Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite
Nahrung. Winterschlaf.

Wenn der Herbst fast zu Ende geht und der Winter hereinbricht, ziehen sich die Schläfer
in ihre künstlichen, sehr warmen Schlupfwinkel zurück, rollen sich zusammen und fallen nun bald in
eine schlafähnliche Erstarrung. Jhr Herzschlag wird langsamer und ihre Athmungsthätigkeit Dem
entsprechend in auffallender Weise gemildert oder unterbrochen; die Körperwärme nimmt ab; die Glie-
der werden steif und kalt; der Magen und Darmschlauch entleeren sich vollständig und schrumpfen zu-
sammen. Der ganze Leib erhält hierdurch eine Fühllosigkeit, die ohne Gleichen ist. Um hierzu einen
Beleg zu geben, will ich erwähnen, daß das Herz eines im Winterschlafe enthaupteten Murmel-
thiers
noch drei Stunden nach seiner Tödtung fortschlug, anfangs 16 bis 17 Mal in der Minute,
dann immer seltener; -- der abgeschnittene Kopf zeigte nach einer halben Stunde noch Spuren von Reiz-
barkeit. Der Winterschlaf ist ein wirklicher Scheintod; das Leben des Schläfers gibt sich blos noch in
Andentungen kund. Allein auch nur aus diesem Grunde ist es möglich, daß ihn das Thier überdauert.
Wenn Herz und Lungen wie bei dem lebenden Thiere arbeiteten, würde das im Sommer gesammelte
Fett, welches für mehrere Monate ausreichen muß, bald aufgezehrt sein. Die geringe Athmungs-
thätigkeit aber verlangsamt den Verbrennungshergang im Junern des Körpers in günstigster Weise
für die Erhaltung des Lebens. Jch habe oben mitgetheilt, daß der Winterschläfer während seines
Scheintodes etwa neunzig Mal weniger athmet, als im wachen Zustande, und füge hinzu, daß im ent-
sprechenden Verhältniß auch die Körperwärme herabgestimmt wird. Ein Wärmemesser, welchen
man in den Leib eines während des Winterschlafes getödteten Murmelthiers senkte, wies blos noch
71/2° R. Wärme nach, während die Blutwärme der Säugethiere sonst durchschnittlich zwischen 28 und
30° beträgt. Setzt man das schlafende Thier der Kälte aus, so erfriert es, wenn ich nicht irre, schon
bei einer Wärme unter der seines Blutes während der Schlafzeit, und ebenso hat eine plötzliche Er-
wärmung des Scheintodten den Tod zur Folge; bringt man ihn aber allmählig in höhere und höhere
Wärme, so erwacht er nach und nach, und seine Blutwärme steigt allgemach bis auf die gewöhnliche
Höhe. Uebrigens erträgt kein Winterschläfer auch solches gemachsame Erwecken mehrere Male nach
einander. Jeder Wechsel ist ihm während seines Halblebens schädlich. Hieraus erklärt sich wohl
auch, daß er sein Winterlager immer nur in Höhlen nimmt und diese durch sorgfältiges Verstopfen
noch besonders gegen die äußere Luft und deren Wärmewechsel abzuschließen sucht. Es ist höchst
merkwürdig, daß Siebenschläfer aus fremden Ländern, wenn sie zu uns gebracht werden, im Winter
ebenfalls ihren Todtenschlaf halten, während sie Dies in ihrer Heimat gerade in der Zeit der größten
Hitze thun. Allein wir sehen auch hieraus wieder, daß die Zeit der Dürre heißer Erdstriche eben
nur mit unserem Winter verglichen werden kann, niemals mit unserem Sommer, wie so oft selbst von
gediegenen Leuten fälschlich geschieht.

