, ohne jedoch den einzelnen zu
unterscheiden.

Bei herannahendem Winter graben sie sich ziemlich tief in den Boden ein und verbringen hier
die ungünstige Jahreszeit in einem todähnlichen Zustande. Dasselbe thun sie in den Gleicherländern
da, wo die Dürre ihnen ihre Wohngewässer zeitweilig austrocknet, während der trockenen, winterlichen
Jahreszeit. Müller sagt, daß sie an einzelnen Flüssen Nordamerikas die Ufer förmlich unterhöhlen,

Allgemeines.
und unſer Naturforſcher muß, wie der Jäger auf dem Anſtande, jede Bewegung, jedes Geräuſch ver-
meiden. Da ſieht er endlich hier, dort ein Köpfchen aus dem klaren Waſſerſpiegel hervortauchen;
lebhaft glänzen die beiden klugen, ſchwarzen Aeuglein, und langſam rudert das Thier, faſt ohne das
Waſſer zu kräuſeln, ans Land heran und eben auf die Stelle zu, wo ſein eifriger Beobachter ſitzt;
denn alle ſeeliſch niedrig ſtehenden Thiere erkennen die Gegenwart eines Menſchen oder eines anderen
belebten Weſens nur an deſſen Bewegungen. Eine Schildkröte würde im Freien vom Waſſer aus
ebenſo leicht auf die dargebotene Hand ſteigen, als auf den Stein oder die Erde daneben, voraus-
geſetzt, daß man ſich vollkommen ruhig hält. Soll der Forſcher zugreifen? Gewiß; denn ein etwaiger
Biß kann nicht viel ſchaden. Freudig hält er das zappelnde Thierchen in ſeiner Hand, eilt auch bald
mit ſeiner Beute nach Haus und zeigt dem erſten amerikaniſchen Freunde, dem er begegnet, ſeinen
glücklichen Fund. Wenn Dich Dies befriedigen kann, ſagt der Yankee lächelnd, ſo kannſt Du
tauſende haben.“

Jn der That, Amerika iſt das Land der Schildkröten; es erzeugt ihrer, ſoviel uns bis jetzt
bekannt, mehr als alle übrigen Erdtheile zuſammengenommen. Aber auch Aſien iſt reich an ihnen
und Afrika wenigſtens nicht arm. Da, wo es in warmen Ländern Waſſer gibt, fehlen ſie nicht.

Alle Sumpfſchildkröten leben nur in feuchteren Gegenden, die meiſten im Waſſer der langſam
fließenden Flüſſe, Teiche und Seen. Jhre Bewegung auf dem Lande iſt unbeholfen und langſam,
obſchon bedeutend ſchneller als die der eigentlichen Landſchildkröten, ihr Schwimmen im Waſſer
dagegen ungemein raſch und auffallend gewandt. Man ſieht ſie ruhig auf der Oberfläche des Waſſers
liegen und umherſchwimmen, beim geringſten, verdächtig erſcheinenden Geräuſche aber blitzſchnell in
die Tiefe tauchen, um in demſelben Augenblicke ſich im Schlamme oder unter Wurzeln zu verbergen.
„Sie ſcheinen es“, ſagt C. Müller“, eingelernt zu haben, ſich unſichtbar zu machen. Manchmal fand
ich die Ufer von Bächen oder Teichen, wie auch die geringſte Hervorragung in denſelben ſozuſagen
mit den gemeineren amerikaniſchen Schildkröten bedeckt, und ſie ſchienen ſich ſorglos zu ſonnen; ſobald
man ſich aber ſo nah geſchlichen hatte, um danach zu greifen, verſchwanden ſie lautlos, und nur bei
ganz klarem Waſſer mit lichtem ſchlammigen Grunde konnte man ſie dann noch erhaſchen; denn in
der Regel gruben ſie ſich im Augenblicke ein, und thaten Dies, Dank der Kraft und Geſchicklichkeit ihrer
Beine, mit großer Leichtigkeit.“ Bei ihrer Jagd entfalten ſie eine Schwimmfähigkeit, welche wirklich
in Erſtaunen ſetzt. Sie nähren ſich hauptſächlich von thieriſchen Stoffen und zwar von kleineren
Säugethieren, Vögeln, Kriechthieren, Lurchen, Fiſchen und wirbelloſen Thieren, nehmen wahrſcheinlich
auch, ſo lange ſie dieſe Nahrung nicht haben, Pflanzenſtoffe nicht an, ziehen wenigſtens in der
Gefangenſchaft Fleiſch im weiteſten Sinne den Kartoffeln oder Brot, welches ſie allerdings nicht
gänzlich verſchmähen, entſchieden vor. Mehrere Arten ſind wahrhaft gefährliche Raubthiere, welche
ſich nicht blos auf kleinere Beute beſchränken, ſondern ſelbſt an Vögel von der Größe einer Hausente
wagen und, gereizt, ohne Bedenken ſogar den Menſchen angreifen.