Mit dem Heraunahen des Frühlings erwacht der Winterschläfer und fristet sich nun sein
Leben zuerst mit den Schätzen, welche er im vorigen Sommer sich eintrug. Anfangs schläft er auch
nach dem Erwachtsein aus dem Todtenschlafe noch oft und lange, doch mehr in gewöhnlicher Weise;
sobald er aber sein Schutzlager verlassen kann, überkommt ihn große Aufregung; denn nunmehr geht
er seinem Geschlechtsleben nach. Nur die kleineren Säugethiere verfallen in einen wirklichen Winter-
schlaf, die größeren, wie z. B. der Bär, schlafen zeitweilig, obschon tage-, ja vielleicht wochenlang,
nehmen aber während dieser Zeit ebenfalls fast gar keine Nahrung zu sich.

Einige Säugethiere unternehmen zuweilen Reisen, um ihre Lage zu verbessern; doch kann
man bei unserer Klasse nicht von einer wirklichen Wanderung sprechen, wie bei den Vögeln. Es
kommt allerdings vor, daß sie eine Gegend verlassen und in eine andere ziehen, der Weg aber, den sie
zurücklegen, ist nie so lang, daß er mit dem Zuge der Vögel verglichen werden könnte. Von Nah-
rungsmangel gepeinigt, rotten sich die Lemminge, jene muntern und anziehenden Bewohner der nor-
dischen Gebirge und Ebenen, in großer Masse zusammen und wandern nun gemeinschaftlich in die
Tiefe hinab, setzen sogar über Meeresarme, gehen aber dabei fast regelmäßig zu Grunde; südafrika-
nische Antilopen, das Neuthier und der nordamerikanische Büffel, die wilden Esel, die See-
hunde
und Wale treten aus demselben Grunde noch weitere Wanderungen an, und einige Fleder-
mäuse
haben sogar einen beschränkten Zug. Allein alle diese Reisen stehen unendlich weit hinter
denen der Vögel zurück.

Das Leben der Säugethiere ist überhaupt viel einförmiger, als das der beweglichen Luft-
bewohner. Blos die gescheiteren Arten suchen in dieses Einerlei einige Abwechselungen zu bringen,

Nahrung. Winterſchlaf.

Wenn der Herbſt faſt zu Ende geht und der Winter hereinbricht, ziehen ſich die Schläfer
in ihre künſtlichen, ſehr warmen Schlupfwinkel zurück, rollen ſich zuſammen und fallen nun bald in
eine ſchlafähnliche Erſtarrung. Jhr Herzſchlag wird langſamer und ihre Athmungsthätigkeit Dem
entſprechend in auffallender Weiſe gemildert oder unterbrochen; die Körperwärme nimmt ab; die Glie-
der werden ſteif und kalt; der Magen und Darmſchlauch entleeren ſich vollſtändig und ſchrumpfen zu-
ſammen. Der ganze Leib erhält hierdurch eine Fühlloſigkeit, die ohne Gleichen iſt. Um hierzu einen
Beleg zu geben, will ich erwähnen, daß das Herz eines im Winterſchlafe enthaupteten Murmel-
thiers
noch drei Stunden nach ſeiner Tödtung fortſchlug, anfangs 16 bis 17 Mal in der Minute,
dann immer ſeltener; — der abgeſchnittene Kopf zeigte nach einer halben Stunde noch Spuren von Reiz-
barkeit. Der Winterſchlaf iſt ein wirklicher Scheintod; das Leben des Schläfers gibt ſich blos noch in
Andentungen kund. Allein auch nur aus dieſem Grunde iſt es möglich, daß ihn das Thier überdauert.
Wenn Herz und Lungen wie bei dem lebenden Thiere arbeiteten, würde das im Sommer geſammelte
Fett, welches für mehrere Monate ausreichen muß, bald aufgezehrt ſein. Die geringe Athmungs-
thätigkeit aber verlangſamt den Verbrennungshergang im Junern des Körpers in günſtigſter Weiſe
für die Erhaltung des Lebens. Jch habe oben mitgetheilt, daß der Winterſchläfer während ſeines
Scheintodes etwa neunzig Mal weniger athmet, als im wachen Zuſtande, und füge hinzu, daß im ent-
ſprechenden Verhältniß auch die Körperwärme herabgeſtimmt wird. Ein Wärmemeſſer, welchen
man in den Leib eines während des Winterſchlafes getödteten Murmelthiers ſenkte, wies blos noch
7½° R. Wärme nach, während die Blutwärme der Säugethiere ſonſt durchſchnittlich zwiſchen 28 und
30° beträgt. Setzt man das ſchlafende Thier der Kälte aus, ſo erfriert es, wenn ich nicht irre, ſchon
bei einer Wärme unter der ſeines Blutes während der Schlafzeit, und ebenſo hat eine plötzliche Er-
wärmung des Scheintodten den Tod zur Folge; bringt man ihn aber allmählig in höhere und höhere
Wärme, ſo erwacht er nach und nach, und ſeine Blutwärme ſteigt allgemach bis auf die gewöhnliche
Höhe. Uebrigens erträgt kein Winterſchläfer auch ſolches gemachſame Erwecken mehrere Male nach
einander. Jeder Wechſel iſt ihm während ſeines Halblebens ſchädlich. Hieraus erklärt ſich wohl
auch, daß er ſein Winterlager immer nur in Höhlen nimmt und dieſe durch ſorgfältiges Verſtopfen
noch beſonders gegen die äußere Luft und deren Wärmewechſel abzuſchließen ſucht. Es iſt höchſt
merkwürdig, daß Siebenſchläfer aus fremden Ländern, wenn ſie zu uns gebracht werden, im Winter
ebenfalls ihren Todtenſchlaf halten, während ſie Dies in ihrer Heimat gerade in der Zeit der größten
Hitze thun. Allein wir ſehen auch hieraus wieder, daß die Zeit der Dürre heißer Erdſtriche eben
nur mit unſerem Winter verglichen werden kann, niemals mit unſerem Sommer, wie ſo oft ſelbſt von
gediegenen Leuten fälſchlich geſchieht.

Mit dem Heraunahen des Frühlings erwacht der Winterſchläfer und friſtet ſich nun ſein
Leben zuerſt mit den Schätzen, welche er im vorigen Sommer ſich eintrug. Anfangs ſchläft er auch
nach dem Erwachtſein aus dem Todtenſchlafe noch oft und lange, doch mehr in gewöhnlicher Weiſe;
ſobald er aber ſein Schutzlager verlaſſen kann, überkommt ihn große Aufregung; denn nunmehr geht
er ſeinem Geſchlechtsleben nach. Nur die kleineren Säugethiere verfallen in einen wirklichen Winter-
ſchlaf, die größeren, wie z. B. der Bär, ſchlafen zeitweilig, obſchon tage-, ja vielleicht wochenlang,
nehmen aber während dieſer Zeit ebenfalls faſt gar keine Nahrung zu ſich.

Einige Säugethiere unternehmen zuweilen Reiſen, um ihre Lage zu verbeſſern; doch kann
man bei unſerer Klaſſe nicht von einer wirklichen Wanderung ſprechen, wie bei den Vögeln. Es
kommt allerdings vor, daß ſie eine Gegend verlaſſen und in eine andere ziehen, der Weg aber, den ſie
zurücklegen, iſt nie ſo lang, daß er mit dem Zuge der Vögel verglichen werden könnte. Von Nah-
rungsmangel gepeinigt, rotten ſich die Lemminge, jene muntern und anziehenden Bewohner der nor-
diſchen Gebirge und Ebenen, in großer Maſſe zuſammen und wandern nun gemeinſchaftlich in die
Tiefe hinab, ſetzen ſogar über Meeresarme, gehen aber dabei faſt regelmäßig zu Grunde; ſüdafrika-
niſche Antilopen, das Neuthier und der nordamerikaniſche Büffel, die wilden Eſel, die See-
hunde
und Wale treten aus demſelben Grunde noch weitere Wanderungen an, und einige Fleder-
mäuſe
haben ſogar einen beſchränkten Zug. Allein alle dieſe Reiſen ſtehen unendlich weit hinter
denen der Vögel zurück.