Mit ihrer Beweglichkeit und Raubſucht ſteht, wie leicht erklärlich, ihr geiſtiges Weſen im Ein-
klange. Jhre Sinnesfähigkeiten ſcheinen weit ſchärfer entwickelt zu ſein, als es bei den Landſchild-
kröten der Fall, ihr Verſtand den der letztgenannten in jeder Hinſicht zu übertreffen. Sie merken es
ſehr wohl, wenn ſie beunruhigt werden, und einzelne offenbaren eine Liſt und Vorſicht, welche man
ihnen gewiß nicht zutrauen möchte, wählen ſich die am günſtigſten gelegenen Schlupfwinkel und
beachten klüglich geſammelte Erfahrungen. Jn der Gefangenſchaft werden ſie eher zahm als alle
übrigen Schildkröten und lernen ihren Pfleger wirklich, wenn auch nur bis zu einem gewiſſen
Grade kennen: ſie gewöhnen ſich an den Umgang mit dem Menſchen, ohne jedoch den einzelnen zu
unterſcheiden.

Bei herannahendem Winter graben ſie ſich ziemlich tief in den Boden ein und verbringen hier
die ungünſtige Jahreszeit in einem todähnlichen Zuſtande. Daſſelbe thun ſie in den Gleicherländern
da, wo die Dürre ihnen ihre Wohngewäſſer zeitweilig austrocknet, während der trockenen, winterlichen
Jahreszeit. Müller ſagt, daß ſie an einzelnen Flüſſen Nordamerikas die Ufer förmlich unterhöhlen,