Das Leben der Säugethiere iſt überhaupt viel einförmiger, als das der beweglichen Luft-
bewohner. Blos die geſcheiteren Arten ſuchen in dieſes Einerlei einige Abwechſelungen zu bringen,

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0045" n="XXXV[XXXV]"/>
        <fw place="top" type="header">Nahrung. Winter&#x017F;chlaf.</fw><lb/>
        <p>Wenn der Herb&#x017F;t fa&#x017F;t zu Ende geht und der Winter hereinbricht, ziehen &#x017F;ich die Schläfer<lb/>
in ihre kün&#x017F;tlichen, &#x017F;ehr warmen Schlupfwinkel zurück, rollen &#x017F;ich zu&#x017F;ammen und fallen nun bald in<lb/>
eine &#x017F;chlafähnliche Er&#x017F;tarrung. Jhr Herz&#x017F;chlag wird lang&#x017F;amer und ihre Athmungsthätigkeit Dem<lb/>
ent&#x017F;prechend in auffallender Wei&#x017F;e gemildert oder unterbrochen; die Körperwärme nimmt ab; die Glie-<lb/>
der werden &#x017F;teif und kalt; der Magen und Darm&#x017F;chlauch entleeren &#x017F;ich voll&#x017F;tändig und &#x017F;chrumpfen zu-<lb/>
&#x017F;ammen. Der ganze Leib erhält hierdurch eine Fühllo&#x017F;igkeit, die ohne Gleichen i&#x017F;t. Um hierzu einen<lb/>
Beleg zu geben, will ich erwähnen, daß das Herz eines im Winter&#x017F;chlafe enthaupteten <hi rendition="#g">Murmel-<lb/>
thiers</hi> noch drei Stunden nach &#x017F;einer Tödtung fort&#x017F;chlug, anfangs 16 bis 17 Mal in der Minute,<lb/>
dann immer &#x017F;eltener; &#x2014; der abge&#x017F;chnittene Kopf zeigte nach einer halben Stunde noch Spuren von Reiz-<lb/>
barkeit. Der Winter&#x017F;chlaf i&#x017F;t ein wirklicher Scheintod; das Leben des Schläfers gibt &#x017F;ich blos noch in<lb/>
Andentungen kund. Allein auch nur aus die&#x017F;em Grunde i&#x017F;t es möglich, daß ihn das Thier überdauert.<lb/>
Wenn Herz und Lungen wie bei dem lebenden Thiere arbeiteten, würde das im Sommer ge&#x017F;ammelte<lb/>
Fett, welches für mehrere Monate ausreichen muß, bald aufgezehrt &#x017F;ein. Die geringe Athmungs-<lb/>
thätigkeit aber verlang&#x017F;amt den Verbrennungshergang im Junern des Körpers in gün&#x017F;tig&#x017F;ter Wei&#x017F;e<lb/>
für die Erhaltung des Lebens. Jch habe oben mitgetheilt, daß der Winter&#x017F;chläfer während &#x017F;eines<lb/>
Scheintodes etwa neunzig Mal weniger athmet, als im wachen Zu&#x017F;tande, und füge hinzu, daß im ent-<lb/>
&#x017F;prechenden Verhältniß auch die Körperwärme herabge&#x017F;timmt wird. Ein Wärmeme&#x017F;&#x017F;er, welchen<lb/>
man in den Leib eines während des Winter&#x017F;chlafes getödteten <hi rendition="#g">Murmelthiers</hi> &#x017F;enkte, wies blos noch<lb/>
7½° R. Wärme nach, während die Blutwärme der Säugethiere &#x017F;on&#x017F;t durch&#x017F;chnittlich zwi&#x017F;chen 28 und<lb/>
30° beträgt. Setzt man das &#x017F;chlafende Thier der Kälte aus, &#x017F;o erfriert es, wenn ich nicht irre, &#x017F;chon<lb/>
bei einer Wärme unter der &#x017F;eines Blutes während der Schlafzeit, und eben&#x017F;o hat eine plötzliche Er-<lb/>
wärmung des Scheintodten den Tod zur Folge; bringt man ihn aber allmählig in höhere und höhere<lb/>
Wärme, &#x017F;o erwacht er nach und nach, und &#x017F;eine Blutwärme &#x017F;teigt allgemach bis auf die gewöhnliche<lb/>
Höhe. Uebrigens erträgt kein Winter&#x017F;chläfer auch &#x017F;olches gemach&#x017F;ame Erwecken mehrere Male nach<lb/>
einander. Jeder Wech&#x017F;el i&#x017F;t ihm während &#x017F;eines Halblebens &#x017F;chädlich. Hieraus erklärt &#x017F;ich wohl<lb/>
auch, daß er &#x017F;ein Winterlager immer nur in Höhlen nimmt und die&#x017F;e durch &#x017F;orgfältiges Ver&#x017F;topfen<lb/>
noch be&#x017F;onders gegen die äußere Luft und deren Wärmewech&#x017F;el abzu&#x017F;chließen &#x017F;ucht. Es i&#x017F;t höch&#x017F;t<lb/>
merkwürdig, daß <hi rendition="#g">Sieben&#x017F;chläfer</hi> aus fremden Ländern, wenn &#x017F;ie zu uns gebracht werden, im Winter<lb/>
ebenfalls ihren Todten&#x017F;chlaf halten, während &#x017F;ie Dies in ihrer Heimat gerade in der Zeit der größten<lb/>
Hitze thun. Allein wir &#x017F;ehen auch hieraus wieder, daß die Zeit der Dürre heißer Erd&#x017F;triche eben<lb/>
nur mit un&#x017F;erem Winter verglichen werden kann, niemals mit un&#x017F;erem Sommer, wie &#x017F;o oft &#x017F;elb&#x017F;t von<lb/>
gediegenen Leuten fäl&#x017F;chlich ge&#x017F;chieht.</p><lb/>
        <p>Mit dem Heraunahen des Frühlings erwacht der Winter&#x017F;chläfer und fri&#x017F;tet &#x017F;ich nun &#x017F;ein<lb/>
Leben zuer&#x017F;t mit den Schätzen, welche er im vorigen Sommer &#x017F;ich eintrug. Anfangs &#x017F;chläft er auch<lb/>
nach dem Erwacht&#x017F;ein aus dem Todten&#x017F;chlafe noch oft und lange, doch mehr in gewöhnlicher Wei&#x017F;e;<lb/>
&#x017F;obald er aber &#x017F;ein Schutzlager verla&#x017F;&#x017F;en kann, überkommt ihn große Aufregung; denn nunmehr geht<lb/>
er &#x017F;einem Ge&#x017F;chlechtsleben nach. Nur die kleineren Säugethiere verfallen in einen wirklichen Winter-<lb/>
&#x017F;chlaf, die größeren, wie z. B. der <hi rendition="#g">Bär,</hi> &#x017F;chlafen zeitweilig, ob&#x017F;chon tage-, ja vielleicht wochenlang,<lb/>
nehmen aber während die&#x017F;er Zeit ebenfalls fa&#x017F;t gar keine Nahrung zu &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>Einige Säugethiere unternehmen zuweilen Rei&#x017F;en, um ihre Lage zu verbe&#x017F;&#x017F;ern; doch kann<lb/>
man bei un&#x017F;erer Kla&#x017F;&#x017F;e nicht von einer wirklichen Wanderung &#x017F;prechen, wie bei den Vögeln. Es<lb/>
kommt allerdings vor, daß &#x017F;ie eine Gegend verla&#x017F;&#x017F;en und in eine andere ziehen, der Weg aber, den &#x017F;ie<lb/>
zurücklegen, i&#x017F;t nie &#x017F;o lang, daß er mit dem Zuge der Vögel verglichen werden könnte. Von Nah-<lb/>
rungsmangel gepeinigt, rotten &#x017F;ich die <hi rendition="#g">Lemminge,</hi> jene muntern und anziehenden Bewohner der nor-<lb/>
di&#x017F;chen Gebirge und Ebenen, in großer Ma&#x017F;&#x017F;e zu&#x017F;ammen und wandern nun gemein&#x017F;chaftlich in die<lb/>
Tiefe hinab, &#x017F;etzen &#x017F;ogar über Meeresarme, gehen aber dabei fa&#x017F;t regelmäßig zu Grunde; &#x017F;üdafrika-<lb/>