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[31/0043] Allgemeines. und unſer Naturforſcher muß, wie der Jäger auf dem Anſtande, jede Bewegung, jedes Geräuſch ver- meiden. Da ſieht er endlich hier, dort ein Köpfchen aus dem klaren Waſſerſpiegel hervortauchen; lebhaft glänzen die beiden klugen, ſchwarzen Aeuglein, und langſam rudert das Thier, faſt ohne das Waſſer zu kräuſeln, ans Land heran und eben auf die Stelle zu, wo ſein eifriger Beobachter ſitzt; denn alle ſeeliſch niedrig ſtehenden Thiere erkennen die Gegenwart eines Menſchen oder eines anderen belebten Weſens nur an deſſen Bewegungen. Eine Schildkröte würde im Freien vom Waſſer aus ebenſo leicht auf die dargebotene Hand ſteigen, als auf den Stein oder die Erde daneben, voraus- geſetzt, daß man ſich vollkommen ruhig hält. Soll der Forſcher zugreifen? Gewiß; denn ein etwaiger Biß kann nicht viel ſchaden. Freudig hält er das zappelnde Thierchen in ſeiner Hand, eilt auch bald mit ſeiner Beute nach Haus und zeigt dem erſten amerikaniſchen Freunde, dem er begegnet, ſeinen glücklichen Fund. Wenn Dich Dies befriedigen kann, ſagt der Yankee lächelnd, ſo kannſt Du tauſende haben.“ Jn der That, Amerika iſt das Land der Schildkröten; es erzeugt ihrer, ſoviel uns bis jetzt bekannt, mehr als alle übrigen Erdtheile zuſammengenommen. Aber auch Aſien iſt reich an ihnen und Afrika wenigſtens nicht arm. Da, wo es in warmen Ländern Waſſer gibt, fehlen ſie nicht. Alle Sumpfſchildkröten leben nur in feuchteren Gegenden, die meiſten im Waſſer der langſam fließenden Flüſſe, Teiche und Seen. Jhre Bewegung auf dem Lande iſt unbeholfen und langſam, obſchon bedeutend ſchneller als die der eigentlichen Landſchildkröten, ihr Schwimmen im Waſſer dagegen ungemein raſch und auffallend gewandt. Man ſieht ſie ruhig auf der Oberfläche des Waſſers liegen und umherſchwimmen, beim geringſten, verdächtig erſcheinenden Geräuſche aber blitzſchnell in die Tiefe tauchen, um in demſelben Augenblicke ſich im Schlamme oder unter Wurzeln zu verbergen. „Sie ſcheinen es“, ſagt C. Müller“, eingelernt zu haben, ſich unſichtbar zu machen. Manchmal fand ich die Ufer von Bächen oder Teichen, wie auch die geringſte Hervorragung in denſelben ſozuſagen mit den gemeineren amerikaniſchen Schildkröten bedeckt, und ſie ſchienen ſich ſorglos zu ſonnen; ſobald man ſich aber ſo nah geſchlichen hatte, um danach zu greifen, verſchwanden ſie lautlos, und nur bei ganz klarem Waſſer mit lichtem ſchlammigen Grunde konnte man ſie dann noch erhaſchen; denn in der Regel gruben ſie ſich im Augenblicke ein, und thaten Dies, Dank der Kraft und Geſchicklichkeit ihrer Beine, mit großer Leichtigkeit.“ Bei ihrer Jagd entfalten ſie eine Schwimmfähigkeit, welche wirklich in Erſtaunen ſetzt. Sie nähren ſich hauptſächlich von thieriſchen Stoffen und zwar von kleineren Säugethieren, Vögeln, Kriechthieren, Lurchen, Fiſchen und wirbelloſen Thieren, nehmen wahrſcheinlich auch, ſo lange ſie dieſe Nahrung nicht haben, Pflanzenſtoffe nicht an, ziehen wenigſtens in der Gefangenſchaft Fleiſch im weiteſten Sinne den Kartoffeln oder Brot, welches ſie allerdings nicht gänzlich verſchmähen, entſchieden vor. Mehrere Arten ſind wahrhaft gefährliche Raubthiere, welche ſich nicht blos auf kleinere Beute beſchränken, ſondern ſelbſt an Vögel von der Größe einer Hausente wagen und, gereizt, ohne Bedenken ſogar den Menſchen angreifen. Mit ihrer Beweglichkeit und Raubſucht ſteht, wie leicht erklärlich, ihr geiſtiges Weſen im Ein- klange. Jhre Sinnesfähigkeiten ſcheinen weit ſchärfer entwickelt zu ſein, als es bei den Landſchild- kröten der Fall, ihr Verſtand den der letztgenannten in jeder Hinſicht zu übertreffen. Sie merken es ſehr wohl, wenn ſie beunruhigt werden, und einzelne offenbaren eine Liſt und Vorſicht, welche man ihnen gewiß nicht zutrauen möchte, wählen ſich die am günſtigſten gelegenen Schlupfwinkel und beachten klüglich geſammelte Erfahrungen. Jn der Gefangenſchaft werden ſie eher zahm als alle übrigen Schildkröten und lernen ihren Pfleger wirklich, wenn auch nur bis zu einem gewiſſen Grade kennen: ſie gewöhnen ſich an den Umgang mit dem Menſchen, ohne jedoch den einzelnen zu unterſcheiden. Bei herannahendem Winter graben ſie ſich ziemlich tief in den Boden ein und verbringen hier die ungünſtige Jahreszeit in einem todähnlichen Zuſtande. Daſſelbe thun ſie in den Gleicherländern da, wo die Dürre ihnen ihre Wohngewäſſer zeitweilig austrocknet, während der trockenen, winterlichen Jahreszeit. Müller ſagt, daß ſie an einzelnen Flüſſen Nordamerikas die Ufer förmlich unterhöhlen,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/43>, abgerufen am 24.04.2024.