ni&#x017F;che <hi rendition="#g">Antilopen,</hi> das <hi rendition="#g">Neuthier</hi> und der nordamerikani&#x017F;che <hi rendition="#g">Büffel,</hi> die wilden <hi rendition="#g">E&#x017F;el,</hi> die <hi rendition="#g">See-<lb/>
hunde</hi> und <hi rendition="#g">Wale</hi> treten aus dem&#x017F;elben Grunde noch weitere Wanderungen an, und einige <hi rendition="#g">Fleder-<lb/>
mäu&#x017F;e</hi> haben &#x017F;ogar einen be&#x017F;chränkten Zug. Allein alle die&#x017F;e Rei&#x017F;en &#x017F;tehen unendlich weit hinter<lb/>
denen der Vögel zurück.</p><lb/>
        <p>Das Leben der <hi rendition="#g">Säugethiere</hi> i&#x017F;t überhaupt viel einförmiger, als das der beweglichen Luft-<lb/>
bewohner. Blos die ge&#x017F;cheiteren Arten &#x017F;uchen in die&#x017F;es Einerlei einige Abwech&#x017F;elungen zu bringen,<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXXV[XXXV]/0045] Nahrung. Winterſchlaf. Wenn der Herbſt faſt zu Ende geht und der Winter hereinbricht, ziehen ſich die Schläfer in ihre künſtlichen, ſehr warmen Schlupfwinkel zurück, rollen ſich zuſammen und fallen nun bald in eine ſchlafähnliche Erſtarrung. Jhr Herzſchlag wird langſamer und ihre Athmungsthätigkeit Dem entſprechend in auffallender Weiſe gemildert oder unterbrochen; die Körperwärme nimmt ab; die Glie- der werden ſteif und kalt; der Magen und Darmſchlauch entleeren ſich vollſtändig und ſchrumpfen zu- ſammen. Der ganze Leib erhält hierdurch eine Fühlloſigkeit, die ohne Gleichen iſt. Um hierzu einen Beleg zu geben, will ich erwähnen, daß das Herz eines im Winterſchlafe enthaupteten Murmel- thiers noch drei Stunden nach ſeiner Tödtung fortſchlug, anfangs 16 bis 17 Mal in der Minute, dann immer ſeltener; — der abgeſchnittene Kopf zeigte nach einer halben Stunde noch Spuren von Reiz- barkeit. Der Winterſchlaf iſt ein wirklicher Scheintod; das Leben des Schläfers gibt ſich blos noch in Andentungen kund. Allein auch nur aus dieſem Grunde iſt es möglich, daß ihn das Thier überdauert. Wenn Herz und Lungen wie bei dem lebenden Thiere arbeiteten, würde das im Sommer geſammelte Fett, welches für mehrere Monate ausreichen muß, bald aufgezehrt ſein. Die geringe Athmungs- thätigkeit aber verlangſamt den Verbrennungshergang im Junern des Körpers in günſtigſter Weiſe für die Erhaltung des Lebens. Jch habe oben mitgetheilt, daß der Winterſchläfer während ſeines Scheintodes etwa neunzig Mal weniger athmet, als im wachen Zuſtande, und füge hinzu, daß im ent- ſprechenden Verhältniß auch die Körperwärme herabgeſtimmt wird. Ein Wärmemeſſer, welchen man in den Leib eines während des Winterſchlafes getödteten Murmelthiers ſenkte, wies blos noch 7½° R. Wärme nach, während die Blutwärme der Säugethiere ſonſt durchſchnittlich zwiſchen 28 und 30° beträgt. Setzt man das ſchlafende Thier der Kälte aus, ſo erfriert es, wenn ich nicht irre, ſchon bei einer Wärme unter der ſeines Blutes während der Schlafzeit, und ebenſo hat eine plötzliche Er- wärmung des Scheintodten den Tod zur Folge; bringt man ihn aber allmählig in höhere und höhere Wärme, ſo erwacht er nach und nach, und ſeine Blutwärme ſteigt allgemach bis auf die gewöhnliche Höhe. Uebrigens erträgt kein Winterſchläfer auch ſolches gemachſame Erwecken mehrere Male nach einander. Jeder Wechſel iſt ihm während ſeines Halblebens ſchädlich. Hieraus erklärt ſich wohl auch, daß er ſein Winterlager immer nur in Höhlen nimmt und dieſe durch ſorgfältiges Verſtopfen noch beſonders gegen die äußere Luft und deren Wärmewechſel abzuſchließen ſucht. Es iſt höchſt merkwürdig, daß Siebenſchläfer aus fremden Ländern, wenn ſie zu uns gebracht werden, im Winter ebenfalls ihren Todtenſchlaf halten, während ſie Dies in ihrer Heimat gerade in der Zeit der größten Hitze thun. Allein wir ſehen auch hieraus wieder, daß die Zeit der Dürre heißer Erdſtriche eben nur mit unſerem Winter verglichen werden kann, niemals mit unſerem Sommer, wie ſo oft ſelbſt von gediegenen Leuten fälſchlich geſchieht. Mit dem Heraunahen des Frühlings erwacht der Winterſchläfer und friſtet ſich nun ſein Leben zuerſt mit den Schätzen, welche er im vorigen Sommer ſich eintrug. Anfangs ſchläft er auch nach dem Erwachtſein aus dem Todtenſchlafe noch oft und lange, doch mehr in gewöhnlicher Weiſe; ſobald er aber ſein Schutzlager verlaſſen kann, überkommt ihn große Aufregung; denn nunmehr geht er ſeinem Geſchlechtsleben nach. Nur die kleineren Säugethiere verfallen in einen wirklichen Winter- ſchlaf, die größeren, wie z. B. der Bär, ſchlafen zeitweilig, obſchon tage-, ja vielleicht wochenlang, nehmen aber während dieſer Zeit ebenfalls faſt gar keine Nahrung zu ſich. Einige Säugethiere unternehmen zuweilen Reiſen, um ihre Lage zu verbeſſern; doch kann man bei unſerer Klaſſe nicht von einer wirklichen Wanderung ſprechen, wie bei den Vögeln. Es kommt allerdings vor, daß ſie eine Gegend verlaſſen und in eine andere ziehen, der Weg aber, den ſie zurücklegen, iſt nie ſo lang, daß er mit dem Zuge der Vögel verglichen werden könnte. Von Nah- rungsmangel gepeinigt, rotten ſich die Lemminge, jene muntern und anziehenden Bewohner der nor- diſchen Gebirge und Ebenen, in großer Maſſe zuſammen und wandern nun gemeinſchaftlich in die Tiefe hinab, ſetzen ſogar über Meeresarme, gehen aber dabei faſt regelmäßig zu Grunde; ſüdafrika- niſche Antilopen, das Neuthier und der nordamerikaniſche Büffel, die wilden Eſel, die See- hunde und Wale treten aus demſelben Grunde noch weitere Wanderungen an, und einige Fleder- mäuſe haben ſogar einen beſchränkten Zug. Allein alle dieſe Reiſen ſtehen unendlich weit hinter denen der Vögel zurück. Das Leben der Säugethiere iſt überhaupt viel einförmiger, als das der beweglichen Luft- bewohner. Blos die geſcheiteren Arten ſuchen in dieſes Einerlei einige Abwechſelungen zu bringen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/45
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXXV[XXXV]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/45>, abgerufen am 20.04.2024.